White Linen Damasks I – Heraldic Motifs from the Sixteenth Century to circa 1830

Autor/en: Cornelis A. Burgers
Verlag: Abegg-Stiftung
Erschienen: Rggisberg 2014
Seiten: 564 in zwei Bänden
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: CHF 280,00
ISBN: 978-3-905014-56-3
Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 2014

Besprechung:
Wie in jedem Jahr verführt das Mekka der Textilfreunde im Berner Oberland auch 2014 zu einer Pilgerreise nach Riggisberg. Dort zeigt die Abegg-Stiftung in ihren neu gestalteten Museumsräumen unter dem Titel „Mittelalterliche Textilien im Reliquienkult“ spektakuläre Seidengewebe, Altartücher, Reliquienbehälter und Textilfragmente, wie sie in dieser Zusammenstellung und Qualität kaum je wieder zu sehen sein werden. Prachtvoll gemusterte Seidenstoffe und andere Textilien aus dem erst 2009 geöffneten Schrein des im Jahre 1038 verstorbenen hl. Godehard, Bischof von Hildesheim, wurden in der Abegg-Stiftung restauriert und sind hier erstmals zu sehen. Ein weiterer Höhepunkt sind die lange Zeit verschollen geglaubten Textilien aus dem berühmten Welfenschatz. Wer sich nun aufmacht, diese Ausstellung zu besuchen, sollte nicht versäumen, das Wohnhaus der Stifter Werner und Margaret Abegg zu besichtigen, ein wahres Juwel europäischer Wohnkultur. Obwohl erst Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts vollendet, vereint die im Stil des oberitalienischen Barock errichtete Villa Abegg Möbel, Gemälde, Skulpturen, Tapisserien und Einrichtungsaccessoires höchster Qualität von der Renaissance bis zum Rokoko. Wohnkultur ist auch Tischkultur und so ist in der Villa Abegg, die den Charakter eines bewohnten Hauses bewahrt, im Speisezimmer stets eine in Erwartung geladener Gäste mit erlesenem Porzellan, Glas und Silber gedeckte Tafel zu sehen. Feine Tischwäsche aus Damast rundet das Bild und führt zurück zur Textilsammlung. Im Jahre 1961 erwarb Werner Abegg aus fürstlichem Besitz eine erste Tafelausstattung des 18. Jahrhunderts aus Leinendamast mit figürlichen Darstellungen. Mit weiteren Zukäufen und Schenkungen entstand im Laufe der Jahre eine kleine aber repräsentative Sammlung weißer Leinendamaste. In den 80er und 90er Jahren wurde dann in mehreren Tranchen die private niederländische Sammlung C.A.Burgers und J.G. du Preez erworben, mit der die Abegg-Stiftung heute eine der in Qualität und Quantität weltweit bedeutendsten Sammlungen früher weißer Leinendamaste besitzt. Die komplette Bearbeitung des Bestandes, der in 1200 Inventarnummern 1700 Tischdecken, Servietten und Handtücher umfasst, hat nun mit einem ersten Band begonnen, der mit 152 Katalognummern den Bestand dieser Textilien mit heraldischen Motiven vom 16. Jahrhundert bis etwa 1830 erfasst. Das Thema ist bewusst und gut gewählt, denn die seit dem 15. Jahrhundert unter den Herzögen von Burgund in Flandern und den Niederlanden erstmals nach dem Vorbild mamlukischer und italienischer Seidenstoffe gewebten Leinendamaste waren äußerst kostspielige Repräsentationstextilien, die in der Regel zu besonderen Anlässen, fürstlichen Hochzeiten etwa, in Auftrag gegeben und ja nach Geschmack des Bestellers eher versteckt oder an dominanter Stelle mit den Familien- oder Allianzwappen versehen wurden. Neben dieser Heraldik ist natürlich, entsprchend den fast unbegrenzten technischen Möglichkeiten dieser Webart, das ganze Spektrum an Darstellungen zu sehen, wie sie damals beliebt und gebräuchlich waren: Szenen aus Bibel oder