Die Teppich-Sammlung des Staatlichen Museums für Völkerkunde

Autor/en: Manfred Ruth, Regina Stumbaum (Hrsg)
Verlag: Staatliches Museum für Völkerkunde
Erschienen: München 2012
Seiten: CD-ROM
Ausgabe: CD-ROM
Preis: € 20.–
ISBN: entfällt
Link: www.voelkerkundemuseum-muenchen.de
Kommentar: Michael Buddeberg, April 2012

Besprechung:
Zuverlässige Angaben über den prozentualen Anteil der dem Museumsbesucher präsentierten Objekte gegenüber dem in den Depots verwahrten Gesamtbestand werden von Museen nur ungern verbreitet. Die Zahlen, werden sie einmal bekannt, verbreiten Unbehagen und provozieren Grundsatzfragen nach der Aufgabe und Funktion von Museen in unserer Zeit. Im besten Fall ist ein kleiner, nach wenigen Prozent bemessener Anteil der Schätze eines Museums der Öffentlichkeit zugänglich, eine Zahl, die ganz klar signalisiert, dass viele der einst von den Museumsdirektoren und -Kuratoren, von beauftragten Reisenden oder von privaten Sammlern erworbenen und den Depots übergebenen Objekte niemals das Licht der Öffentlichkeit erblicken oder, schlimmer noch, schlicht vergessen werden. Die sich daraus ergebende Möglichkeit, in Museen Entdeckungen zu machen, vergleichbar etwa mit archäologischen Funden, ist hier nur geringer Trost. Besonders betroffen von diesem Dilemma sind natürlich Objekte, deren Ausstellung wegen ihrer Größe oder Empfindlichkeit technische und konservatorische Schwierigkeiten bereitet, wie das bei Teppichen der Fall ist. Teppich-Präsentationen oder gar Ausstellungen gehören daher zu den Rarissima der Museumslandschaft, deren Sequenz meist nur in Jahrzehnten gemessen werden kann. Eine Ausnahme ist hier das Museum für Islamische Kunst in Berlin, das in seiner Dauerausstellung knapp 50 Teppiche seiner großartigen, insgesamt allerdings mehr als 500 Stücke umfassenden Sammlung zeigt. Doch auch der kürzlich hierzu erschienene Katalog beschränkt sich im Wesentlichen auf diesen Teil der Sammlung; der große Rest bleibt Liebhabern und Wissenschaft vorenthalten. So verdient eine von Manfred Ruth und der Textilrestauratorin Regina Stumbaum erarbeitete Objekt-Dokumentation der Knüpfteppich- und Flachgewebesammlung des Staatlichen Museums für Völkerkunde München, mit über 1000 Stücken gewiss die umfangreichste ihrer Art in Deutschland, größtes Lob und Beachtung. Die nun in drei Bänden mit fast 1000 Seiten vorliegende Arbeit ist allerdings kein Bestandskatalog sondern, wie schon der Titel besagt, lediglich eine Dokumentation dessen, was Eingangsbücher, Sammlerkarteien, Karteikarten und Archivunterlagen des Museums hergaben, ergänzt um Farbfotos jedes einzelnen Stückes. Damit wird eine Sammlung bekannt und erlebbar, die sowohl eine Reihe von höfischen Kunstwerken und Erzeugnisse städtischer Manufakturen als auch eine Vielzahl von Teppichen und kleineren Knüpf- und Webarbeiten aus der Lebenswelt von Bauern und Nomaden umfasst. Qualitativ reicht die Bandbreite von einem seltenen frühen Mamluken-Teppich aus Ägypten (16. Jh.) über Fragmente von Lotto-Teppichen aus Anatolien (16. u. 17. Jh.), persischen Vasen- (17. Jh.) und Moghul-Teppichen (frühes 17. Jh.) bis zu chinesischen Teppichen des frühen 18. Jahrhunderts. Von großem Interesse ist es auch, zu erfahren, welchen Sammlern diese Vielfalt zu verdanken ist. Da ist vor allem Reinhard Hubel zu erwähnen, einer der ersten, der sich als Forscher und Sammler den nur für den eigenen Gebrauch hergestellten Teppichen und Flachgeweben der Bauern und Nomaden gewidmet hat. Seine Sammlung verleiht mit etwa einem