Colors of the Oasis – Central Asian Ikats

Autor/en: Sumru Belger Krody
Verlag: The Textile Museum
Erschienen: Washington 2010
Seiten: 304
Ausgabe: Hardcover und Softcover
Preis: USD 110.–/55.–
ISBN: 978-0-87405-034-9 (softcover)
Kommentar: Michael Buddeberg, Dezember 2010

Besprechung:
Zentralasiatische Ikats sind eine Domäne privater Sammler. Die vergleichsweise bescheidenen Bestände des Ashmolean Museum in Oxford, des Victoria & Albert und der Sammlung Moser im Historischen Museum in Bern verblassen vor dem Reichtum und Glanz privater Kollektionen, die von begeisterten Sammlern seit der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts zusammengetragen wurden. Bezeichnend hierfür ist der kleine Text, mit dem der österreichische Sammler Kirdök den Katalog – den ersten seiner Art – der 1993 im Wiener Völkerkundemuseum gezeigten Sammlung einleitete: Ein zehn Jahre zuvor von ihm in London erworbenes Ikat Paneel aus Buchara faszinierte ihn zwar durch die Wucht seiner Muster und die Kraft der Farben, blieb aber ein exotisches Einzelstück. Erst als sich nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums die Grenzen öffneten, gelangten zentralasiatische Ikats in größerer Zahl auf die Märkte und so konnte aus dem exotischen Paneel in kurzer Zeit eine Sammlung werden. Schon 1997 folgte die bis heute in Inhalt und Form nicht übertroffene Prachtpublikation der Guido Goldman Collection mit ihrem Schwerpunkt ikat-gemusterter Wandbehänge. 5 Jahre später präsentierte Tair F. Tairov, Diplomat, Händler und Sammler aus Taschkent, seine vornehmlich aus Ikat-Roben bestehende Sammlung im Moskauer Puschkin Museum. 2007 war dann im Victoria & Albert Museum nicht nur die Sammlung Doris Rau zu sehen, sondern nahezu zeitgleich überraschte der Istanbuler Händler Mehmet Cetinkaya die Teilnehmer der Internationalen Teppich Konferenz mit der Ausstellung und dem Buch seiner „99 Ikat Chapans“. In der nämlichen fruchtbaren Zeitspanne, also etwa von 1990 bis 2005 war eine weitere private Sammlung entstanden, die zur Zeit vom Textile Museum in Washington mit einer Ausstellung (bis zum 13. März 2011) und einem wunderbaren Katalog erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Der im internationalen Bankbusiness tätige türkische Sammler Murad Megalli geriet 1987 in den Bannkreis der in Istanbul lebenden Amerikanerin Josephine Powell. Die charismatische Fotografin, selbsternannte Ethnographin und leidenschaftliche Chronistin des nomadischen Lebens war bis zu ihrem Tode im Jahre 2007 der Mittelpunkt einer Art Salon im Stil des 18. Jahrhunderts, in dem sich Wissenschaftler, Sammler und Liebhaber trafen und, umgeben von Büchern, Teppichen, Kelims, Fragmenten, Stickereien und anderen Textilien nomadische Kultur und anatolische Webtradition bewunderten, diskutierten und studierten. Man darf annehmen, dass die damals in Istanbul erstmals in nennenswerter Anzahl auftauchenden Ikats für die leidenschaftliche Sammlerin eine große Versuchung waren. Sie blieb aber standhaft und beschränkte sich auf die anatolische Textilkunst, jedoch haben ihr Geschmack und ihr Sinn für ästhetische Qualität die Sammlung Megalli entscheidend geprägt. Die 78 ausgestellten und im Katalog großzügig abgebildeten Roben und Kleider, dazu knapp 20 Wandbehänge sowie Hosen, allerlei Fragmente, Kissen und Wiegendecken gehören zum Schönsten, was zentralasiatische Färber, Weber und Schneider im 19. und frühen 20 Jahrhundert hergestellt haben. Die ganze Vielfalt und Pracht diesen Seidenikats, ihr Reichtum an Farben und Mustern, die vibrierenden, irisierenden Konturen der Farbflächen, das Spiel mit Zwischentönen und immer wieder neuen Musterformen, all dies das Ergebnis einer hochkomplizierten und perfekt ausgereiften Färbe- und Webtechnik vereint sich hier zu einem Höhepunkt textiler Kunst. Die Katalogbeiträge, allesamt von ersten Kennern der Materie, sind eine aktuelle Bestandsaufnahme des Wissens um Ikat-Textilien aus Zentralasien. Sayera Makhamova, Kate Fitz Gibbon, Andrew Hale und Sumru Belger Krody berichten in ausführlichen Essays über die Geschichte der Region, das heutige Usbekistan, über die Komplexität der Herstellung dieser Stoffe und wie viele verschiedene Handwerker und Künstler Hand in Hand arbeiten mussten, bis auch nur eine Bahn eines Seidenikat hergestellt war und über das bis heute nicht aufgeklärte Geheimnis, warum irgendwann in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts quasi „über Nacht“, aus dem Nichts heraus und ohne erkennbare handwerklich-textile Traditionen eine solch einzigartige Textilkunst entstehen konnte. Gewürdigt wird auch die Kunst der Schneider, die aus den komplizierten, großflächigen und farblich ausdrucksstarken, jedoch immer recht schmalen Ikat-Bahnen Meisterwerke der Mode schufen, wobei besonderer Wert auf die Harmonie der Rückengestaltung gelegt wurde. Häufig wird der Verwendungszweck des Stoffes, beispielsweise als repräsentative Robe für den Mann oder als die etwas zierlichere Munisak für die Frau schon vor der Herstellung des Stoffes und der Idee für das Muster festgelegt worden sein. Ganz besonders hervorgehoben werden sollen aber zwei Beiträge, die Neues bringen: Susan Meller untersucht die Futterstoffe, die in aller Regel aus bedruckter russischer Baumwolle bestehen. Dieser Blick in das Innenleben der Roben ist nicht nur reizvoll, sondern auch ein Aspekt der Geschichte jener Zeit. Durch den amerikanischen Bürgerkrieg kam der Baumwollexport aus den Südstaaten zum Erliegen, was die Briten in Indien und die Russen in Zentralasien zum massiven Ausbau der Baumwollproduktion zwang. Die in Moskau, vor allem aber in Ivanovo, dem „Manchester von Russland“, speziell für Zentralasien hergestellten, zunächst von Hand und später maschinenbedruckten Stoffe überschwemmten den Markt und verdrängten rasch das früher aus Indien, Persien und Europa bezogene Futtermaterial. Mary Dusenbury berichtet schließlich über die heute wieder aufblühende Ikat-Produktion im Fergana-Tal, wo hunderte kleiner Familienbetriebe eine unerwartete Renaissance der Ikat-Weberei herbeigeführt haben. Vielleicht kann man hier eine Paralle zum frühen 19. Jahrhundert ziehen. Damals wie heute brachten das Ende der Unterdrückung, die Öffnung von Grenzen und beginnender Wohlstand ein Handwerk zur plötzlichen Blüte, eine Blüte, die auch schon westliche Coutouriers wie Diane von Fürstenberg oder Ralph Lauren zu Ikatkreationen verführte. Bleibt noch zu berichten, dass Murat Megelli seine sich heute auf 185 Stück belaufende und im Buch vollständig katalogisierte Sammlung dem Textile Museum übereignet hat, womit das eingangs beschriebene Defizit von Ikats in öffentlichen Sammlungen ein für alle Mal behoben ist.

Print Friendly, PDF & Email