The Collection at Home – Sammlung Henkel

Autor/en: Gabriele Henkel (Hrsg)
Verlag: DuMont Buchverlag
Erschienen: Köln 2009
Seiten: 290
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: € 49.95
ISBN: 978-3-8321-9192-4
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2009

Besprechung:
Im Normalfall findet man Kunstsammlungen in Museen. Auch das private Sammeln von Kunst ist eine Art Normalfall und es sind oft die schönsten und faszinierendsten Sammlungen, die von der Individualität, Kennerschaft und Begeisterung eines Sammlers geprägt sind. Dass auch Wirtschaftsunternehmen Kunst sammeln, dass fast alle im DAX notierten deutschen Großkonzerne Kunstsammlungen aufgebaut und viel Geld in Kunstwerken investiert haben, ist weniger bekannt. So unterhält die HypoVereinbank mit der Kunsthalle München ein namhaftes Ausstellungsgebäude, Daimler Benz rühmt sich der größten Firmenkunstsammlung der Welt mit 50.000 Kunstwerken, die Ernst von Siemens Stiftung fördert in großem Stil Ankäufe von öffentlichen Kunstsammlungen, BMW lässt Autos von international renommierten Künstlern bemalen und schickt sie auf Reisen und die Allianz schmückt ihre Verwaltungsgebäude mit einem breiten Spektrum moderner Kunst. Dies ist – von der staatlichen Förderung und der steuerlichen Komponente abgesehen – vielleicht die demokratischste und begrüßenswerteste Form unternehmerischer Kunstsammlung, den Mitarbeitern ein repräsentatives und anspruchsvolles Ambiente zu gestalten und ihnen einen Zugang und Umgang mit Kunst zu ermöglichen. Ein deutsches Großunternehmen, das sehr früh, bereits im Jahre 1970, begonnen hat, seine Büros, Flure, Treppenhäuser und Casinos mit Kunst zu dekorieren ist der Düsseldorfer Familienkonzern Henkel, eines der weltweit führenden Unternehmen für Wasch- und Reinigungsmittel, Kosmetik und Körperpflege und Klebstoff-Technik. Das Besondere ist, dass Henkel mit dem Aufbau dieser Firmensammlung die Frau des Chefs, Gabriele Henkel, Journalistin, Künstlerin und schließlich Honorarprofessorin für Kommunikationsdesign an der Universität Wuppertal beauftragt hat. Mit den Mitteln des Unternehmens, Gabriele Henkels exquisitem Geschmack und einem beispiellosen Konzept entstand so in 30 Jahren eine ungewöhnliche Firmensammlung, in der sich moderne Kunst und Werke fremder Kulturen begegnen, in der Kunstwerke ganz unterschiedlicher Epochen miteinander kommunizieren und neue Sichtweisen eröffnen. Der exquisite Geschmack von Gabriele Henkel steht auch hinter den beiden, wundervoll gestalteten Büchern, mit denen die Sammlung nun der Öffentlichkeit vorgestellt wird. „Bildessay“ nennt Gabriele Henkel, diese ganz auf die Objekte konzentrierte Publikation, die allein durch die optische Präsentation überraschende Zusammenhänge der Kulturen sichtbar machen soll. Trotz der Trennung – Band I enthält die moderne Kunst, klassische Moderne, amerikanische abstrakte Colourfieldmalerei und deutsche Kunst nach 1945, Band II ist der Kunst Afrikas, Indonesiens, Zentralasiens, Ozeaniens und präkolumbianischen Werken gewidmet – bilden die beiden Bände eine notwendige Einheit und entfalten nur in ihrer Kombination die von Gabriele Henkel gewollte Wirkung als Bildessay. Die in Band II aufgenommenen Quilts der Amish aus Pensylvania, textile Kunstwerke, die in eindrucksvoller formaler Kraft sowohl die einfache Lebensweise wie auch die starke Religiosität ihrer Schöpfer präsentieren, brillieren mit idealen Proportionen und einer Abstraktion, die sie ohne weiteres in die Nähe der gegenstandslosen Farbfeldmalerei von Kenneth Joland oder Frank Stella bringt. Dennoch sei hier der Schwerpunkt auf den zweiten Band und insbesondere den textilen Teil der Sammlung gelegt. Nicht von ungefähr ziert den Umschlag hier ein prachtvolles Ikat-Gewebe aus Usbekistan. Zu sehen sind leider nur einige wenige dieser großartigen Stoffe, doch ihr Reichtum an Farben und Formen, die vibrierenden und irisierenden Konturen der Farbflächen, das Spiel mit Zwischentönen und immer wieder neuen Musterformen, all dies das Ergebnis einer hochkomplizierten und perfekt ausgereiften Färbe- und Webtechnik, rückt sie ohne weiteres in eine ästhetische Verwandtschaft zu manchen Ausdrucksformen moderner Kunst. Ein begleitender Essay von Guido Goldman, dem Sammler der bedeutendsten Ikat-Kollektion überhaupt – heute ein Geschenk Goldmans an 11 bedeutende USA-Museen – über Beginn und Entstehung seiner Sammlung beschreibt denn auch die Liebe zu einem frühen Bild von Wassilij Kandinsky als den nucleus seines Interesses für Ikat-Gewebe. Die Bedeutung der Ikats in der Sammlung Henkel wird durch den zweiten Essay unterstrichen, mit dem die weltweit ersten Experten dieser Textil-Kunst, Kate Fitz Gibbon und Andrew Hale, die zentralasiatischen Ikat-Gewebe und Suzani-Stickereien der Sammlung Henkel würdigen. Da bedauert man, dass nur ein einziger Suzani aus der Sammlung im Bild zu sehen ist. Ungleich umfangreicher sind dafür in verschiedenen Reservetechniken gefärbte und gewebte Textilien aus Sulawesi, Timor, Borneo, Bali und Sumatra, allesamt dekorative und qualitativ hochwertige Exemplare, die durch ihr ungewöhnliches Design in Ikat-, Plangi- und Batiktechniken faszinieren. Gleiches gilt für die afrikanischen Raphia-Gewebe, überwiegend aus dem Kongo, deren abstrakt graphische Dekore ebenso wie afrikanische Skulpturen schon im frühen 20. Jahrhundert die Avantgarde der Klassischen Moderne inspiriert hat. Auch die Textilien aus Peru, sowohl aus präkolumbianischer Zeit wie auch aus dem 19. Jahrhundert, sind Beispiele abstrakter Gestaltung, die universelle Geltung haben. Frühe südamerikanische Keramik, afrikanische Masken und skulpturale Kunst aus Ozeanien vervollständigen die Sammlung. Die hohe Qualität all dieser Werke aus fremden, räumlich und zeitlich weit entfernten Kulturen bringt die Distanz zur Kunst des 20. Jahrhunderts zum Schwinden. Die Wirkung dieser ausgewählten, von ihren Schöpfern nie als Kunst gedachten Artefakte, ist so präsent und unmittelbar, dass die zeitliche und räumliche Entfernung keine Rolle mehr spielt. Das zu zeigen ist die Idee der Sammlung Henkel und ist Gabriele Henkel mit ihrem zweibändigen „Bildessay“ glänzend gelungen. Die Firmensammlung Henkel ist damit eine von den herausragenden Sammlungen, die durch die Individualität, Kennerschaft und Begeisterung einer sie prägenden Sammlerin ihren ganz besonderen Charakter gewinnt.

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