The Frozen Gesture – Kabuki Prints from the Collection of the Cabinet d´Arts Graphiques

Autor/en: Christian Rümelin, Hans Bjarne Thomsen (Hrsg)
Verlag: Wienand Verlag
Erschienen: Köln 2014
Seiten: 160
Ausgabe: Japanische Bindung
Preis: € 49,80
ISBN: 978-3-86832-230-9
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2014

Besprechung:
„Geschaffen mit dem hellsten Kunstverstand sind die Holzschnitte Japans glänzende Kabinettstücke zeichnerischer Graphik, meisterhaft in ihrer linearen Eleganz, ihrer akzentuierten Sprache schlagender Kontraste und virtuoser Flächenverteilung“ schrieb Emil Preetorius (1883-1973) in seinem Aufsatz über den Holzschnitt Ostasiens, publiziert in dem Sammelband „Geheimnis des Sichtbaren – Gesammelte Aufsätze zur Kunst“ (Piper, München 1963). Und Preetorius wusste, was er schrieb, war er doch einer der ersten europäischen Künstler, der sich zeitlebens intensiv mit ostasiatischer Kunst befasste und dessen berühmte Sammlung asiatischer Kunst auch etwa einhundert japanische Holzschnitte umfasst, darunter ein handkoloriertes Blatt von Moronobu, der um die Mitte des 17. Jahrhunderts die Tradition der Blätter zum Kabuki-Theater begründete. Leider sind diese Holzschnitte, zu denen ganze Serien von Utamaro, Harunobu und Sharaku gehören, so gut wie nie zu sehen (zuletzt in einer Auswahl 1997/98 im Staatlichen Museum für Völkerkunde in München) und wer nicht den prachtvollen, 1963 in beschränkter Auflage in Zürich erschienenen Band „Kunst des Ostens“ besitzt, muss sich mit dem bloßen Wissen um diesen Schatz begnügen.

Da graphische Sammlungen wegen der Empfindlichkeit ihrer Blätter gegen Licht und Luft mit der öffentlichen Präsentation äußerst zurückhaltend sind, verdienen eine Ausstellung japanischer Holzschnitte des Kabuki-Theaters im graphischen Kabinett des Museums für Kunst und Geschichte in Genf (bis zum 4. Januar 2015) und der dazu erschienene Katalog besondere Aufmerksamkeit. Das vor allem vom 17. bis zum 19, Jahrhundert florierende Kabuki-Theater war neben No und Bunraku eine der drei wichtigsten dramatischen Gattungen Japans. Es war das traditionelle Theater des in der Edo-Ära erstarkten Bürgertums, eine raffinierte und äußerst populäre Kunstform, die mit Pracht, Fantasie und Vielfalt die Heldentaten legendärer Figuren auf die Bühne brachte. Dramatik, Tanz und spektakuläre visuelle Effekte, aufwändige Kostüme, ausdrucksvolles Make-up und originlle Perücken kennzeichnen das Kabuki-Theater. Die Themen drehten sich meist um überlieferte Dramen oder Skandale an mythischen oder historischen Orten, immer garniert mit moralischen Konflikten, Liebesgeschichten, Tragödien oder übernatürlichen Ereignissen. Zeitgleich mit der Popularität des Kabuki-Theaters erlebte Japan mit den ukiyo-e-Holzschnitten eine Blüte der graphischen Kunst. Diese ukiyo-e, „Bilder der heiteren fließenden Welt“, waren ungemein beliebte Darstellungen, meist Holzschnitte, vom Leben der Schönen und Reichen, der Geishas und Prostituierten, aus Sumo-Arenen und eben vom beliebten Kabuki-Theater. Neben Szenendarstellungen waren vor allem Schauspieler-Portraits beliebt, die dem Kult um diese gefeierten Stars dienten. In bunten, prächtigen Kostümen wurden sie in ihrer Rolle während eines dramatischen Höhepunktes dargestellt. Diese Momentaufnahme, das Einfrieren einer dramatischen Geste, japanisch mie, war ein wichtiges Instrument der Schauspieltechnik des Kabuki-Theaters; sie diente der Erhöhung der Spannung innerhalb der Handlung und war Gegenstand der meisten Kabuki-Portraits – und sie gab dem Katalog seinen Titel. Der Katalog zeigt denn auch überwiegend diese Schauspielerportraits, die meisten von dem zu seiner Zeit populärsten und erfolgreichsten Zeichner japanischer Farbholzschnitte, Utagawa Kunisada (1786-1865) und von seinem Adoptivsohn Utagawa Kunisada II (1823-1880). Die Texte – in französischer, englischer und deutscher Sprache – geben eine Einführung in die Technik und in die wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung dieses Mediums. Entgegen unserer heutigen Sichtweise wurden diese Blätter nicht als Kunst gemacht, gehandelt und empfunden sondern wurden für kommerzielle Zwecke entwickelt und gedruckt, als Souvenirs, vor allem aber als Reklame für die zahlreichen in Wettbewerb miteinander stehenden Theater, und schließlich zur Selbstdarstellung der Schauspieler, die den Kult um ihre Person fördern wollten, damit sie im Gespräch und damit im Engagement blieben. In Edo, Kyoto und Osaka entwickelte sich eine wahre Druckgraphik-Industrie. Allein in Edo – dem heutigen Tokio – waren zur erfolgreichsten Zeit dieses Mediums über 100 Verleger tätig, die in Zusammenarbeit mit zahlreichen Zeichnern, Holzschneidern und Druckern viele tausende dieser Blätter in hohen Auflagen auf den Markt brachten. Die Technik war so perfektioniert, dass auch eine große Anzahl von Drucken ohne Qualitätsverlust möglich war. Ein für den Gesamteindruck dieser Farbholzschnitte wesentliches Charakteristikum war die Integration von Text und Bild. Im Gegensatz zur europäischen Graphik mit der klaren Trennung dieser beiden Komponenten wurde der regelmäßig vorhandene und oft sogar umfängliche Text direkt in die Holzstöcke geschnitten. Aufgrund der Vielfalt und Komplexität japanischer Schriftzeichen war ein Letterndruck eher hinderlich und die japanischen Formschneider entwickelten für die Wiedergabe der geschwungenen und in ihrer Stärke variierenden Linien der japanischen Silbenschrift ein hohes Maß an Kunstfertigkeit. Mit der Westorientierung Japans und der Industrialisierung während der Meiji-Ära verlor das Medium Farbholzschnitt an Bedeutung. Zu diesem Zeitpunkt aber waren die Blätter bereits in Europa und Amerika angekommen. Sammler und Künstler hatten ihre ästhetische Qualität erkannt. Sie fanden Aufnahme in Sammlungen und gaben Künstlern wie Vincent van Gogh oder Henri Matisse wertvolle Anregungen. Der japanische Farbholzschnitt gab damit wichtige Impulse zur Erneuerung der Kunst am Beginn des 20. Jahrhunderts.

Print Friendly, PDF & Email