Autor/en: Ralph Isaacs
Verlag: Silkworm Books
Erschienen: Chiang Mai, Thailand 2014
Seiten: 256
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: ca. € 75,00 oder USD 100,00
ISBN: 978-616215-073-9
Kommentar: Michael Buddeberg, April 2015
Besprechung:
Die Story ist nicht neu (vgl. „Textiles from Burma“, Buchbesprechung vom April 2004), aber sie ist viel zu schön, um sie nicht erneut zu erzählen, zumal sie recht eigentlich der Anlass zu diesem Buch ist. Ralph Isaacs studierte moderne Sprachen, Linguistik und Anthropologie und ging 1989 für das British Council nach Burma – das ist in Großbritannien so etwas wie unser Goethe-Institut. Und dort auf den Stufen der goldenen Shwedagon-Pagode in Rangoon im Jahre 1991 geschah es, dass Ralph Isaacs in einer an einem Nagel vor einem Souvenir Shop hängenden Plastiktüte einen Schatz entdeckte. Zunächst sah er allerdings nur ein Knäuel verschmutzter Baumwollbänder inmitten von Staub, Termitenerde und Wachsresten. Ohne zu wissen, was es war, erwarb er kurz entschlossen für ein paar Dollar das ganze Konvolut. Es war wohl das Überbleibsel einer Bibliothek von Manuskripten aus einem aufgelassenen Kloster. Während Insekten, Feuchtigkeit und Schimmel die teak-hölzernen Schatullen und die in ihnen aufbewahrten Palmblattmanuskripte in Staub und Moder verwandelt hatten, waren die gewebten Bänder, die sie einmal zusammen gehalten hatten, mehr oder weniger intakt geblieben. Diese in Burma sazigyo genannten Textilien wurden für Ralph Isaacs zur Leidenschaft und man muss nicht unbedingt ein Sammler sein oder ein Textilliebhaber, um zu verstehen, dass diese brettchengewebten Kunstwerke mit ihrer dekorativen fortlaufenden Schrift, immer wieder unterbrochen und verziert mit miniaturhaften Darstellungen von mythischen und wirklichen Tieren, von Vögeln und Pagoden und von allen möglichen anderen identifizierbaren oder geheimnisvollen Objekten den Autor in ihren Bann gezogen haben. Das Ergebnis dieser Faszination und jahrelanger Forschung ist ein Buch, das vollkommen zu Recht für den „Ethnic Textiles Book Award“ der Textile Society of America nominiert wurde, ein Buch über eine fast unbekannte, seit einem halben Jahrhundert ausgestorbene textile Kunstform, die große handwerkliche Geschicklichkeit, ästhetisches Empfinden und buddhistisches Gedankengut wundervoll vereint. Da ist zunächst die Technik, Brettchenweberei, die keinen Webstuhl erfordert, sondern nur eine variierende Anzahl von kleinen quadratischen, lackierten Lederplättchen, jedes mit vier Löchern versehen, eine Technik, die in Peter Isaacs Buch von dem 2008 verstorbenen britischen Meisterweber Peter Collingwood in Wort und Bild anschaulich beschrieben wird. Mit den schmalen, oft nur 1,5 cm breiten, aber vier und fünf Meter oder auch noch längeren, äußerst fein gewebten Bändern wurde das durch ein Tuch aus Seide oder Baumwolle oder auch durch hölzerne Deckel zusammengefasste und geschützte Palmblattbündel eines burmesischen Manuskripts umwickelt. Solche Manuskripte wurden häufig von gläubigen Spendern als eine Verdienst bringende Tat einem Tempel oder Kloster als Opfergabe übergeben. Mit dem in der dekorativen burmesischen Schrift in das Sazigyo eingewebten Text wurden, einem traditionellen Brauch des Theraveda-Buddhismus folgend, himmlische Kräfte angerufen und für den Spender und seine Familie Gesundheit und Wohlergehen, eine ehrenvolle Wiedergeburt und schließlich die endgültige Erlösung im Nirvana erbeten. Und dies geschieht keineswegs in formelhaften Floskeln und Wendungen, sondern, wie aus den vielen Textauszügen und den etwa zwei Dutzend in voller Länge wiedergegebenen Texten entnommen werden kann, in höchst individueller Prosa, oft in blütenreicher, poetischer Sprache oder gar in Versform. Die Namen der Spender und ihrer Angehörigen, oft sogar der weiteren Verwandtschaft, ihre Stellung in der Gesellschaft, ihre besonderen Eigenschaften und die bisher für den spirituellen Weg geleisteten Verdienste werden ebenso erwähnt, wie die für diese Opfergabe aufgewandten Kosten, die Namen und Adressen der beauftragten Handwerker und schließlich auch der Mönche, denen die Opfergabe übergeben wurde. Selbst aktuelle gesellschaftliche oder politische Probleme wie etwa die befürchtete Beeinträchtigung der buddhistischen Traditionen durch den britischen Kolonialismus im frühen 20. Jahrhundert, kommen zur Sprache. Diese Texte der Sazigyo sind Gebete und zugleich Botschaften der Spender, mit denen sie sich identifizieren, ihre Spende erläutern und ihre Motivation als gute Tat für die Erlangung des Nirvana preisen, stets verbunden mit dem ausdrücklichen Wunsch, dass die Gabe den erhofften Erfolg haben möge. Die Texte werden begleitet und unterbrochen von geometrischen Motiven und Mustern, vor allem aber von einer kaleidoskopischen Vielfalt von miniaturhaften Darstellungen von Tieren, Gebäuden, Gestalten, Objekten, Dämonen, Symbolen und Gottheiten. Die Besonderheit der Webtechnik, vor allem aber ihre außergewöhnliche Feinheit ermöglicht trotz der Schmalheit der Bänder filigran wirkende und detailreiche Zeichnungen. Manche, wie Vögel, Hirsch und Löwe oder die Zeichen des Tierkreises sind leicht zu identifizieren, doch die Beutung der meisten bleibt zunächst verborgen. Es ist das besondere Verdienst von Ralph Isaacs, dass er aus seiner intimen Kenntnis des Landes und seiner Religion, des Theraveda Buddhismus und des auch heute noch lebendigen Geisterglaubens den Versuch unternimmt, diese Bilder und Symbole nicht nur zu erkennen und zu benennen, sondern auch ihre Inhalte und Bedeutungen zu erklären. Die Gegenüberstellung der gewebten Bilder mit Fotos von burmesischer Architektur, von Ritualen und Ritualobjekten, von Skulptur und Malerei gewährt einen Einblick in die gleichermaßen vom Buddhismus und vom Animismus durchdrungene Volksfrömmigkeit burmesischer Menschen. Mehr als 900 Illustrationen – zumeist Abschnitte der Sazigyo im originalen Format, einige gar in voller Länge – ermöglichen den Zugang zu einem außergewöhnlichen Medium, in dem sich textile Meisterschaft, dokumentarische Inhalte und spirituelle Bedeutung vereinen. Dies, die liebevolle und vorzügliche Gestaltung des Buches, der komplette dokumentarische Nachweis der behandelten Sazigyo in Museen und privaten Sammlungen – Ralph Isaacs Sammlung hat ihren Platz im Museum in Brighton gefunden – Glossar und Index, die den Inhalt des Bandes wunderbar erschließen und nicht zuletzt das Lesebändchen in Form eines Original-Sazigyo lassen nur eine Bewertung zu: Fünf Sterne und ein Lorbeerkranz für Ralph Isaacs.