Bergama Heybe ve Torba – Traditionelle Taschen der Yürüken Nordwest-Anatoliens

Autor/en: Elisabeth Steiner, Doris Pinkwart, Eberhard Ammermann
Verlag: Im Eigenverlag
Erschienen: Ettlingen 2014
Seiten: 388
Ausgabe: Hardcover
Preis: € 78,00
ISBN: 978-3-00-044619-1
Kommentar: Michael Buddeberg, April 2014

Besprechung:
Das Pergamon-Museum auf der Museumsinsel in Berlin ist mit jährlich weit über einer Million Besuchern das meistbesuchte aller Berliner Museen. Publikumsmagnet ist hier vor allem der vermutlich dem Zeus und der Athena gewidmete Altar, eine Teilrekonstruktion unter Verwendung der berühmten in Pergamon geborgenen Friese mit der Darstellung der hellenistischen Götterwelt. Die monumentale, zum eigentlichen Altar empor führende Freitreppe wurde zur Agora dieses großen Museums. Weniger bekannt als dieses berühmteste aller Bauwerke aus Pergamon ist, dass die 1878 durch das Deutsche Archäologische Institut (DAI) begonnenen Grabungen, unterbrochen nur durch die Kriegszeiten, bis heute fortgeführt werden. Wegen seiner herausragenden Rolle als hellenistische Residenzstadt und römische Metropole kommt Pergamon für die altertumswissenschaftliche Forschung eine besondere Bedeutung zu. Diesem Engagement des DAI sowie der Archäologin Doris Pinkwart und der Grabungsfotografin Elisabeth Steiner ist eine in ihrer Breite und Vollständigkeit einzigartige Dokumentation traditioneller Weberzeugnisse der yürükischen Stämme Nordwest-Anatolien zu danken, die in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts quasi als Nebenprodukt der archäologischen Forschung entstanden ist. Nach dem im Jahre 1991 erschienenen Band „Bergama Ҫuvallari – Die Schmucksäcke der Yürüken Nordwestanatoliens“ liegt nun die noch weit umfangreichere Publikation über die „Heybe“ und „Torba“, die traditionellen Satteltaschen der yürükischen Stämme vor. Mit etwa 1500 Exemplaren auf 139 Tafeln, allesamt in den Dörfern und bei örtlichen Händlern fotografiert, ist dieses Buch ein Monument sorgfältiger Feldforschung, wie es besser nicht sein kann. In seinem Vorwort schreibt Wolfgang Radt, der langjährige (1972-2004) Grabungsleiter des DAI in Pergamon: „In diesem Buch ist mit viel Herzenswärme und mit genauso viel Professionalität eine Momentaufnahme auf die Welt der ländlichen Nordwest-Türkei vor etwa einem halben Jahrhundert gelungen. Wie in einem angehaltenen Film bekommen wir Einblicke in das Leben der sesshaft gewordenen türkischen Nomaden, der Yürüken. Wir sehen auf den Bilderfolgen der Fototafeln die noch unverbauten Landschaften, die Reittiere, die Herdfeuer, die Volkstrachten, die Backöfen, die Sommerweiden, die Schafställe, die Webstühle, die Spinnräder, die Ziegenherden, die Wollkämme, die Wunschbäume und vieles andere mehr. Das mag unsystematisch erscheinen, ist aber doch so raffiniert ins Bild gesetzt, dass die scheinbar endlose Folge von textilen Transporttaschen nie langweilig wird und dass diese vor ihrem ländlichen Ursprungs-Hintergrund viel zusätzliches Leben gewinnen. Umso systematischer ist die Ordnung und Anordnung der textilen Taschen selbst. Sie sind nach den Yürüken-Stämmen aufgegliedert, in deren Dörfern sie hergestellt wurden. Innerhalb der Produktion eines jeden Stammes ist dann eine Ordnung nach Herstellungstechnik und Ornamentmustern vorgenommen, wobei der Text direkt auf die Fototafeln bezogen ist (…..)Wichtig ist, dass nicht nur die Hauptmuster der Taschen abgebildet und beschrieben sind, sondern dass auch die Muster der Rückseiten und der Zwischenstege, die oft von besonders eindrucksvoller, abstrakt-strenger Gestaltung sind, gezeigt werden und für die Beurteilung mit herangezogen werden. Für den in der Materie nicht Bewanderten sind die Sonderformen der Taschen erstaunlich. Es gibt nicht nur einfache Tragetaschen, sondern Spezialbehälter für Kaffeemühlen, für Sätze von Esslöffeln, für Salz und auch kleine Taschen für Kinder. Es wurde offenbar alles in Schmuckbehältern verpackt, was man so an Hausrat hatte“. Es ist eine textile Kultur aus der nomadischer Vergangenheit, die heute, ein halbes Jahrhundert nach der Entstehung dieser Dokumentation, fast vollständig verschwunden ist. Nicht nur der Siegeszug der Plastiktüten, sondern all das, was mit der zunehmenden Entwicklung und Globalisierung einherging, der Straßenbau, die Motorisierung und Elektrifizierung, Fernsehen, Landflucht, Geschenke und Erzählungen der aus dem fernen Ausland heimkehrenden „Gastarbeiter“ haben dazu beigetragen, dass Herstellung und Gebrauch traditioneller Textilien keine Fortsetzung fanden. Umso wertvoller und unentbehrlicher für alle Teppich- und Textilfreunde, Ethnologen und Türkeiliebhaber ist dieses Zeugnis einer engagierten, verantwortungsvollen und allen wissenschaftlichen Anforderungen gerecht werdenden Feldforschung.

Das Buch mit deutschem und englischem Text sowie einer Kurzfassung in türkischer Sprache kann bestellt werden über die Email-Adresse: Bergama_heybe_ve_torba@gmx.de

Print Friendly, PDF & Email