Sacred and Secular – The Piccus Collection of Tibetan Rugs

Autor/en: Robert P. Piccus
Verlag: Serindia Publications
Erschienen: Chicago 2011
Seiten: 294
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: USD 65.–
ISBN: 978-3-932476-55-2
Kommentar: Michael Buddeberg, Oktober 2011

Besprechung:
Mit der im Frühjahr und Sommer 2011 vom New Yorker Rubin Museum of Art ausgestellten Sammlung Baylis und dem von Thomas Cole dazu verfassten Katalog sah der Rezensent den tibetischen Teppich dort angekommen, wo er lange nicht vermutet worden ist, nämlich als ein anerkanntes Produkt unverfälschter und kreativer Volkskunst einer Nation (vgl. die Besprechung von „Patterns of Life – The Art of Tibetan Carpets“ im Juli 2011). Das soeben bei Serindia erschiene Buch des amerikanischen Sammlers Robert Piccus dürfte nun auch die letzten Vorurteile eingefleischter Zweifler ausräumen, die als tibetischen Teppich stets nur die synthetisch-farbenfrohen Knüpferzeugnisse aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit der Darstellung tanzender Schneelöwen, perlen-spielender Drachen und durch Bumbushaine pirschender Tiger vor Augen haben. Robert Piccus hat in dem Buch über seine Sammlung auf diese Motive ebenso verzichtet wie auf Teppiche mit chinesischer Glückssymbolik oder auf solche mit Lotosblumen, Päonien, blühenden Pflaumenzweigen und anderen floralen Darstellungen. Das ist zum einen eine Frage des persönlichen Geschmacks des Sammlers, zum anderen aber eine zwangläufige Folge der bewussten Beschränkung auf Teppiche, die in Tibet vor der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert geknüpft wurden. Beides hat miteinander zu tun. Von 1968 bis 2000 lebte Robert Piccus mit seiner in Shanghai geborenen Frau Alice in Hongkong. Er sammelte vietnamesische Keramik, klassische chinesische Möbel, chinesische Teppiche aber auch Tibetica, nämlich Buchdeckel aus Holz und Ritualobjekte aus Silber. Die damit selbstverständliche, frühe Begegnung mit tibetischen Teppichen, es waren jene mit den tanzenden Schneelöwen & Co., die Refugees auf der Flucht vor der Roten Armee über den Himalaya getragen hatten, konnte den engagierten Sammler nicht begeistern. Das änderte sich Mitte der 80er Jahre. China hatte aus Hunger nach Devisen die mehr als dreißig Jahre hermetisch verschlossenen Grenzen Tibets für einen kontrollierten Tourismus geöffnet. Reisende, Händler und Sammler brachten aus Tibet Teppiche mit einem Design, das der Westen nie zuvor gesehen hatte. Es öffnete sich, wie Piccus schreibt, ein „window of opportunity“, die einzigartige Möglichkeit, eine Sammlung von zuvor unbekannten Kunstwerken aufzubauen. Der erfahrene, ästhetisch geschulte und anspruchsvolle Sammler nahm diese Gelegenheit wahr und trug von 1988 bis 1998 eine Sammlung früher tibetischer Teppiche zusammen, die ihresgleichen sucht und die in dieser Qualität und Quantität heute nicht mehr realisierbar wäre. Die Sammlung Piccus mit ihrem Schwerpunkt auf dem traditionellen tibetischen Teppich des 19. Jahrhunderts – im Buch werden 186 Teppiche abgebildet, beschrieben und sorgfältig analysiert – stellt alle bisher publizierten Sammlungen tibetischer Teppiche durch das Alter und die hohe formale und farbliche Qualität der Stücke in den Schatten. Alleine zwei Dutzend der Teppiche unterschiedlichen Formats weisen die begehrten, abstrakten Tigermuster auf, und die wohl ausschließlich für den Gebrauch in Klöstern und Tempeln bestimmten Teppiche mit der „warp faced back“ Knüpftechnik mit zum Teil bisher nicht gesehenen Mustervarianten sind mit über 30 Exemplaren vertreten. Weitere Gruppen sind Teppiche mit einem Design, das von Textilien übernommen wurde, hier vor allem von den in Tibet so beliebten und in Abbindetechnik hergestellten tigma- oder Kreuzchen-Muster-Textilien, sind Teppiche mit Medaillons, die an den zentralasiatischen Ursprung tibetischer