Mythologie, Stadtansichten, Jagdmotive, Schlachtendarstellungen und Allegorien bis hin zu einer großen Vielfalt an Mustern aus Flora und Fauna. Manche sind datiert aber auch die Heraldik ermöglicht vielfach eine exakte Datierung, die dann hilft, auch neutrale Exemplare zu bestimmen. Das alles ist, wie von den sechs bereits vorliegenden Bestandskatalogen der Abegg-Stiftung gewohnt, mit wissenschaftlicher Akribie und Tiefe beschrieben und kommentiert, mit Hinweisen auf Provenienz, Vergleichsstücke und Literatur versehen und, wie es dem heraldischen Charakter dieser Textilien zukommt, in den historischen Kontext gestellt. Die Besonderheit dieses Kataloges ist, dass Sammler und Autor – bis auf die webtechnischen Analysen, die von Vendulka Otavská und Agnieszka Woś Jucker erarbeitet wurden – ein und dieselbe Person ist: Cornelis A. Burgers hat die von seinem Vater Gerard Johan Burgers (1890-1956), dem Direktor einer angesehenen Leinen- und Damastweberei, Anfang der dreißiger Jahre begründete Sammlung nach dessen Tod übernommen und zur größten privaten Sammlung alter weißer Leinendamaste ausgebaut. Als Kurator für angewandte Kunst und später für Textilien im Amsterdamer Rijksmuseum und fest eingebunden in die niederländische Textilszene, konnte es keinen idealeren Autor für diese spezifisch niederländische Ausprägung der Webkunst geben als ihn, der aus erster Hand die Geschichte dieser grandiosen Sammlung erzählt. Seine umfassende Kenntnis anderer, meist öffentlicher Sammlungen dieses Genres, sein Zugang zu Schränken und Kammern für die Tischwäsche alter niederländischer Familien einschließlich der Leinenkammer des Königspalastes Noordeinde in den Haag, dem Amtssitz der niederländischen Dynastie Oranien-Nassau, offenbart sich in einem Reichtum an Informationen, der über das, was die präsentierten Objekte erzählen weit hinaus geht. Integriert in den Katalog sind Essays – ebenfalls aus der Feder von Cornelis Burgers – über berühmte Leinenweber wie Passchier Lammertijn (1562/63-1621) und Pieter Langendyk (1683-1756) oder über die Geschichte einzelner Familien, wie sie auch aus ihrer Tischwäsche ablesen lassen. Die heraldischen Motive machen die Tischdecken, Servietten und Handtücher damit zu Teilen eines historischen Puzzles, das neugierig macht auf eines der interessantesten Kapitel der nordeuropäischen Geschichte der Neuzeit. Europäische Bündnis- und Heiratspolitik, wie sie insbesondere im spanischen Erbfolgekrieg eine wesentliche Rolle gespielt hat, in dem neben der niederländischen Dynastie Oranien-Nassau, unter anderen auch die Habsburger, die Bourbonen, das englische Königshaus und sogar die bayerischen Wittelsbacher mitmischten, spiegelt sich in der Tischwäsche jener Zeit. Servietten mit den Wappen oder Portrait Heinrichs des VIII, der Königinnen Anna Boleyn und Elisabeth I, Philips V von Spanien oder des Habsburgers Karl VI, um nur ganz wenige zu nennen, mögen hier als Beispiel dienen. Die komplizierte und aufwändige, jede Art der Darstellung erlaubende Technik der Leinendamaste, bei der das Bild Ton in Ton durch den Wechsel von Kett- und Schussatlas gebildet wird, hat eine faszinierende Textilgattung geschaffen, die in dem vorliegenden, ersten großen, wissenschaftlichen Katalog zum Thema beispielhaft vorgestellt wird. Erst die Erfindung des Jacquard-Webstuhls am Anfang des 18. Jahrhunderts hat dann den Leinendamast zu einem industriellen und damit für breite Kreise erschwinglichen Erzeugnis gemacht. Aber das ist ein anderes Thema.

Print Friendly, PDF & Email