Geknüpfte Kunst – Teppiche des Museums für Islamische Kunst

Autor/en: Anna Beselin
Verlag: Staatliche Museen zu Berlin, Edition Minerva
Erschienen: Berlin und München 2011
Seiten: 208
Ausgabe: broschiert
Preis: € 24,80
ISBN: 978-3-938832-80-6
Kommentar: Michael Buddeberg, März 2012

Besprechung:
Im Jahre 1987 – an eine Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten wagte niemand ernsthaft zu denken – erschien Friedrich Spuhlers Katalog der Orientteppiche des Museums für Islamische Kunst in Berlin (West). Das nur noch in Antiquariaten gehandelte Buch ist ein ausführlicher wissenschaftlicher Bestandskatalog von mehr als 200 nach den Verlusten und Wirren des Zweiten Weltkrieges im Westteil von Berlin verbliebenen oder dorthin gelangten Teppiche der einstmals weltberühmten Berliner Teppichsammlung einschließlich der Erwerbungen seit 1945. Vier Jahre später war Deutschland wiedervereint und die Museen zogen alsbald nach. Aus dem Museum für Islamische Kunst in Dahlem und dem Islamischen Museum auf der Ostberliner Museumsinsel wurde wieder ein einziges Museum, das im Jahre 2001 im Pergamonmuseum glanzvoll eröffnet wurde. Auch die Teppichsammlung ist wiedervereint, auch wenn hier schwere Kriegsverluste zu beklagen sind. Eine ganze Anzahl von Teppichen aus dem Vorkriegsbestand ist bis heute schlicht verschollen; am schwersten wiegt jedoch der Totalverlust von 20 großen klassischen Teppichen, denen man aus konservatorischen Gründen die Tortur, sie zu Ballen gefaltet per Förderkorb in die Sicherheit von Salzbergwerken zu bringen, nicht zumuten wollte. Die großen Rollen verblieben so im Tieftresor der Reichsmünze in Berlin, wo sie in einer Nacht im März 1945 durch Phosphorbomben und Wasser bis auf kleinste Reste zerstört wurden. Gleichwohl, die Berliner Teppichsammlung ist mit einem Bestand von heute etwa 500 Teppichen aufgrund ihrer Geschichte und der beachtlichen Anzahl sehr früher, außergewöhnlicher und für ihre jeweilige Gruppe repräsentativer Exemplare von herausragender internationaler Bedeutung. Es wäre daher nahe liegend gewesen, den Spuhlerschen Katalog aus 1987 mit einem Folgeband auf neuestem wissenschaftlichen Stand um die dort nicht behandelten Teppiche zu ergänzen. Die Staatlichen Museen zu Berlin haben einen anderen Weg gewählt. Für die Reihe der „Sammlungen des Museums für Islamische Kunst Berlin“ wurden in enger Anlehnung an die im Museum ständig ausgestellten Stücke 45 Teppiche ausgewählt. Zugegeben, es sind die wichtigsten und die spektakulärsten Exemplare, und das Angebot eines preiswert an der Museumskasse zu erwerbenden Handbuchs für den von dieser orientalischen Kunst beeindruckten Besucher ist anzuerkennen, doch an dem Wissenschaftsanspruch eines Museums geht eine solche Publikation eigentlich vorbei. Wäre da nicht Anna Beselin, die als Autorin – unverständlich, warum sie nur als Herausgeberin bezeichnet wird, denn bis auf das Vorwort von Stefan Weber sind alle Texte ganz offensichtlich von ihr geschrieben – das wirklich Beste aus dieser gewiss nicht einfachen Aufgabe gemacht hat. In einer leicht zu lesenden, unprätentiösen, knappen und präzisen Sprache mit kurzen Sätzen vermittelt Anna Beselin weit mehr an Teppichwissen als es die Beschreibung von 45 Highlights der Sammlung erfordern würde. Dies gilt insbesondere für die Einleitung, die sich nach der zutreffenden Feststellung, dass kaum eine andere außereuropäische Kunstgattung kontinuierlich so geschätzt und bewundert wurde wie die der Knüpfteppiche, dem 19. Jahrhundert zuwendet, als die Etablierung des Faches der islamischen Kunstgeschichte den Teppich in ein ganz neues Licht gerückt hat. Es war die Stunde Berlins und des großen deutschen Kunsthistorikers und Museumspioniers Wilhelm von Bode. Schon als knapp dreißigjähriger begann er in Italien Teppiche zu kaufen, die sich dort oft seit Jahrhunderten in Kirchen, Synagogen und Palazzi befunden hatten. Es ist sein Verdienst, dass 1904 das Museum für Islamische Kunst mit seinem monumentalen Wahrzeichen, der Fassade des Wüstenschlosses von Mschatta, als Teil der königlichen Museen eröffnet werden konnte. Gleichsam als Morgengabe überließ von Bode dem Museum knapp zwei Dutzend der schönsten und wichtigsten Teppiche aus seinem privaten Besitz, die noch heute den Kern dieser bedeutenden Sammlung bilden. Nicht weniger als 22 der nun im Buch vorgestellten Teppiche sind Erwerbungen Wilhelm von Bodes und zu ihnen gehören solche Unikate wie der einzigartige Drachen-Phönix-Teppich, der spanische Synagogen-Teppich und der oft als schönster Teppich gerühmte türkische Gebetsteppich mit dem großen Wolkenband, den von Bode 1971 in Venedig für den Maler Heinrich von Angeli kaufte. Die Wiege von Teppichwissenschaft und -Literatur stand in Berlin und selbstverständlich finden neben von Bode auch Julius Lessing, Friedrich Sarre und Kurt Erdmann gebührende Erwähnung ebenso wie die durch diese „Berliner Schule“ der Teppichwissenschaft begründete Methode, Gemälde mit der Darstellung von Teppichen als wichtige Quelle für die Typisierung und Datierung von Teppichen heranzuziehen: „Lotto“, „Holbein“, „Bellini“ oder „Ghirlandaio“ sind daher Bezeichnungen für bestimmte im 15., 16. und 17. Jahrhundert beliebte Muster, die alle mit repräsentativen und zum Teil einzigartigen Beispielen in Berlin vertreten sind. Den dann insgesamt neun folgenden Kapiteln, eingeteilt nach Herkunft und Entstehungszeit, von frühen anatolischen Teppichen über die klassischen Stücke aus Anatolien, aus dem Osmanischen Reich, aus Persien, Ägypten, dem Kaukasus und Spanien bis nach Indien sind jeweils einführende Passagen vorangestellt, die die Teppiche aus diesen Regionen in den zugehörigen historischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmen stellen. Hier finden sich auch Bildzitate berühmter und vergleichbarer Teppiche aus anderen Sammlungen, etwa des Marby-Teppichs aus dem Historischen Museum in Stockholm oder des prachtvollen Teppichs aus Ardabil, heute im Victoria & Albert, und weiterhin, getreu der „Berliner Schule“, zahlreiche klassische Gemälde mit der Darstellung von Teppichen. Der Aufgabe, den interessierten Besucher des Museums für Islamische Kunst, der möglicherweise an den dort gezeigten, nach modernsten museologischen Erkenntnissen präsentierten und beleuchteten Teppichen Gefallen gefunden hat, umfassend in die Welt der Teppiche einzuführen, wird das Buch von Anna Beselin in bester Art und Weise gerecht.

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