Wari – Lords of the Ancient Andes

Autor/en: Susan E. Bergh (Hrsg)
Verlag: Cleveland Museum of Art und Thames & Hudson
Erschienen: Cleveland und London 2012
Seiten: 296
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: USD 60,00
ISBN: 978-0-500-51656-0
Kommentar: Michael Buddeberg, Januar 2013

Besprechung:
Als Franzisco Pizarro 1532 an der peruanischen Küste landete und sich mit seinen Konquistadoren anschickte das Reich der Inka zu erobern war deren Geschichte und Herkunft kein Thema. Im Rausch der militärischen Überlegenheit und der Gier nach immer mehr Gold und Silber hatten Dokumentation und Geschichtsforschung keinen Platz. Zerstörung, Mord und Raub besiegelten in wenigen Jahrzehnten das Schicksal dieses präkolumbianischen Reiches. Doch es gab eine rühmliche Ausnahme: Pedro de Cieza de Léon gehörte zwar ebenfalls zur spanischen Soldateska, war jedoch ein sorgfältiger Beobachter und schrieb nieder, was er sah. Seine 1550 publizierte legendäre Crónica del Perú wurde zur einzigen Quelle über Land und Leute aus jener Zeit. Aus ihr weiß man, dass Cieza im Jahre 1548 in der Trockensteppe des peruanischen Hochlandes in 2.800 m Höhe geheimnisvolle Ruinen entdeckt und mit dem Instinkt eines Amateurarchäologen erkannt hatte, dass sie aus einer anderen, sehr alten Zeit stammen mussten. Es vergingen dann aber nicht weniger als 400 Jahre, bevor sich Forscher erneut diesen Ruinen zuwandten und in Verbindung mit archäologischen Funden Erstaunliches herausfanden. Damals in der Mitte des 20. Jahrhunderts, glaubte man fest, dass die Inkas Nachfolger der Kultur von Tiahuanaco waren, die in ihrer Hauptstadt am Titicaca-See im Westen des heutigen Bolivien mit monumentalen ikonographischen Steinskulpturen unübersehbare Zeichen gesetzt hatten. Zeitlich fast parallel aber war im Hochland von Peru eine Zivilisation entstanden, die man heute nach dem Namen der Region, in der sich die von Cieza erstmals gesehen Ruinen ihrer Hauptstadt befinden, Huari (englisch: Wari) nennt. Nach Jahrzehnten der Forschung gibt es kaum noch einen Zweifel, dass die Huari in der Zeit von 600 bis 1000 n.Chr. eines der größten und komplexesten, kulturell und politisch bedeutsamsten Reiches in den zentralen Anden, das erste derartige Imperium Südamerikas überhaupt, entwickelten und damit wohl die wahren Ahnen der Inkas sind. Man schließt das aus den archäologischen Befunden aus ihrer Hauptstadt und zahlreicher lokaler Verwaltungszentren, vor allem aber aus den meist aus Gräbern geborgenen Objekten von herausragender Schönheit, exquisiten Textilien, polychromer Keramik, kleinen Skulpturen aus Stein und Holz mit eingelegten Ornamenten aus Mineral und Metall, entworfen und hergestellt von den begabtesten Künstlern, die je in den Anden gearbeitet haben. Vornehmlich diesen Schöpfungen und Kunstwerken ist der Katalog einer Ausstellung gewidmet, die ihren Auftakt 2012 in Cleveland erlebte und im Jahre 2013 noch in Fort Lauderdale und in Fort Worth zu sehen sein wird. Der Katalog mit seinen Essays über die Entstehung des Reiches der Huari, über seine politischen und gesellschaftlichen Grundlagen, über seine Religion, Feste und Rituale ist aber darüber hinaus ein Dokument für die erstaunliche Leistungsfähigkeit moderner Archäologie und Geschichtsforschung, denn wie in allen präkolumbianischen Kulturen Südamerikas hatten die Huari keine Schrift, gibt es keine historischen Quellen, keine Feldforschung und keine Augenzeugenberichte früher Reisender. Und es gibt, ganz im Gegensatz zu Tiahuanaco, auch keine monumentalen steinernen Zeugen, die eine Geschichte von Macht und Reichtum erzählen, sondern es sind fast ausschließlich Werke der so genannten angewandten Kunst, Gefäße, Schmuck, Spiegel, Werkzeuge und vor allem Textilien, aus denen die Forscher das Bild einer Zivilisation formten, die ihresgleichen sucht. Tuniken aus kompliziert gewirkten Stoffen, nützliche Ton- und Holzbehältnisse, kostbare persönliche Kleinigkeiten, eine bloß dekorative Kunst also und von geringerem Rang in der westlichen Hierarchie der Künste, könnte man meinen. Sie war aber bei den Huari von zentraler Bedeutung für Politik, Religion, Ökonomie und Technologie, sie war die Resource und das intellektuelle Kapital, war Ausdruck von Ansehen und Macht, unterstützte die Verbreitung religiöser und politischer Ideen und funktionierte in Abwesenheit von Schrift als dauerhafte Form der Kommunikation. Bleiben wir bei den Textilien, auch bei den Huari wie bei anderen präkolumbianischen Völkern die Königsdisziplin unter den Handwerken, die in zwei Erscheinungsformen – oder sogar drei, wenn man die spektakulären Feder-Textilien mit einbezieht – ausführlich behandelt werden. Da sind einmal die Tuniken, eine Art Hemden mit einfachem Schnitt, doch mit äußerst dekorativen Mustern, die in einer komplizierten Wirktechnik hergestellt wurden, die sich vor europäischen Tapissierien aus deren Blütezeit im 16. Jahrhundert nicht verstecken muss, sie vielfach gar übertrifft. Sie sind wohl eines der ästhetisch bedeutungsvollsten und technisch innovativsten textilen Erbes dieser Welt, deren geheimnis- und geistvolle und durch Verzerrung und Verformung nur schwer zu verstehende Bildsprache in einer geometrischen Abstraktion gipfelt, die wir heute als ausgesprochen modern bewundern. Im Gegensatz zu den oft nur fragmentarisch erhaltenen Exemplaren werden hier fast zwei Dutzend vollständiger Tuniken aus zahlreichen Museen und Sammlungen in Nord- und Südamerika und Europa gezeigt und beschrieben. Die andere große Gruppe sind in Plangi-Technik gemusterte Tücher oder Tuniken, die ebenfalls durch die komplizierte Methode ihrer Herstellung faszinieren. Geometrisch gemusterte Webstoffe wurden zerschnitten, die einzelnen Teile mit Plangi-Mustern versehen und dann wieder zu Tuniken zusammengesetzt, die durch das Wechselspiel geometrisch abgesetzter Flächen mit den verspielten reservegefärbten Streumustern eine ästhetische Wirkung entfalten, der man sich nicht entziehen kann. Sie mögen nicht die repräsentative und staatstragende Bedeutung gehabt haben, wie ihre bedeutungsvollen gewirkten Gegenstücke, ihre kompositorische und farbliche Wirkung aber macht sie in gleicher Weise zu einzigartigen und faszinierenden Kunstwerken. Nichts anderes gilt für die mit bunten Federn von Vögeln aus den Regenwäldern kolorierten Feder-Textilien, für andere Kleinkunst und für die große Gruppe polychrom mit Tieren, Göttern und Geistwesen bemalter Keramik. Die in dem Katalogbuch gezeigten 170 Objekte aus dem Andenreich der Huari sind große Kunst und vermögen es locker, den erst seit der Renaissance und nur im Westen gemachten Unterschied zwischen Kunst und Kunsthandwerk vergessen zu lassen.

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