Silk and Cotton – Textiles from Central Asia that was

Autor/en: Susan Meller
Verlag: Abrams
Erschienen: New York 2013
Seiten: 336
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: USD 60,00
ISBN: 978-1-4197-0674-1
Kommentar: Michael Buddeberg, Januar 2015

Besprechung:
Liest man im Klappentext, dass die traditionellen Textilien Zentralasiens weitgehend unbekannt sind, regt sich Widerstand. In zu guter Erinnerung sind Ignatio Voks wunderbare Bücher über seine Sammlung von Susanis oder der Band über die zentralasiatischen Stickereien des Sammlerehepaars Marshall und Marylin Wolf, immer wieder erneuert durch Berichte über Auktionsrekorde, die mit diesen Susani in jüngster Zeit erzielt wurden. Auch die typischen Webarbeiten der Region, die attraktiven bunten Ikats, sei es als Wandbehang oder zu Chapans, den landesüblichen Kaftanen verarbeitet, wurden durch Sammlungskataloge, vor allem aber durch vermehrte Marktpräsenz seit dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums bekannt und sind hoch geschätzt. Vertiefte Monographien über die Textilien einzelner Stämme, etwa der Karakalpaken oder der Lakai kamen hinzu, blieben aber recht vereinzelt. Beschäftigt man sich dann näher mit dem Buch von Susan Meller, das – wie es der Klappentext vermerkt – 580 Textilien der Sammlung der Autorin aus dem 19. und 20. Jahrhundert in Farbe abbildet, wird schnell klar, dass die provokante Behauptung so falsch gar nicht ist. Susani und Ikat sind tatsächlich nur die sprichwörtliche Spitze eines Eisberges unter der sich eine unendliche Vielfalt und Vielzahl von Stickereien und Webarbeiten verbirgt, wobei geknüpfte Textilien, also Teppiche und Zeltbänder, sowie Vorratstaschen strikt ausgeklammert sind. Verwundern kann diese Vielfalt nicht, geht es doch bei Zentralasien um eine Region, die in ihrer Größe ganz grob gesehen in etwa Westeuropa entspricht. Dabei ist vorauszuschicken, dass „Zentralasien“ ein überaus schillernder Begriff ist, den Historiker, Geologen, Ethnologen, Geographen oder Politiker ganz unterschiedlich definieren. Und in der Tat, ob Teile der Mongolei, Tuwa, das südliche Russland, der Norden von Afghanistan und Pakistan und schließlich die Siedlungsgebiete der Uiguren oder gar der Tibeter zu Zentralasien gehören, ist je nach Standpunkt ganz unterschiedlich zu beurteilen. Wie dem auch sei, für Susan Mellers Buch besteht Zentralasien ganz klar aus den ehemaligen sozialistischen Sowjetrepubliken und heute selbständigen Staaten Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan, Tadschikistan und Kirgisistan. Das ist auch sinnvoll, denn einer der Schwerpunkte des Buches sind Textilien, die im zwanzigsten Jahrhundert unter sowjetischer Herrschaft bis zu deren Ende entstanden sind. Das sind, wie die Autorin anmerkt, nicht die herausragenden Stücke, wie sie in öffentlichen und privaten Sammlungen zu finden sind, nicht die alten und seltenen Teile, die das Sammlerherz erfreuen und auch nicht die feinsten Qualitäten, sondern Textilien für jede Lebenslage, für den Haushalt, die Alltagskleidung und für besondere Gelegenheiten wie Aussteuer, Hochzeit, Geburt und Andacht. Und es ist das erste Buch das, jedenfalls in dieser Breite und Tiefe zeigt, dass auch unter der sowjetischen Herrschaft und der kommunistischen Ideologie, die das Traditionelle und Althergebrachte infrage stellte und durch Neues zu ersetzen suchte, die Traditionen nicht untergingen sondern weiterhin gepflegt wurden. Und das nicht nur im privaten, häuslichen Bereich sondern, man staune, auch in der kollektivierten und industrialisierten sowjetischen Welt. Das ist vielleicht die erstaunlichste Nachricht aus diesem Buch, dass unter sowjetischer Herrschaft und Ideologie nicht nur versucht wurde, die hochkomplizierte Herstellung von Ikatgeweben aus zuvor in Abbindetechnik eingefärbten Ketten und/oder Schüssen industriell herzustellen, sondern dass dies auch gelungen ist und dass das Tragen von Gewändern aus Ikatstoffen niemals aus der Mode kam. Es wurde in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts bis zum Ende der Sowjetunion geradezu zum Boom und die Verwendung synthetischer Garne und Farben bis hin zur vereinfachten Herstellung und schließlich sogar zum bloßen Druck war dann nur die konsequente Umsetzung des Industrialisierungswahns. Immerhin, das Fortbestehen und die Pflege von Traditionen war wohl der wesentliche Faktor dafür, dass nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Systems Anfang der neunziger Jahre die handwerklichen Fertigkeiten der Stickerei und des Färbens und Webens echter Ikate rasch wiederbelebt werden konnten und dass heute in den genannten Nachfolgestaaten wieder sehr qualitätvolle Ikatstoffe und Susanis hergestellt werden. Doch das ist schon nicht mehr Thema von Susan Mellers Buch. Ihre Themen sind nach einer Einführung in die komplexe Geschichte Zentralasiens und seiner nomadischen und sesshaften Bevölkerung die Textilien aus Seide und Baumwolle in ihrer bunten Vielfalt vom 19. Jahrhundert bis zum Ende des sowjetischen Systems. Geordnet ist das nicht nach Stämmen, Volksgruppen oder Ländern, sondern nach dem Gebrauchszweck: Bekleidung für Erwachsene, also Roben für Männer und Frauen in allen Formen, Techniken und Materialien bilden das erste und umfangreichste dieser Kapitel, gefolgt von solchen über Kinderbekleidung, Kopfbedeckungen, Susanis, Haushaltstextilien, Tierschmuck und Stoffe. Jedem dieser Kapitel ist eine Einführung vorausgeschickt, die detailliert in das Thema einführt und seine Besonderheiten herausstellt, etwa den Zusammenhang von Material und Rang bei den Roben der Männer, die Häufigkeit von applizierten Amuletten bei Kindergewändern oder die identitätsstiftende Bedeutung des Dekors von Hauben und Mützen. Zu jedem einzelnen Objekt findet sich neben der Abbildung auch eine knappe Beschreibung sowie Angaben zur ethnischen und/oder geographischen Herkunft und zum Alter. Dies und der Umfang der Sammlung von Susan Meller machen ihr Buch zu einer Enzyklopädie zentralasiatischer Textilien, wie es sie bisher nicht gegeben hat. Garniert ist dies mit vielen Dutzend historischer Aufnahmen von der Basaren und Produktionsstätten zentralasiatischer Textilien aus der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts, wobei den Fotos von Max Penson (1893-1959), dem staatlich beauftragten Fotografen des sowjetischen Realismus in Zentralasien herausragende dokumentarische und historische Bedeutung zukommt.

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