Textiles and Dress of Gujarat

Autor/en: Eiluned Edwards
Verlag: Viktoria & Albert Publishing, Mapin Publishing
Erschienen: Ahmedabad, London 2011
Seiten: 248
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: 35.– engl. Pfund
ISBN: 978-1-851776-45-0 (V&A)
Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 2011

Besprechung:
„Colours of the Indus.“ Das war der Titel des schon 1998 erschienenen Buches von Nasreen Askari und Rosemary Crill über Textilien und Kostüme in Pakistan. „Colours of the Indus“ könnte auch der Obertitel der nun, wiederum vom Victoria & Albert Museum vorgelegten Publikation über Textilien und Kostüme aus Gujarat lauten. Die textilen Traditionen dieser Regionen, also die aus Punjab oder Sindh in Pakistan, aus dem indischen Gujarat oder dem nördlich davon gelegenen Rajasthan, haben alle ihren Ursprung in den frühen Zivilisationen des Industales. Dort wurde vor etwa 4.500 Jahren zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit Baumwolle kultiviert, wurden Baumwollgewebe mit Pflanzenfarben gefärbt und entwickelte sich eine der lebendigsten und reichsten textilen Kulturen dieser Welt. Zahlreiche archäologische Funde, Spindeln, Nadeln und Teile von Webstühlen und sogar Gewebereste sowie Anlagen und Gerätschaften zum Färben belegen dies zweifelsfrei. Die politische Grenze, die seit 1947 Pakistan und Indien trennt und seither nicht nur für einen ethnisch-religiösen Dauerkonflikt sorgt, sondern auch die Wanderung von Nomaden und die Reise von Pilgern zu ihren verehrten Heiligenschreinen unterbrochen hat, ändert nichts daran, dass das Industal mit seinen fruchtbaren Schwemmebenen, den Nebenflüssen und den angrenzenden Trockenwüsten Thar und Thal textilhistorisch eine Einheit bildet. So erfasst denn auch das erste Kapitel des Buches von Eiluned Edwards über die Geschichte der Textilien und Kostüme von Gujarat nicht nur die erst 1960 aus dem Zusammenschluss zahlreicher kleiner Prinzenstaaten hervorgegangene Provinz Gujarat, sondern den geographischen Großraum des gesamten nordwestlichen Indien. Frühgeschichte und Mittelalter, die Zeit der Sultanate, der Höhepunkt an Macht und Reichtum unter den Mogul-Kaisern und deren Niedergang, das Kolonialreich der Briten und schließlich die Zeit von 1947 bis heute sind die hier behandelten, geschichtlichen Abschnitte. In all diesen Perioden waren Textilien und vor allem der Handel mit diesen Textilien ein dominierender Faktor indischer Lebenswirklichkeit. Längst vor dem Eintreffen europäischer Handelsschiffe an den Küsten Gujarats blühte der von Indern, Arabern und Chinesen betriebene Handel mit indischen Textilien nach Südostasien, Afrika und nach Westen bis in den Mittelmeerraum. Die Ähnlichkeit der im ägyptischen Fostat gefundenen Fragmente indischer Textilien des 10. bis 15. Jahrhunderts mit denen, die man als Kultobjekte unversehrt und wohlverwahrt in südostasiatischen Familienschreinen fand, dokumentiert den die ganze damals bekannte Welt umspannenden Handel mit indischen Textilien. Seefahrende Kaufleute erkannten das nicht sogleich, stand doch der Gewinne versprechende Handel mit exotischen Gewürzen zunächst im Vordergrund. Ganz anders europäische Reisende, die am Hofe der Mogulkaiser angesichts der opulenten Fülle golddurchwirkter Textilien und überbordenden Luxus aus dem Staunen nicht herauskamen. Unter anderem waren es diese Berichte, die dann die europäische Orientbegeisterung auslösten, mit der indische Textilien integraler Teil europäischer Einrichtung und Mode und damit wichtigster Bestandteil des Indienhandels wurden. Das blieb so bis die junge englische Textilindustrie im 19. Jahrhundert damit begann, den indischen Markt mit billigen Baumwollstoffen – natürlich aus indischer Baumwolle – zu überschwemmen und damit ganze Heerscharen indischer Textilhandwerker arbeitslos machte. An diese flüssig und kenntnisreich geschriebene und mit vielen Zitaten europäischer Reisender aufgelockerte Geschichte indischer Textilien schließen sich weitere Kapitel an, die im Detail und reich illustriert die Bestandteile und Konstruktionen indischer Textilien beschreiben, die Materialien und Techniken des Färbens, hier insbesondere die Abbindetechniken wie tie-dye und Ikat, sowie weitere Dekorationstechniken wie Blockdruck, Bemalung und Stickerei. Mit dem Kapitel Stickerei, ergänzt um verwandte Techniken wie quilten, patchwork und Applikationen, eröffnet sich zugleich ein Blick in die ungemein bunte und vielfältige Welt indischer, textiler Volkskunst. Die reichen Bestände des Victoria & Albert Museum, Stücke aus privaten Sammlungen und zeitgenössische Fotografien zeigen die Sorgfalt, Liebe und Phantasie, mit der Frauen und Mädchen aus Gujarat, Rajasthan und Sindh ihre Aussteuertextilien meist flächenfüllend mit ornamentalen und gegenständlichen, aus der Tier- und Pflanzenwelt übernommenen Motiven verziert haben. Als Anekdote am Rande erfahren wir, dass in manchen Stämmen diese Aussteuerbräuche so überhand nahmen, dass sie Familien mit mehreren Töchtern ruinieren konnten, sodass die Regierung 1961 mit einem Dowry Prohibition Act gegenzusteuern versuchte – mit wenig Erfolg. Erst die Neuzeit, die textile Massenproduktion synthetischer Stoffe und der im Zuge der Globalisierung der häuslichen Stickerei anhaftende Ruch, altmodisch zu sein, hat die Problematik entschärft. Es ist das Verdienst dieses Buches, dass es auch die neueste modische Entwicklung in Gujarat, sowohl im dörflichen wie im städtischen Bereich und die nach wie vor bedeutende Rolle des Schneiderhandwerkes beleuchtet und schließlich mit der Vorstellung privater und staatlicher Initiativen schließt, die versuchen, ein Fortleben der traditionellen Produktion handgearbeiteter Textilien in unserer modernen Zeit zu sichern. Die Autorin hofft und vertraut auf die jahrhundertealte Fähigkeit der Handwerker und Künstler aus Gujarat, sich den wechselnden Moden und Bedürfnissen neuer Märkte anzupassen. Und wenn wir dann lesen, dass noch heute in einer großen Familie in Patan die traditionelle Kunst der Herstellung von patolas, jener komplizierten und begeisternd schönen doppelikatgefärbten Seidenstoffe gepflegt wird, nach denen in der wohlhabenden indischen Gesellschaft durchaus wieder eine Nachfrage besteht, dann mag diese Hoffnung der Autorin auf einen Fortbestand der uralten indischen Textiltradition in Gujarat wohl berechtigt sein.

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