Iranian Textiles

Autor/en: Jennifer Wearden, Patricia L. Baker
Verlag: V&A Publishing
Erschienen: London 2010
Seiten: 176
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 30,– englische Pfund
ISBN: 978-1-85177-615-3
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2011

Besprechung:
Es gibt wohl kaum ein Museum auf dieser Welt, das seine Bestände nicht wenigstens teilweise der Großzügigkeit und dem Mäzenatentum privater Sammler verdankt. Schenkungen, Vermächtnisse und Erbschaften sind mindestens so wichtige Quellen für museale Schätze wie die in den Zeiten des so genannten Kolonialismus eigens zum Zwecke der Mehrung der Bestände ausgesandten Expeditionen oder – weniger kritisch – gezielte Ankäufe von Sammlungen oder einzelnen Objekten. Auch das im Jahre 1852 gegründete weltweit erste und bis heute größte Museum für angewandte und dekorative Kunst, das Victoria & Albert Museum in London, macht hier keine Ausnahme und die Liste der Schenker und Donatoren ist nahezu endlos. Einer der bedeutendsten zu einer Zeit, als das Museum nach seinem Standort noch South Kensington Museum genannt wurde, war Major General Sir Robert Murdoch Smith (1835-1900). Der an Archäologie und Antiquitäten interessierte Schotte war lange Jahre Direktor des Persian Telegraph Department und als solcher verantwortlich für das funktionieren der Telegraphenlinie zwischen England und Indien. Seit 1865 in Teheran lebend lernte er rasch die Sprache und wurde ein Kenner und Liebhaber persischer Kunst und Kultur. So fiel ihm auf, dass im South Kensington Museum trotz der durch die Weltausstellungen ausgelösten Orientleidenschaft persische Artefakte nicht vertreten waren. Mit beredten Worten machte er den Direktor des Museums auf diesen Mangel aufmerksam, nicht ohne ausdrücklich zu betonen, dass die Gelegenheit für den Erwerb persischer Kunst und persischen Kunsthandwerks günstig sei und wegen der beginnenden Industrialisierung und den zunehmenden Importen europäischer Waren so niemals wiederkehren werde. Seine Argumente fanden Gehör und Robert Murdoch war von 1873 bis 1885 Agent des South Kensington Museum und schuf die Grundlage für die überaus reiche Sammlung iranischen Kunsthandwerks des V&A. Seine Agententätigkeit beschränkte sich dabei keineswegs auf den Kontakt mit Händlern und Sammlern sondern dank seiner Verbindungen zur persischen High Society und zum Hof konnte er bedeutende Schenkungen an das Museum vermitteln. Auch der Qajarenkönig Nasir al-Din Shah (reg. 1848-1896) gehört mit einer Gabe von knapp 100 ausgesucht kostbaren Teppichen und Textilien zu den Donatoren des Museums. Alleine Robert Murdoch und seinem Enthusiasmus und Einsatz ist es also zu danken, dass das V&A mit knapp eintausend Textilien aus der Qajarenzeit die umfangreichste Sammlung dieser Art außerhalb des Iran besitzt. Etwa zweihundert der schönsten und wichtigsten Textilien aus dieser Kollektion werden in dem von der 2008 verstorbenen Patricia Baker begonnenen und von Jennifer Wearden vollendeten Buch in großem Format vorgestellt. Wer bei dem insoweit irreführenden Titel auch die großartigen Textilien aus der Safawidenzeit erwartet, braucht indessen nicht enttäuscht zu sein. Die Vielfalt und Schönheit persischer Textilien aus der Zeit der Qajaren-Herrschaft (1794-1925), ihre perfekte Web- und Sticktechnik stehen den spektakulären Luxustextilien der Safawiden nicht nach. Da sind zunächst die aufwendig gewebten, meist mit kleinteiligen Blüten- oder Botehmustern dekorierten Stoffe, prächtige seidene und mit Metallfäden zusätzlich verzierte Schärpen, so genannte Sashs und last not least die Schals aus Kirman, die in ihrer technischen und ästhetischen Qualität mit den schönsten Kaschmirschals mithalten können. Von der weiteren, großen Gruppe bestickter Textilien sind Gebetstücher und Gesichtsschleier, gänzlich weiß in weiß gestickt als ungewöhnlich attraktiv besonders zu erwähnen ebenso wie die nakshe, mit diagonalen Streifen im Blumendesign bestickte Damenhosen. Weitere Spezialitäten sind aufwändige Metallfadenstickereien, meist Tücher zum Verpacken von Geschenken und schließlich die unverwechselbaren reichen Stickereien aus Rasht auf einem vielfarbigen Grund aus applizierten verfilzten Wollstoffen. In Ikattechnik gefärbte und gewebte Stoffe und bedruckte Baumwolle, hier große Decken und Wandbehänge von mindestens gleicher Attraktivität wie die bekannteren indischen, vervollständigen die große Vielfalt iranischer Textilien vorwiegend aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der begleitende Text stellt die Textilien nach einer knappen Einführung in die Geographie und Geschichte des Iran in den politischen und wirtschaftlichen Kontext ihrer Zeit. Während die erste Hälfte des 19 Jahrhunderts, vor allem unter Fath Áli Shah (reg. 1797-1834) noch ganz vom prunkvollen, traditionsbewussten höfischen Zeremoniell geprägt war, rückt Persien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehr und mehr in den Blickpunkt der Weltpolitik. Das Great Game um die Vorherrschaft in Zentralasien hat begonnen und der Iran spielt im Machtkampf zwischen Russland und England, in diesem großen Spiel von Diplomatie und Spionage eine wichtige Rolle. Wirtschaftlich lassen die billigen Textilimporte aus Europa die handwerklich orientierte Produktion von Luxustextilien allmählich versiegen. Es ist allein der Exportboom der Teppichmanufakturen, der gegen Ende des 19, Jahrhunderts den Verfall der einst so bedeutenden Produktion schöner Textilien kompensiert – doch das ist schon ein anderes Thema.

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