Paramentenbesatz im Wandel der Zeit – Gewebte Borten der italienischen Renaissance

Autor/en: Ruth Grönwoldt
Verlag: Abegg Stiftung und Hirmer Verlag
Erschienen: Riggisberg und München 2013
Seiten: 474
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: € 128,00
ISBN: 978-3-905014-57-0 (Abegg-Stiftung), 978-3-7774-3765-1 (Hirmer Verlag)
Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 2013

Besprechung:
1951 im Londoner Victoria & Albert Museum begegneten sich die Studentin der Kunstgeschichte Ruth Grönwoldt und die so genannten „Florentiner Borten“ zum ersten Mal. Die Begegnung war nachhaltig und prägend. 1957 erschien Ruth Grönwoldts Dissertation zu dem Thema „Die Gewebte Borte des 15. und 16. Jahrhunderts aus Florenz und Venedig“. Auch der weitere Lebens- und Berufsweg der Kunsthistorikerin Ruth Grönwoldt in den USA, Italien und Deutschland, zuletzt als Hauptkonservatorin und Leiterin der Textilsammlung des Württembergischen Landesmuseums in Stuttgart, war von Stickereien und Geweben bestimmt. Und die Faszination der frühen Begegnung mit den gewebten Borten der italienischen Renaissance blieb bestehen, eine Faszination, die sich daraus ergab, dass diese Borten wie kaum eine andere Gattung angewandter Kunst eine enge Verbindung zur bildenden Kunst ihrer Zeit haben und so die vielfältigen Wechselbeziehungen innerhalb der Künste widerspiegeln. Ruth Grönwoldt forschte weiter, sammelte Material, gewann neue Erkenntnisse und entdeckte immer wieder Zusammenhänge, ein ganzes Forscherleben lang. Und jetzt, mittlerweile 90jährig, kann sie stolz sein auf ihr soeben publiziertes, eindrucksvolles Lebenswerk „Paramentenbesatz im Wandel der Zeit – Gewebte Borten der Italienischen Renaissance“, mit dem ihr ohne jeden Zweifel der Titel der Doyenne der deutschen Textilforschung gebührt.

Die gewebten Borten aus den frühen Zentren der oberitalienischen Seidenweberei zeigen weit überwiegend figürliche Szenen mit christlichen Motiven. Gewebt wurden sie in senkrechten oder waagerechten Streifen und fanden Verwendung als Besatz von kirchlichen Gewändern. Chormantel und Kasel, Dalmatik und Tunicella, selbst Antependien wurden durch Borten in bestimmter und festgelegter Anordnung verziert. Da die für die Paramente verwendeten Stoffe in der Regel völlig neutrale und auch für weltliche Kleidung geeignete Muster zeigten, waren es die gestickten oder gewebten Besätze, die den eigentlichen geistlichen, theologischen Gehalt vermittelten, die auf den Inhalt der liturgischen Handlung verwiesen oder auf den Zusammenhang mit kirchlichen Festen und Heiligen. Gewiss sind die gewebten Borten der sehr viel älteren und berühmten Stickereikunst des Mittelalters verhaftet; sie waren aber billiger, entwickelten ihren eigenen Charakter, wurden in großen Mengen gefertigt und verbreiteten sich in ganz Europa. Und mit ihnen verbreitete sich die Kunde von der grandiosen Blüte der italienischen Renaissance, die ihre Höhepunkte in der Malerei und Skulptur fand und in der Architektur und in deren Beiwerk wie Reliefs, Altaraufbauten und dergleichen mehr. Und damit sind wir wieder bei der Faszination der gewebten Borten, die Teil dieser Renaissance-Kunst sind, indem sie Figuren und Szenen aus dem Formenreichtum der hohen Kunst entlehnten, so sehr, dass sich nicht selten sogar die Meister oder deren Handschrift bestimmen lassen. All dies wird von Ruth Grönwoldt in Wort und vor allem Bild überzeugend und in nicht zu übertreffender Tiefe und Kenntnis vorgetragen. Weite Teile des Buches sind zugleich der Textilkunst und der hohen bildenden Kunst gewidmet, wie sie sich in Malerei, Skulptur, Zeichnung und Architektur ausdrückt. Dabei sind zwei Bereiche zu unterscheiden. Der eine, den Bildquellen zuzurechnende Teil sind die Kunstwerke, auf denen solche Borten wiedergegeben sind. Bei der Wiedergabe von geistlichen Würdenträgern, Heiligen und biblischen Gestalten – und das waren die bevorzugten Szenen der italienischen Renaissance des 14 bis ins 16. Jahrhundert – verwendeten die Maler bei der Gestaltung geistlicher Gewänder gerne diese Borten. Auch wenn dabei häufig malerische Phantasie ein Rolle spielen mag, so ist diesem Beiwerk in der Regel eine hohe Wirklichkeitssnähe zu attestieren wie die Übereinstimmung des Dargestellten mit heute noch existierenden Beispielen solcher Borten vielfach belegt. Eine Aposteldarstellung von Botticelli aus den Uffizien, ein Heiliger Bischof von Fra Angelico aus dem Louvre und Albrecht Dürers „Rosenkranzfest“ aus der Prager Nationalgalerie mögen hier für Rang und Qualität der vorgestellten Kunstwerke stehen. Der andere und für die so wichtige Bestimmung von Herkunft und Herstellungszeit der Borten wesentlichere Teil sind die Kunstwerke, die den Entwerfern der Borten als Anregung und Vorbild gedient haben. Auch hier wieder sind es berühmte Namen, die diese Bilder, Skulpturen, Zeichnungen und Reliefs schufen, Figuren und Szenen, denen wir auf den gewebten Borten wieder begegnen. Paolo Uccello, Filippo Lippi, Benozzo Gozzoli, Fra Angelico, Sandro Botticelli, die Familie della Robbia, Domenico Ghirlandaio, Donatello, Perugino und Giorgio Vasari – alle, die in der italienischen Renaissance Rang und Namen hatten sind hier mit ihren Werken und deren Bezug auf die von Ruth Grönboldt nach Technik und Motiven gebildeten Gruppen der gewebten Borten vertreten. Die so nachgewiesenen Querverbindungen haben zur Folge, dass im Gegensatz zu anderen textilen Arbeiten des Mittelalters die Datierung und Lokalisierung der gewebten Borten mit einer gewissen Sicherheit erfolgen kann. Lucca, Florenz und Venedig sind die Zentren der im 15. und 16. Jahrhundert florierenden Bortenweberei, die als Teil der Seidenweberei zu den wichtigsten Grundlagen der wirtschaftlichen Entwicklung oberitalienischer Städte gehörte. Zunftwesen und Handel werden ausführlich behandelt und aus dem, was aus Archiven, Inventaren und anderen Quellen bekannt ist, darunter die Geschäftsunterlagen zweier Florentiner Seidenhändler, entsteht ein lebendiges Mosaik eines florierenden Handwerks im Mittelalter. Der umfangreiche Katalogteil beschreibt über 200 dieser Borten; jede wird mit dem Ziel der Datierung und Lokalisierung einer genauen Analyse nach technischen, ikonographischen und motivhistorischen Gesichtspunkten untersucht. Sie stammen aus 60 Museen, Sammlungen sowie Kloster- und Kirchenschätzen in Europa und den USA. Darüber hinaus findet sich eine Fülle von Hinweisen, wo sich weitere oder ähnliche Exemplare befinden. Eine umfassende und bewundernswerte Arbeit, die Frucht eines langen und leidenschaftlichen Forscherlebens.

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