Chinese Silks

Autor/en: Dieter Kuhn (Hrsg)
Verlag: Yale University Press, Foreign Language Press
Erschienen: New Haven New York Beijing 2012
Seiten: 572
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: USD 85,00
ISBN: 978-0-300-11103-3
Kommentar: Michael Buddeberg, März 2013

Besprechung:
In den frühen chinesischen Dynastien der Shang und Zhou (ca. 1600-256 v.Chr.) war Seide ähnlich hoch geschätzt wie Jade. Gewebt und bestickt oder geschnitzt waren sie Träger symbolischer Botschaften, Wünsche und Vorstellungen. Auch im alten Rom galten Seidengewebe aus dem geheimnisvollen, fernen Land „Seres“ als überaus kostbar und wurden gar mit Gold aufgewogen. „When Silk was Gold“ war daher der beziehungsreiche Name einer Ausstellung zentralasiatischer und chinesischer Textilien, die 1997 und 1998 im Cleveland Museum of Art und im Metropolitan Museum in New York stattfand. Das zu diesem Anlass erschienene Katalogbuch von James Watt und Anne Wardwell wurde zum Standardwerk über chinesische Seide von den Dynastien der Tang (618-907) bis Ming (1368-1644). Ausstellung und Buch waren gleichsam der Schluss- und Höhepunkt einer über ein Jahrzehnt andauernden Periode, als nie zuvor gesehene chinesische Gewebe, Stickereien und Roben aus tibetischen Klöstern und Tempeln den Westen erreichten und ein bis zu diesem Zeitpunkt fast geschlossenes Fenster der chinesischen Textilgeschichte weit öffneten. Tatsächlich stammten ein großer Teil der in Cleveland und New York gezeigten Textilien aus diesen tibetischen Quellen. Dass damals im chinesischen Kernland bereits in großem Stil archäologische Forschung betrieben wurde, war zwar bekannt, doch die ausgegrabenen, meist in kleinen Provinzmuseen verwahrten und konservatorisch und wissenschaftlich ungenügend aufbereiteten Textilien konnten nur in Ansätzen vom Westen wahrgenommen werden. Das hat sich in den vergangenen 15 Jahren dramatisch verändert. China hat nicht nur ökonomisch den Anschluss an den Westen gefunden, auch Forschung und Wissenschaft erreichen inzwischen ein hohes Niveau, und die Zusammenarbeit chinesischer mit westlichen Wissenschaftlern ist eng und befruchtend. Auf dieser Grundlage existiert seit 10 Jahren die bei Yale University Press erscheinende Publikationsreihe „The Culture and Civilization of China“, deren jüngster Band der chinesischen Seide gewidmet ist. Der Bogen dieser umfassenden Enyklopädie spannt sich in neun ausführlichen Kapiteln von den ersten Anfängen chinesischer Seidenproduktion vor ca. 5000 Jahren bis in die späte Qing-Dynastie (1644-1911). Der Herausgeber des Bandes, Prof. em. Dieter Kuhn, Sinologe an der Universität Würzburg, einer der renommiertesten Fachleute zur Technologie der Seidenherstellung und -Verarbeitung, eröffnet den Reigen mit einem äußerst detaillierten Überblick über die Entwicklung und Bedeutung der chinesischen Seidenweberei von den frühesten Anfängen bis zum Mittelalter. Kuhn schreibt von der eminenten Wichtigkeit der Seide in China und der herausragenden Rolle, die sie stets in der chinesischen Kulturgeschichte gespielt hat. Dies nicht allein der Schönheit wegen, sondern vor allem als Ausdruck von Status, Macht und Reichtum. Seidengewebe und Nadelarbeiten definierten höfischen und klerikalen Rang, waren Gegenstand kaiserlicher Gunstbeweise, Besteuerungsgrundlage und Zahlungsmittel, Währung für Tributzahlungen, hochwillkommenes Präsent für Gesandte fremder Länder und sie gehörten zu den wichtigsten Objekten des Handels zwischen Ost und West. Der ungeheure Aufwand an unterschiedlicher Kleidung und Accessoires für jede denkbare Gelegenheit übertraf sogar die offizielle und strenge Kleiderordnung. Diese herausgehobene Bedeutung von Mode und Textilien im alten China war auch Ursache für einen steten Innovationsdruck, der