Crivelli e Brera

Autor/en: Emanuele Daffra (Hrsg)
Verlag: Mondadori Electa
Erschienen: Mailand 2009
Seiten: 280
Ausgabe: Klappenbroschur
Preis: € 30.–
ISBN: 978-88-370-7297-1
Kommentar: Michael Buddeberg, Februar 2010

Besprechung:
Enrico Dandolo, Doge von Venedig, übernahm 1204 die Leitung des 4. Kreuzzuges, eroberte dann aber nicht das Heilige Land, sondern Dalmatien und die byzantinische Metropole Konstantinopel. Ganz sicher handelte es sich dabei nicht um die senile Fehlleistung des über neunzigjährigen Dandolo, sondern um bewusste Macht- und Handelspolitik und um die opportune Benutzung der hehren Kreuzzugsideale zum Vorteil der Republik Venedig. Und in der Tat brachte die Eroberung von Konstantinopel nicht nur reichste Beute an Kunstschätzen in die Lagunenstadt – die berühmte Quadriga über dem Portal des Markusdoms gehört beispielsweise dazu -, sondern sie war der Beginn der Vorherrschaft Venedigs im östlichen Mittelmeer. Spätestens mit dem Sieg über Genua im ausgehenden 14. Jahrhundert besaß Venedig eine wirtschaftliche Monopolstellung im byzantinischen Reich und hatte Stützpunkte an allen Küsten der Levante. Venedig war zur fast ausschließlichen europäischen Eingangspforte für die sagenhaften Schätze aus der islamischen Welt geworden. Der Handel mit diesen Luxusgütern aber auch materieller Reichtum und damit einhergehend Kunst und Kultur erreichten im 15. und 16. Jahrhundert einen grandiosen Höhepunkt. Zeugnis davon gibt ein gutes Dutzend venezianischer und oberitalienischer Maler, die zu den Besten ihrer Zeit gehörten. Sie lösten sich vom mittelalterlich-religiösen Sujet, brachten Licht und Farbe in ihre Bilder, hatten keine Scheu vor weltlichen Themen und umgaben, wenn es denn sein musste, Maria, die Apostel und andere Heilige mit weltlichem und nicht selten orientalischem Luxus. Carlo Crivelli (Venedig, ca. 1430/35-1490), dem die Mailänder Brera bis zum 28. März 2010 eine Retrospektive widmet, gehört zwar nicht zur allerersten Riege dieser Renaissance-Künstler wie vielleicht die Brüder Gentile (1431-1507) und Giovanni (1432-1516) Bellini, Andrea Mantegna (1431-1506) oder Domenico Ghirlandaio (1449-1494), ist jedoch bekannt für seine überaus vollendete und detaillierte Darstellung kostbarer Gewänder aus Samt und Seide. Und Crivelli musste, ähnlich wie seine Zeitgenossen Lorenzo Lotto (1480-1557), Jan van Eyck (1390-1441), Hans Memling (1433-1494 und Hans Holbein (1465-1524) seinen Namen für ein Teppichmuster hergeben. Zwar sind Teppiche mit Crivelli-Muster aus jener Zeit noch erheblich seltener als die Bilder dieses Meisters, doch seine Kunst der Textildarstellung hat immerhin dazu geführt, dass ein wesentlicher Teil des Kataloges Essays vorbehalten ist, die sich mit der Darstellung von Textilien und Teppichen auf Gemälden des 15. Jahrhunderts befassen. Als treffendes Beispiel passt hierher, dass der berühmte Crivelli-Teppich aus dem Budapester Kunstgewerbemuseum nach einem Bild Crivellis in der Londoner National Gallery benannt wurde, auf dem ein Teppich gleichen Musters ganz beiläufig über einer Brüstung hängt. Und wenn auch solche Namensgebungen in der Textil- und Teppichwissenschaft schon fast ein alter Hut sind, so wurde doch mit dieser Ausstellung und diesem Katalog eine Nachricht zur Gewissheit, die bislang nur als Gerücht die Runde gemacht hat: Die MATAM (Museo di Arte Tessile Antica Milano), eine von dem namhaften Mailänder Textil- und Teppichgaleristen Moshe Tabibnia gegründete Associazione Culturale birst fast vor Aktivität, hat die Textil- und Teppichkapitel von Ausstellung und Katalog kuratiert, hat soeben das Buch „Carlo Crivelli and Textile Art – Carpets and Textiles of Carlo Crivelli“ herausgegeben und Anfang Februar 2010 zu einem kleinen Symposium zu diesem Thema in die Pinakothek Brera geladen. Moshe Tabibnia hat in die Tat umgesetzt, was er in seinem großartigen, 2006 veröffentlichten Buch „Milestones in the History of Carpets“ noch als Wunschziel formuliert hat: Die Errichtung eines Textilkunstmuseums in Mailand. Es geht offenbar mit Riesenschritten voran und Liebhaber alter Teppiche und Textilien dürfen sich sicher sein, spätestens in wenigen Jahren dieses Museum in Mailand besuchen zu können. Und ganz gewiss wird man dort, wie es Moshe Tabibnia im Vorwort zu seinem Buch ebenfalls angedeutet hat, das eine oder andere der in seinem Buch vorgestellten Meisterwerke antiker Knüpfkunst sehen können. Vielleicht auch den einzigartigen und weltbesten Teppich mit dem so genannten großen Holbeinmuster, der, bis dato vollkommen unbekannt, im Jahre 2002 genau dort entdeckt wurde, wo er nach der Einleitung zu diesem Text auch hingehört: In einem venezianischen Palazzo.

Print Friendly, PDF & Email