Imperial Chinese Robes from the Forbidden City

Autor/en: Ming Wilson (Hrsg)
Verlag: V&A Publishing
Erschienen: London 2010
Seiten: 120
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 30 englische Pfund
ISBN: 978-1-85177-620-7
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2011

Besprechung:
Schon im alten Rom war Seide aus China ein kostbarer Luxusartikel, der mit Gold aufgewogen wurde, wenn man zeitgenössischen Berichten Glauben schenkt. Daran hat sich bis zum späten Mittelalter kaum etwas geändert. Gewänder aus Seide waren stets den Reichen und Mächtigen vorbehalten. Doch bei aller Kostbarkeit und Seltenheit: Seide, die aus China über die Seidenstrasse in den Westen gelangte, war nicht die erste Wahl, es war Exportware. Selbst die feinsten und auf hoch komplizierten Webstühlen mit phantasievollen Mustern verzierten Seidenstoffe waren speziell für den Handel gefertigt und waren über Jahrhunderte einer der wichtigsten Exportartikel Chinas. Das Schönste und das Beste von Chinas Seidenproduktion war aber nicht für die Barbaren bestimmt sondern blieb im Lande: Es waren die in den kaiserlichen Werkstätten für den Gebrauch des Kaisers, seiner Familie, der Konkubinen und der hohen Beamten gewebten und bestickten Seiden. Erstmals nach 1860, als britische und französische Truppen im zweiten Opiumkrieg den kaiserlichen Sommerpalast bei Peking geplündert und zerstört hatten, gelangten kaiserliche Gewänder und Textilien in den Westen, wenn auch nur in geringer Zahl. 50 Jahre später markierten der Sturz der Qing-Dynastie und die Gründung der chinesischen Republik das Ende der jahrhundertealten kaiserlichen Herrschaft, das Ende des traditionellen Hofrituals und damit das Ende einer unvergleichlichen textilen Tradition. Kaiserliche Roben und Gewänder und all die anderen textilen Kostbarkeiten galten als überholt und fanden ebenso wie das Inventar chinesischer Aristokraten den Weg auf den Pekinger Antiquitätenmarkt. Es war die Zeit, als vorwiegend in den USA bedeutende Sammlungen chinesischer Textilien entstanden, etwa die heute im Minneapolis Institute of Art verwahrte Sammlung von William E. Colby (vgl. „Imperial Silks“ von Robert Jacobsen). Doch den kompletten Ausverkauf chinesischer Kunst, wie gelegentlich kolportiert wird, hat es damals nicht gegeben. Die Verbotene Stadt in Peking, diese riesige Palastanlage mit tausenden von Gebäuden, wurde nie geplündert, sondern als nationales Erbe zu einem Museum mit unermesslichen, bis heute nicht vollständig erfassten Schätzen umgewidmet. Das gilt insbesondere für die kaiserlichen Textilien, deren Anzahl Zheng Xinmiao, der Direktor des Palast Museums, nur höchst unbestimmt mit „Zehntausende“ angibt. Während der gesamten Qing-Dynastie, also während der 267 Jahre von 1644 bis 1911, wurden Roben, Kleider und Accessoires des Kaisers, seiner Familie und seines Hofstaates im Palast verwahrt und niemals entsorgt. Aus diesem unglaublich reichen und historisch bedeutsamen Fundus hat das Palast Museum in Beijing erstmals 82 Objekte für eine museale Präsentation im Victoria & Albert Museum (Dezember 2010 bis Februar 2011) in den Westen geschickt. Der dazu erschienene Katalog gibt einen Überblick über drei Jahrhunderte kaiserlicher Mode, wie es ihn in dieser Vielfalt und Vollständigkeit bisher nicht gegeben hat. Nur selten in westlichen Sammlungen vorhandene Zeremonialroben, auch solche für winterliche Rituale mit reichem Zobelbesatz, die für militärische Paraden gebrauchte Prachtrüstung mit Helm von Kaiser Qianlong, Drachenroben für festliche Gelegenheiten in Hülle und Fülle und in allen Farben, Hüte, Schuhe, Stiefel, Halsketten, Socken, Börsen und schließlich die informelle Kleidung für Kaiserin, Prinzessinnen und Konkubinen bilden ein Kaleidoskop der edelsten Verarbeitungs- und Dekortechniken von Seide. Doch es sind nicht nur die Objekte, ihre Abbildungen und sorgfältigen Beschreibungen, die den Wert des Katalogs ausmachen, sondern vor allem auch die Beiträge von 4 Textilkuratoren des Palast Museums in Beijing, die mit ihren Essays einen tiefen Einblick in das komplexe System kaiserlicher Kleidungsvorschriften der Qing-Dynastie geben. Als das nomadische Reitervolk der Manchu 1644 das Peking der Ming-Dynastie eroberte waren die neuen Machthaber klug genug, das bereits vorhandene Kleidungssystem als eine wichtige Grundlage der zivilisierten Gesellschaft zu übernehmen, wenn auch angepasst an ihre nomadisch-kriegerischen Gewohnheiten wie Reiten, Jagen und militärische Präsentation. Im Jahre 1759 unter Kaiser Qianlong (reg. 1736-1795) wurden die kaiserlichen Kleidungsvorschriften umfänglich kodifiziert und es gab – so würden wir es heute bezeichnen – ein gesondertes Ministerium, das über Form, Schnitt, Material, Farbe, über die Menge und vor allem über die Motive zu entscheiden hatte, die in den drei großen kaiserlichen Textilmanufakturen in Nanjing, Suzhou und Hangzhou hergestellt wurden. Die Anzahl von 800 Webstühlen und tausenden von Webern, wie sie zum Beispiel aus dem Suzhou des Jahres 1695 dokumentiert ist, gibt ein anschauliches Bild vom Umfang dieser Industrie und von der Arbeit des Ministeriums, das das Material, die Machart und die Qualität jedes einzelnen Stückes zu kontrollieren hatte. Eine letzte, von den Kleidungsvorschriften allerdings nicht vorgesehene Blüte erlebten die kaiserlichen Kleiderkammern dann im vierten Quartal des 19. Jahrhunderts. Als 1861 Kaiser Xianfeng starb, übernahm anstelle des 6-jährigen Thronerben Tongzhi die Kaiserinwitwe Cixi (1835-1908) die Macht und zugleich das Regime über die Kleidung bei Hofe. Ergebnis war eine Fülle informeller Gewänder mit neuen Motiven und neuen Farben. Diese am Ende der Qing-Dynastie sich entwickelnde neue Vielfalt kaiserlicher chinesischer Textilkultur in höchster Qualität ist einer der Schwerpunkte dieses exzellenten Führers durch drei Jahrhunderte kaiserlicher Kleidungssitten.

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