immer neue Techniken des Webens, Färbens und Stickens hervorgebrachte. Der technischen Entwicklung, den sich stets weiter verfeinernden, komplizierten Webtechniken, den dazu benötigten Webstühlen und dem damit erreichten höchsten Niveau an Kunstfertigkeit, Technik und Technologie, widmet der Autor breiten Raum. Die weiteren Kapitel, durchweg von hochrangigen chinesischen Autoren, behandeln chinesische Seide chronologisch in der Abfolge der Dynastien. Es beginnt mit dem mittleren Neolithikum, aus dem nur mittelbare Zeugnisse über diesen frühen Beginn der Seidenweberei erhalten sind wie beispielsweise die Nachbildung einer Seidenraupe aus Jade. Der älteste und sehr bedeutende archäologische Seidenfund in einem Grab in Mashan in der Provinz Hubei stammt aus der Zeit der streitenden Reiche (475-221 v.Chr.) und markiert einen ersten technischen und ästhetischen Höhepunkt. Es sind Seidengewebe in denen sich geometrische mit Tiermotiven abwechseln, vor allem aber hinreißend elegante Stickereien mit arabeskenhaft dargestellten Drachen, Tigern und Phönixvögeln. Die folgenden Dynastien der Qin, Han und Wei, also etwa der Zeitraum von 200 v.Chr. bis 400 n.Chr. soll hier mit dem 1995 in Niya in Xinjiang ausgegrabenen Textilschatz aus der Zeit der Han-Dynastie vertreten sein, mit polychromen Seidengeweben, bei welchen die aus Fabeltieren und Inschriften bestehenden Muster aus farbigen Kettfäden gebildet werden. Danach, während der Nördlichen und Südlichen Dynastien, der Sui-, der Tang- und der 5 Dynastien hatte die Seidenstraße ihre Blütezeit, was die über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten in Astana unweit der Oase Turfan in Xinjiang ausgegrabenen Textilien belegen. Aus den Dynastien der Song und der Yuan sind hier unter anderen die feinen Wirkarbeiten, die den Eindruck gemalter Bilder vermitteln, sowie prächtige Goldstoffe hervorzuheben. Die Dynastien der Ming und Qing sind dann vor allem mit Webarbeiten, Stickereien und Roben vertreten, die sich in den kaiserlichen Sammlungen, vor allem in Beijing, bis heute erhalten haben. Neben der detaillierten Beschreibung der technischen Entwicklung und der Muster und ihrer Herkunft, liegt die Bedeutung dieses bisher vollständigsten und umfangreichsten Buches über chinesische Seide in der Zusammenfassung, Darstellung und Abbildung archäologischer Textilfunde seit mehr als 50 Jahren und aus einigen Dutzend, über das gesamte China verstreuter Museen. Unter ihnen haben das Palast Museum in Beijing, das National Silk Museum in Hangzhou, das Archäologische Museum in Xining und ganz besonders das Institut für Kulturelle Dokumente und Archäologie in Urumqi eine besondere Stellung inne, doch was sich darüber hinaus in den zahlreichen kleinen Provinz- und Stadtmuseen, zum Teil in Orten, deren Namen man noch nie vernommen hat, an hier erstmalig veröffentlichten textilen Kostbarkeiten verbirgt, ist überraschend und bereichernd und mit insgesamt 650 Abbildungen eindrucksvoll belegt. Natürlich gehören in ein solch breit angelegtes Werk auch die Zeugnisse chinesischer Textilkunst in japanischen und westlichen Museen und es fehlt daher auch nicht an Beispielen aus Kyoto und Nara, aus St.Petersburg, Riggisberg und Taipei, aus London, Wien und Paris und schließlich aus Cleveland und New York. Die wichtige Rolle aber, die Tibet und die tibetische Geschichte bei so vielen in den Westen gelangten Exemplaren chinesischer Seidenweberei und Seidenstickerei gespielt hat, findet nirgendwo Erwähnung, was zu den Feststellung führen könnte, dass die chinesische Wissenschaft doch noch nicht ganz im Hier und Jetzt angekommen ist. Gleichwohl ein rundum empfehlenswertes Buch, das gewiss für lange Zeit den Standard setzen wird.

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