Drittel der gesamten Münchner Kollektion einen wesentlichen Schwerpunkt. Diese Hubel-Sammlung hier erstmals komplett im Bild vor sich zu haben, bereitet echte Entdeckerfreude. Liebhaber von Teppichen der Turkmenen werden mit Interesse die Hauptteppiche, Taschen und Zeltbänder der Sammlungen Hubel und Merzbacher studieren und ein Wiedersehen mit der Sammlung von Toni Woger feiern, die zuletzt vor einem Vierteljahrhundert zu sehen war. Ein weiterer, kleiner Schwerpunkt der Münchner Sammlung sind klassische Fragmente, so etwa die bedeutenden Mogul-Fragmente, die 1928 als Geschenk von Imre Schwaiger von Delhi nach München kamen, sowie Fragmente von Lotto-, Vogel-Uschak- und verschiedenen frühen persischen Teppichen aus mehreren Sammlungen, darunter ein anbetungswürdiges Fragment eines Tschintamani-Teppichs des 16. Jh. aus Kairo. Lucian Scherman (1864-1946), der unvergessene Direktor des Museums von 1907 bis zu seiner Vertreibung durch die Nationalsozialisten, hat seinem Museum nicht nur wichtige Fragmente übergeben sondern auch zwei im Jahre 1911 in Darjeeling erworbene tibetische Teppiche, ein der einschlägigen Literatur bisher unbekanntes Ereignis, das die Anzahl der bereits früh in Museen gelangten Teppiche aus Tibet von bisher 4 auf nunmehr 6 erhöht. Auch frühe ostturkestanische Stücke, darunter ein quadratischer Teppich mit filigraner Rankenbordüre und Wolkenmuster im Fond aus der Sammlung Bacher und ein frühes Sitzteppichpaar aus der Sammlung Emil Preetorius sind eine Bereicherung der spärlichen Literatur zu dieser Provenienz. Reiches Material ist auch zu chinesischen Teppichen des 17. und 18. Jahrhundert zu finden, darunter das große Fragment eines Teppichs aus der Zeit des Kaisers Kangxi (reg. 1662-1722), ebenfalls aus der Sammlung Preetorius, das mit seinem monumentalen Drachenmedaillon in einem Feld kleiner Wolken nach einem Kommentar von Michael Franses weltweit ein Unikat darstellt. Beachtlich auch der Bestand schöner anatolischer Kelims aus den Sammlungen Friedrich Spuhler und Johannes Wolff-Diepenbrock ebenso wie die Cuval-Sammlung von Herwig Bartels. Ein Fostat-Fragment, Filzteppiche aus Zentralasien, Siebenbürger, die umfangreiche Sammlung des Kunsthistorikers und Begründers der wissenschaftlichen Uhrenliteratur, Ernst von Bassermann-Jordan und vieles, das noch genauer Deutung und Zuschreibung bedarf, soll hier nicht der Vollständigkeit halber, sondern um neugierig zu machen, erwähnt werden. Last but not least gelangte eine der bedeutendsten Sammlungen persischer Bildteppiche, die der Maler und Sammler Karl Schlamminger zusammengetragen hat, 2002 in das Münchner Völkerkundemuseum. Alles in allem also ein Bestand, der ein eigenes Teppichmuseum, etwa als Zweigmuseum des Münchner Völkerkundemuseums in einem geeigneten baulichen Ambiente, als schönen Wunschtraum entstehen lässt. Mit der Dokumentation der Sammlung, die auch Anreiz für weitere Sammlungen sein kann und soll, ihren Weg in dieses Museum zu finden, ist hierfür ein wichtiger Anfang gemacht.

Die CD-ROM ist über das Staatliche Museum für Völkerkunde, Maximilianstr. 42, 80538 München, d.schaefer@mfv.bayern.de, zum Preis von € 20.– zuzüglich Versandkosten zu erwerben. Sie enthält lediglich den Bildteil der Dokumentation mit jew. Inventarnummer und knappen Angaben zur Herkunft. Die komplette Dokumentation ist nicht für den Handel bestimmt, kann aber in der Bibliothek des Museums zum Studium und zur Ergänzung eingesehen werden.

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