Eine Sammlung – Textilien aus Anatolien, dem Kaukasus, Persien, Mittelasien, Zentral- und Ostafrika

Autor/en: Johannes Wolff-Diepenbrock (Hrsg)
Verlag: Lim & Asmuth Publishers
Erschienen: Köln 2009
Seiten: 192
Ausgabe: Hardcover, 400 nummerierte Exemplare
Preis: € 120.-, Vertrieb: Herold Auslieferung, Raiffeisen-Allee 10, 82041 Oberhaching, info@herold-va.de
ISBN: 978-3-941765-14-6
Kommentar: Michael Buddeberg, März 2010

Besprechung:
Das erste, ausschließlich dem orientalischen Kelim gewidmete Buch erschien vor etwas mehr als 30 Jahren (1977). „The Undiscovered Kilim“ war der damals ebenso zugkräftige wie zutreffende Titel, den die jungen, engagierten Sammler und Galeristen David Black und Clive Loveless diesem Begleitbuch einer Ausstellung in der Whitechapel Art Gallery in London – auch sie die erste ihrer Art – gegeben hatten. Seither sind dutzende Monographien – überwiegend zum anatolischen Kelim – erschienen, sind in Europa und den USA bedeutende private Sammlungen entstanden und Experten versuchen Alter und Herkunft dieser Volkskunst zu deuten, vor allem aber die geheimnisvolle Symbolik ihrer Muster zu entschlüsseln. Ihre oft ausgesprochen modern anmutende abstrakte Formensprache machte Kelims rasch zu einem begehrten Sammel- und Einrichtungsobjekt, die Preise vervielfachten sich, mit der Folge, dass immer mehr Material, oft nur in fragmentarischem Zustand aus den Truhen und Moscheen Anatoliens auf den Markt drängte. Doch seit einigen Jahren ist es um den Kelim ruhiger geworden. Nur selten noch kommen unbekannte Stücke zum Vorschein, die Quellen in den Ursprungsländern scheinen erschöpft und das zeitweise überhitzte Preisniveau tendiert nach unten. Johannes Wolff-Diepenbrock hat die „Epoche des Kelims“ von dessen Entdeckung als Kunst- und Kultobjekt in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts bis heute als engagierter Sammler begleitet, und wenn man das soeben von ihm mit liebevoller Sorgfalt herausgegebene, wunderschöne Buch seiner Sammlung in Händen hält, liegt die Frage nahe, ob denn der Kelim nun endlich entdeckt, ob er also „discovered“ ist? Trotz der seit 1977 vergangenen Zeit und der inzwischen umfangreichen Literatur scheinen hier Zweifel angebracht. Für Wolff-Diepenbrock kommen seine anatolischen Kelims – der Schwerpunkt der Sammlung – aber auch die Textilien aus dem Kaukasus, aus Persien, Mittelasien und Afrika, allesamt aus einer fremden, vergangenen Welt, die uns nicht zugänglich ist. Und auch wenn einige Experten aufgrund intensiver Feldforschung bestimmte Kelims und ihre Muster einzelnen Stämmen, Gruppen oder gar Dorfgemeinschaften zuzuschreiben vermögen, wenn naturwissenschaftliche Methoden der Farbanalyse und der Altersbestimmung mittels der Verfallzeit des C14-Atoms immer genauere Aufschlüsse über Herkunft und Alter geben, so bleibt die Symbolik der Muster ein Rätsel, das wohl nie gelöst werden wird. Es ist mit diesen Kelims ähnlich wie mit den Mythen und Märchen der Völker. Je mehr man versucht, ihre versteckten Botschaften in Rubriken einzuordnen, ihnen Namen zu geben, umso mehr verblasst ihre spontane Wirkung. So gilt für die Keliminterpretation, was der Indologe Heinrich Zimmer (1890-1943) über die Deutung von Volkssagen sagte: „Die Methode, das Unbekannte auf bereits Bekanntes zurückzuführen ist nur ein Weg zu intellektueller Selbsttäuschung; sie führt zu unfruchtbarem Dogmatismus und führt dazu, die unendliche Vielfalt zu übersehen, in der die symbolische Gestaltung zu uns spricht.