Orient und Okzident – Österreichische Maler des 19. Jahrhunderts auf Reisen

Autor/en: Agnes Husslein-Arco, Sabine Grabner (Hrsg)
Verlag: Belvedere und Hirmer Verlag
Erschienen: Wien und München 2012
Seiten: 264
Ausgabe: Hardcover
Preis: € 39,90
ISBN: 978-3-7774-5571-6
Kommentar: Michael Buddeberg, September 2012

Besprechung:
Napoleons Ägyptenfeldzug von 1798 bis 1801 war militärisch und politisch ein Misserfolg. Doch für Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft hat dieses auch als „ägyptische Expedition“ bezeichnete Unternehmen nachhaltige Wirkungen gehabt. In seinem Tross hatte Napoleon Journalisten, Wissenschaftler, Forscher, Schriftsteller und Künstler, deren Aufgabe es war, die ägyptische Kultur zu dokumentieren um damit Bonaparte als deren Retter zu stilisieren. Das Ergebnis dieser ungewöhnlichen Mischung aus Feldzug und Expedition war ein monumentales Prachtwerk, die „Description de l´Égypt“, eine Enzyklopädie, deren 22 Text- und Tafelbände von 1809 bis 1828 erschienen. Sie enthält die vollständige mit hunderten von gestochenen Tafeln illustrierte Beschreibung Ägyptens und seiner Altertümer, seiner exotischen Tier- und Pflanzenwelt aber auch des alltäglichen, orientalischen Lebens in Städten, Dörfern und auf dem Lande. Das Werk wurde mit großer Begeisterung aufgenommen und löste in Frankreich, wo die Erinnerung an den militärischen Flop längst verblasst war, eine wahre Ägyptomanie aus. Und mehr noch: Es war der Beginn eines in ganz Europa florierenden Genres der Malerei, das so populär wurde, dass man ihm in Nachhinein mit „Orientalismus“ gar einen eigenen Namen gab. Delacroix, Ingres, Gérome und andere französische Künstler reisten seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts nach Ägypten und in andere Länder des Orients und sorgten dafür, dass die Orientmalerei in den Pariser Salons neben der Historienmalerei zum wichtigsten Genre wurde. Die politische und technische Entwicklung jener Zeit tat das ihre hinzu, um Reisen in den Orient nicht mehr als hochriskante Expeditionen sondern mehr als ein kalkulierbares touristisches Abenteuer erleben zu können. Diplomaten und Hochadel, aber auch Kaufleute, begüterte Bürger und Künstler machten sich auf den durch Eisenbahn und Dampfschiff leichter gewordenen Weg nach Osten und machten aus der Reise in den Orient so etwas wie ein frühes touristisches Massenphänomen. Für Österreich waren es vor allem die 1854 eröffnete Semmeringbahn und der Hafen von Triest, die Reisen in das östliche Mittelmeer und darüber hinaus erleichterten. Der Maler Leopold Carl Müller (1834-1892) gilt als der Hauptvertreter der österreichischen Orientmalerei. Vor allem ihm und seinem Malerfreund August von Pettenkofen (1822-1889) ist eine Ausstellung im Wiener Belvedere (bis zum 14. Oktober 2012) und das dazu erschienene Katalogbuch gewidmet. Müller reiste nicht weniger als neun Mal nach Ägypten, um Licht, Farbe und Stimmungen dieses exotischen Landes malerisch einzufangen. Pettenkofen hingegen fand seinen „Orient“ quasi vor der Haustüre, in der vergleichsweise ungefährlichen, aber damals fast ebenso exotischen ungarischen Puszta, wo er in Szolnok an der Theis zum Mitbegründer einer Malerkolonie wurde. Diese, im Gegensatz zu anderen Ländern relativ späte einsetzende österreichische Orientmalerei unterscheidet sich durchaus positiv vom gängigen Orientalismus. Der Orient ist hier nicht Traumziel, erotischer Sehnsuchtsort und Projektionsfläche für Klischees. Haremsszenen und leicht bekleidete Odalisken fehlen hier ebenso wie die von der Historienmalerei bekannten, inszenierten Großleinwände. Schwerpunkt der österreichischen Orientmalerei ist die realistische oder sich realistisch gebende Schilderung des Landes und seiner Bewohner. Stimmungsvolle Landschaften, Dorfansichten und Genreszenen aus dem Volksleben, in der ungarischen Puszta natürlich auch Pferde, Schafe und einsame Ziehbrunnen vor dramatisch bewölktem Himmel sind die alles beherrschenden Themen. In manchen der Bilder Müllers und Pettenkofens scheint sich bereits anzukündigen, dass die europäische Malerei am Ende des 19. Jahrhunderts vor einer entscheidenden Wende steht. Die Themen der Bilder und der begleitenden Essays reichen aber über die so genannte Orientmalerei weit hinaus. Reisen wurde im 19. Jahrhundert immer komfortabler, erschwinglicher, weniger gefährlich und bereits 1840 organisierte Thomas Cook seine erste Gruppenreise. Österreichische Künstler erreichten im 19. Jahrhundert auch den Süden Asiens, den fernen Osten, reisten auf den Weltmeeren bis in arktische Zonen und malten in Amerika und in Australien. Ein breites Spektrum des Reisens in ferne Länder bildet ein wichtiges neues Thema der Malerei im 19. Jahrhundert, die mit ihren exotischen Sujets einen deutlichen Kontrast zur überkommenen heimischen Ateliermalerei darstellt. Ein Sonderfall ist hier der Österreicher Eugen von Ransonnet-Villez (1838-1926), der mittels einer selbst entworfenen Taucherglocke als einziger Künstler des 19. Jahrhundert auch unter Wasser gemalt hat. „Österreichische Maler des 19. Jahrhunderts auf Reisen“ ist eine schön zusammengestellte, sehenswerte Ausstellung und ein sorgfältig editierter und interessanter Katalog.

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