Der Kirchenschatz von St. Leonhard – Goldschmiede- und Textilkunst, 16. bis 20. Jahrhundert

Autor/en: Karen Stolleis
Verlag: Verlag Schnell & Steiner
Erschienen: Regensburg 2013
Seiten: 208
Ausgabe: Hardcover
Preis: € 49,95
ISBN: 978-3-7954-2515-9
Kommentar: Michael Buddeberg, März 2013

Besprechung:

Für den Liebhaber früher Textilkunst ist es eine rundum erfreuliche Tatsache, dass nach und nach die in deutschen Domen, Münstern und Kirchen verwahrten, oft kaum bekannten oder noch nie veröffentlichten und in diesen Kirchenschätzen über Jahrhunderte, sei es in Form von Paramenten, Reliquienhüllen oder Fragmenten erhaltenen Textilien nun in sorgfältigen wissenschaftlichen Editionen publiziert werden. Den Büchern über die Kirchenschätze aus dem Dom zu Brandenburg (Regensburg und Riggisberg 2005), aus Sankt Nicolai in Stralsund (Riggisberg 2008) und dem Dom zu Halberstadt (Regensburg 2008), um hier nur die schönsten dieser in den letzten Jahren erschienenen Bände zu erwähnen, folgt nun das Buch über den Kirchenschatz zu St. Leonhard in Frankfurt. Zehn Jahre sorgfältiger Bestandsaufnahme und Forschung im Auftrag des Bistums Limburg erschließen nicht nur einen bisher nahezu unbekannten Kirchenschatz aus kostbaren Gold- und Silberarbeiten, frühen Altarleuchtern und bedeutenden Messgewändern aus seltenen Gold-, Silber- und Seidenstoffen, sondern auch ein Stück Frankfurter Stadt- und Kirchengeschichte. Gegründet im Jahre 1219 war St. Leonhard bis ins späte Mittelalter eine wichtige Pilgerstation auf dem Weg nach Jerusalem und auf dem Jacobsweg nach Santiago de Compostela. Die große Krise kam 1803 mit der Säkularisation und dem Übergang in weltlichen Besitz. Der Abriss von St. Leonhard und die Errichtung eines Börsengebäudes auf dem frei werdenden Gelände durch die Stadt Frankfurt waren schon geplant und konnten nur durch Carl Theodor Freiherr von Dalberg (1744-1817), dem letzten Mainzer Erzbischof und Erzkanzler des Reichs verhindert werden. Über die Zuweisung von reichem liturgischen Inventar aus zwei der Profanierung zum Opfer gefallenen Kirchen, der altehrwürdigen Karmeliterkirche und dem Gotteshaus des Dominikanerklosters, wurde St. Leonhard mit seinem reichen Kirchenschatz gar zu einem Gewinner der Säkularisation. Die etwa 80 Gold- und Silberwerke stammen aus fast allen wichtigen europäischen Gold- und Silberschmiedezentren, wobei allerdings Arbeiten Augsburger Handwerker deutlich überwiegen. Sie geben einen Überblick über die Entwicklung liturgischen Geräts vom 16. bis zum 20. Jahrhundert . Mit Ausnahme eines prachtvollen Kelchs aus dem Beginn des 16. Jahrhunderts fehlen allerdings die wirklich frühen, mittelalterlichen Arbeiten, waren doch Geräte aus Gold und Silber stets auch eine Vermögensreserve, auf die man in Notzeiten zurückgegriffen hatte. Ergänzt werden die Geräte durch eine Sammlung von mehreren Dutzend Kirchenleuchtern aus Silber und vor allem Messing, deren früheste Exemplare über die Stifterwappen als Geschenke eines Frankfurter Tuch- und Spezereihändlers aus dem 15. Jahrhundert identifiziert werden konnten. Diesem Schatz an Zahl und Bedeutung ebenbürtig sind die kostbaren liturgischen Gewänder, vor allem die mehr als zwanzig vollständig oder in Teilen erhaltenen Messornate und Kaseln aus reich gestalteten Lampas-, Damast- oder Gros-de-Tours-Geweben aus der Blütezeit der französischen Seidenweberei. Sie geben einen fast lückenlosen Überblick über die stilistische Entwicklung der Seidenweberei in Lyon und Tours vom Ende des 17. Jahrhunderts bis um 1750. Es beginnt mit charakteristischen Beispielen der so genannten „bizarren“, das sind exotisch und fernöstlich beeinflusste Muster, mit großflächig asymmetrischen Gestaltungen aus phantastischen Pflanzenformen in extrem hohem und breitem Rapport, setzt sich fort mit einem Ornat aus grün-weißer Seide mit Spitzenmuster, um dann mit mehreren Gewändern einen reichen Überblick über die naturalistischen Seidenstoffe zu geben. Es sind dies meist große Pflanzenmotive in asymmetrischer Ordnung und unrealistischen Größenverhältnissen, die im Details aber sehr naturnah gezeichnet sind und zwischen 1730 und 1750 gewebt wurden. Weitere 8 Ornate und Kaseln mit prachtvoller Stickerei aus dem 18. Jahrhundert geben einen Eindruck von der Vielfalt an gestalterischen Möglichkeiten im Bereich der Stickerei, die ganz andere Freiheiten in der Wahl der Motive und Gestaltung der Fläche gewährte, als die an die Mechanik des Webstuhls gebundene Seidenweberei. Über die erhaltenen und ausgewerteten Inventare vor allem der Karmeliter- und der Dominikanerkirche ließ sich in zahlreichen Fällen die damals übliche Zweitverwendung von Hofkleidern für die Herstellung dieser Paramente nachweisen. Zu erwähnen ist hier ein außergewöhnlich festlicher Ornat aus französischem Silbergewebe, das überaus reich mit feinstem Goldmaterial bestickt wurde. Hergestellt wurde der Ornat aus dem Hochzeitskleid der Sophie Christine Luise von Brandenburg-Bayreuth, der ersten Gemahlin des Erbprinzen Alexander Ferdinand von Thurn und Taxis, die am 11. April 1831 in Frankfurt geheiratet hatten. Ein anderer Ornat aus der Dominikanerkirche mit ausnehmend schöner Gold-, Silber- und bunter Seidenstickerei bizarrer und chinoiser Muster auf weißem Seidengewebe – vermutlich die gestickte Nachbildung eines der damals hochbegehrten ostindischen Importstoffe – stammt aus zwei Kleidern von bayerischen Prinzessinen und wurde von Kaiserin Maria Amalia dem Dominikanerkloster geschenkt. Über die Erfassung und die Darstellung der Technik und der Schönheit dieser Paramente hinaus eröffnet des Buch über den Kirchenschatz von St. Leonhard damit neue und interessante Erkenntnisse zur Frankfurter Stadt- und Kirchengeschichte.

Print Friendly, PDF & Email