“ Die Sprache der Kelims ist die Sprache der Ästhetik, artikuliert durch die aus Farben und Formen gebildete Komposition, durch einen von Wiederholung und Symmetrie geprägten Rhythmus und durch den Dualismus zwischen der Begrenzung durch Bordüren und Schürzen und dem oft in die Unendlichkeit weisenden Rapport von Feldmustern. Im Zusammenwirken aller Elemente entsteht bei den besten Kelims eine Harmonie, die, ähnlich wie der Klang eines Musikinstrumentes, nicht mit Worten beschrieben werden kann. Wolff-Diepenbrocks Zugang zur Schönheit seiner Kelims führt über das Erfassen ihrer Komposition. Es sei, so schreibt er, wie bei der Analyse eines Musikstückes, man hört anders, wenn man über seine Komposition und Strukturen nachgedacht hat. Mit diesen, wenn auch knappen, Anleitungen des Autors und Sammlers zu einem bewussten Sehen ist das Buch weit mehr als ein „Bilderbuch“, es ist der Extrakt einer fast lebenslangen Faszination durch die textile Kunst, ein Bekenntnis zu der oft großartigen Schönheit dieser Kelims, die vielleicht gerade in der geheimnisvollen, nicht entschlüsselbaren Symbolik liegt und in einem unbewussten Empfinden, das sich aus längst vergangener Zeit erhalten hat. Das gilt auch für die kleinen Unregelmäßigkeiten, mit denen die Weberinnen mutwillig oder intuitiv den gewissenhaften Duktus ihrer Webarbeit unterbrachen und der kompositorischen Ordnung aus Wiederholung und Symmetrie den Hauch künstlerischer Inspiration verliehen. Für den Sammler schlicht das „Tüpfelchen auf dem i“, versucht Franz Besch in seiner Einführung zu den Susanis der Sammlung diese Abweichungen vom kompositorischen Normalfall als Motive aus den Bereichen der einfachen Volksfrömmigkeit zu erklären, des Geister- und Aberglaubens, der sich aus vorislamischen Zeiten in der unbewussten Seele der Frauen erhalten hat und der sich nun in ihren Arbeiten manifestiert. Dieser und weitere Beiträge von Kennern und Freunden, die Wolff-Diepenbrock begleitet haben – Friedrich Spuhler würdigt die osmanischen Stickereien, Robert Chenciner schreibt über die kaukasischen „Kaitag“-Stickereien, Yanni Petsopoulos zu persischen Flachgeweben und Clive Loveless über die zeitlose Schönheit afrikanischer Flechtgewebe – summieren sich zu einer Hommage an einen Sammler, für den die Schönheit stets das oberste Kriterium ist. Kein Wunder also, dass viele der Kelims die jeweils besten oder schönsten ihrer Gattung oder Gruppe sind, aber auch, dass die Sammlung nicht nur anatolische und persische Kelims, sondern Textilien ganz unterschiedlicher Herkunft und Technik vereint. Dass hier Kultkelims neben gestickten Aussteuerarbeiten zentralasiatischer Bräute und Grasflechterei aus Zentralafrika zum Nachdenken über die im kulturellen Gedächtnis verborgenen Quellen ästhetischer Schönheit anregen, ist ein besonderer Vorzug des Buches und der Verdienst dieser von einer einheitlichen Grundidee getragenen Sammlung. Es ließen sich noch weitere Vorzüge dieses Sammlungskataloges aufzählen, das große Format etwa, die sorgfältige Fotografie und Farbwiedergabe der rund 70 abgebildeten Stücke, der Hinweis auf vierzehn C-14-Testergebnisse oder das Bekenntnis des Autors und Herausgebers zu der für ihn so wichtigen, nämlich Menschen verbindenden Seite des Sammelns. Im Vordergrund jedoch stehen Schönheit und Kraft der Textilien, die ihre ganz eigene Sprache sprechen. Johannes Wolff-Diepenbrock versteht diese Sprache.

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