Teppichkunst erinnern, nomadische, in mehreren Bahnen gewebte tsukdruks, frühe Sattelteppiche und ein paar außergewöhnliche, nur durch Abrasch und sparsamste Muster geprägte, minimalistische Arbeiten. Sie alle eröffnen eine auch für Kenner tibetischer Kunst neue ästhetische Dimension. So werden nun auch die eingangs zitierten Zweifler einräumen müssen, dass tibetische Teppiche des 19. Jahrhunderts nicht nur eine sammelnswerte, sondern auch durch ihre formale und farbliche Qualität außergewöhnliche Gattung darstellen, von ihrer Seltenheit ganz zu schweigen. Der sehr lesenswerte, von Robert Piccus selbst verfasste Text ist eine Zusammenfassung dessen, was man heute über die Ursprünge und Entwicklung des tibetischen Teppichs weiß – mangels früher Feldforschung ist es leider herzlich wenig. Vor allem aber schreibt Puiccus die Geschichte der Rezeption des tibetischen Teppichs durch den Westen und das ganz persönliche Abenteuer des Sammlers, in dem „window of opportunity“ von 1988 bis 1998 diese Sammlung zusammengetragen zu haben. Robert Piccus ist als Insider der Szene wie kaum ein anderer berufen, hierüber zu schreiben. Er war in Hongkong und in Kathmandu an Ort und Stelle als die ersten dieser zuvor unbekannten Teppiche vom Dach der Welt herunter kamen, er verfiel mit einigen weiteren Sammlern und Händlern dem ästhetischen Reiz dieser Stücke, sah staunend, wie Monat für Monat neue Exemplare mit immer wieder anderen Mustern und Designideen auf den Markt gelangten und wie schließlich anfangs der 90er Jahre mit den wangden-dromtse und nochmal ein Jahrzehnt später mit den nomadischen tsukdruks gänzlich unbekannte Typen von Teppichen auftauchten und rasch wieder verschwanden. Mit Robert van Grevenbroeck, allgemein als „Dutch-Bob“ bekannt, Thomas Cole, Nicholas Wright, Mimi Lipton, Tony Aninos, und einigen anderen gehörte Robert Piccus zu der kleinen Gruppe von Begeisterten, die als erste das Potential des alten tibetischen Teppichs erkannten und dafür sorgten, dass diese Werke einer genuinen Volkskunst mit gewiss Jahrhunderte alten Wurzen gesammelt, gehandelt und geschätzt wurden. Man ist erinnert an die Entdeckung des anatolischen Kelims, die etwa zwei Jahrzehnte früher ebenfalls einer Gruppe junger Enthusiasten zu verdanken war. Mit dem vom Autor schließlich dokumentierten Einzug in Museen, mit einer Anzahl von Ausstellungen und Katalogen und der Publikation von Sammlungen hat der tibetische Teppich den Weg vom vernachlässigten Exoten zum sammelnswerten Objekt erfolgreich bestritten. Das Buch von Robert Piccus ist hierfür der beste Beleg. Nur in einem Punkt muss der Rezensent dem Autor widersprechen. Die von Piccus bewusst nicht in die Sammlung aufgenommenen Teppichmuster mit tanzenden Schneelöwen, mit Drache und Phönix oder auch mit großen Lotos- und Päonienblüten und ähnlichen Motiven sind keine aufgrund fremder Einflüsse und für den Kommerz geknüpfte Teppiche. Sie sind vielmehr Ausdruck eines Wandels von Geschmack und Stil, wie er sich unter der Regierung des XII. Dalai Lama um die Wende vom 19. in das 20. Jahrhundert allmählich vollzog. Tibet begann, auch unter dem Einfluss der gewaltsamen Younghusband-Expedition und der britischen Präsenz in Lhasa, nach außen zu schauen, stellte überkommene Traditionen in Frage und öffnete sich einer behutsamen Modernisierung. Die Tradition, Teppiche für den eigenen Gebrauch zu knüpfen, änderte sich indessen nicht. Auch die Teppiche im neuen Stil sind daher, vorausgesetzt alle formalen und farblichen Kriterien stimmen, durchaus genuine Werke der Volkskunst. Neben den unbezweifelbaren Qualitäten des hohen Alters und der fast durchgängigen Verwendung von Naturfarben bei traditionellen tibetischen Teppichen ist es daher eine Frage des persönlichen Geschmacks, für welche Gruppe man sich entscheidet. Sammelnswert sind sie alle.

Print Friendly, PDF & Email