Indian Textiles – The Karun Thakar Collection

Autor/en: John Guy, Rosemary Crill, Karun Thakar
Verlag: Prestel Verlag
Erschienen: München Berlin London New York 2014
Seiten: 224
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: GBP 40,00
ISBN: 978-3-7913-4931-2
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2014

Besprechung:
Auch wenn – zumal jetzt im Herbst – im Hyde Park in London, im Englischen Garten in München oder im Bois de Boulogne in Paris immer wieder Hunde mit sorgfältig geschneiderten und dekorierten Wämsen und Mäntelchen ihre Runden drehen, so bleibt doch die bewusst gewählte textile Bekleidung eines der Merkmale, die uns Menschen recht eindeutig vom Tier unterscheidet. Während man als sicher annehmen kann, dass das Fell des erlegten Tieres am Anfang aller Bekleidung stand, also kein Textil im eigentlichen Sinne, rührt die Frage nach dem Beginn der textilen Kultur an ein äußerst komplexes Thema. Vermutlich haben hier, je nach Welt- und Klimaregion, verschiedene Pflanzenfasern, allen voran die Flachsfaser und damit das Leinen mit einem Alter von mehreren zehntausend Jahren die Nase vorn. Ob dann – mit einem zeitlich großen Abstand – die Wolle vom Schaf oder die Baumwolle neue Dimensionen textiler Möglichkeiten eröffneten, ist unter Archäologen und Historikern ungeklärt. Sicher ist indessen, dass die Baumwolle, versponnen, gewebt, gefärbt und auf vielfältige Weise verarbeitet und dekoriert, Ursprung und Herz der indischen Wirtschaft ist und mindestens bis in die Zeit der frühen Induskultur zurückreicht. Wie in fast allen Kulturkreisen entwickelten Weber und Färber auch auf dem Subkontinent Textilien zu einer Kunstform und schließlich auch zum Handelsobjekt. In dem neuen Buch über indische Textilien der Karun Thakar Collection findet sich zunächst eine sehr lesenswerte, lebendige Geschichte früher indischer Textilien von John Guy, Kurator am New Yorker Metropolitan Museum. Freilich haben sich im tropischen und subtropischen Klima Indiens keine frühen Textilien erhalten, jedoch erlauben Skulpturen und Malerei, beispielsweise die berühmten Wandmalereien in den Höhlen von Ajanta aus dem 6. Jahrhundert, sowie frühe Palmblatthandschriften eine vage Rekonstruktion von Typen, Mustern und Designs. Schriftliche Quellen, vor allem aus China, offenbaren, dass Indien spätestens mit Beginn unserer Zeitrechung der wichtigste Lieferant Asiens für Baumwolltextilien aller Art gewesen ist. So wurden die ältesten bekannten indischen Textilien, bedruckte und bemalte Baumwollstoffe und Ikatgewebe auch nicht in Indien, sondern in der Inselwelt Südostasiens gefunden, wo sie als hochverehrte Kultobjekte über Jahrhunderte besonders sorgfältig aufbewahrt wurden. Für die ersten Europäer waren indische Textilien daher zunächst ein willkommenes Tauschobjekt für den Erwerb der begehrten und wertvollen Gewürze, bevor nach und nach auch in Europa eine Nachfrage nach diesen exotischen Textilien entstand, die im 17. und 18. Jahrhundert ihren Höhepunkt erlebte. Hier schließt sich nahtlos der zweite Essay von Rosemary Crill der vormaligen Kuratorin für indische Textilien am Victoria & Albert Museum an, die über die Textilien von der Zeit des Moghul-Reiches bis heute schreibt und damit über einen Zeitraum berichtet, der mit Textilien der Karun Thakar Collection anschaulich belegt werden kann. Dies freilich, wie Rosemary Crill anmerken muss, nur zu einem sehr kleinen Teil, denn der gesamte Corpus indischer Textilien ist von einer Vielfalt und Komplexität, dass auch eine äußerst umfangreiche Sammlung wie die von Karun Thakar nicht das gesamte Spektrum indischer Textilien abdecken kann, sondern nur einige Gruppen und auch dies nur mit einigen wichtigen und beispielhaften Stücken. Und so ist es sehr zu begrüßen, wie stets bei der Vorstellung von individuellen Sammlungen, dass auch der Sammler zu Wort kommt und darüber spricht, wie und warum er gesammelt hat, wo seine Schwerpunkte lagen, wie sie sich gewandelt haben und wofür die Sammlung letztendlich steht. Hier ist neben vielen persönlichen Bekenntnissen vor allem festzuhalten, dass sich Karun Thakar nie als Eigentümer der von ihm versammelten Schätze empfunden hat, sondern stets nur als Wächter über historisches Material für einen sehr begrenzten Zeitraum mit der daraus folgenden Verpflichtung zur Publikation und auch zur Abgabe an Museen, was von ihm auch tatsächlich bereits umgesetzt wurde. Doch nun zu den Textilien der Sammlung: Der Reigen beginnt mit frühen bedruckten Baumwollstoffen aus Gujarat und von der Koromandelküste, die vom 14. bis zum 18. Jahrhundert zunächst für den indonesischen Markt und später auch für Europa hergestellt wurden. Einige der herausragenden Stücke sind Leihgaben des Sammlers an das Victoria & Albert Museum. Es folgen so genannte Tempel-Textilien, Wandbehänge, meist mit Motiven aus der hinduistischen Mythologie bemalte Baumwollstoffe aus dem 18. und 19. Jahrhundert, bevor sich ein umfangreiches Kapitel mit Kaschmir-Schals beschäftigt, wobei einige Exemplare aus dem 18. Jahrhundert hervorzuheben sind. Den bestickten Hochzeitstextilien aus dem Punjab, den „Pulkhari“, auch solchen mit figürlichen Motiven, folgt ein umfangreicher Sammlungsteil mit volkstümlichen Webarbeiten und Stickereien aus Gujarat, Rajasthan und Sindh, mit Arbeiten der Kantha und Banjara, bis hin zu einer aus zahlreichen Streifen mit tye-dyed gefärbten tigmas zusammengesetzten, festlichen Chuba aus Ladakh, die den thematischen Rahmen eigentlich schon sprengt. Einige rumals, Gold- und Silberstickereien des 19. und 20. Jahrhunderts und Textilien aus dem Swat Valley beschließen den Reigen. Komplette Jacken, Mäntel und Hemden von der Koromandelküste, aus Kaschmir, Sindh und Swath sind von musealer Qualität und die zahlreichen seitengroßen und oft vergrößerten Detailausschnitte vermitteln wertvolle Einblicke in Struktur und Färbetechnik. Hier allerdings ist Kritik anzubringen: Solche Detailfotos ohne zusätzlich das zugrunde liegende Textil vollständig zu zeigen, wie in dem Buch vielfach praktiziert, entwerten diese Information zur bloßen Dekoration.

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