African Costumes and Textiles – From the Berbers to the Zulus – The Zaira and Marcel Mis Collection

Verlag: 5 Continents Editions
Erschienen: Mailand 2008
Seiten: 320
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: € 60.–
ISBN: 978-88-7439-476-0
Kommentar: Michael Buddeberg, April 2009

Besprechung:
Im Jahre 2001 veröffentlichten Zaira und Marcel Mis bei Skira in einem prachtvollen und wunderbar illustrierten Buch ihre einzigartige Sammlung asiatischer Kostüme und Textilien. „Asian Costumes and Textiles – from the Bosphorus to Fujiyama“ war ein Meilenstein der Kostümgeschichte und ein Blick in eine private Sammlung, deren Vielfalt und ästhetische Qualität kaum zu übertreffen ist. Mit Zaira Mis, einer italienischen Galeristin für zeitgenössische Kunst und ihrem Mann Marcel, einem türkischen Textilingenieur und Mode-Designer hatte sich ein Sammler-Duo zusammengefunden, bei dem sich Geschmack, Wissen und Neugier, ein ausgeprägter Sinn für Qualität sowie die Energie und das Gespür passionierter Sammler auf das Beste ergänzten. Mit keinem Wort aber wurde damals verraten, dass diese, hunderte von Stücken umfassende Sammlung aus allen Regionen Asiens, ein „einzigartiges Kompendium asiatischer Kostümkunde“, wie der Rezensent damals feststellte, nur ein Teil der Sammlung ist. Jetzt, in einer in Ausstattung und Umfang vergleichbaren Publikation wird ein ganz anderer und nicht minder faszinierender Teil der Sammlung und mit ihr die textile Kreativität afrikanischer Weber und Kunsthandwerker vorgestellt. Wieder sind es 250 prachtvolle Textilien, Roben, Kopfbedeckungen, Schmuck und Bekleidungsaccessoires, die die unglaubliche Vielfalt der Kostüme eines ganzen Kontinents ausbreiten. Ein Vergleich zum Asienband drängt sich auf und schon stellt sich die Frage, ob die kontinentübergreifende Bezeichnung „costumes“ für Afrika eigentlich zutreffend ist. Gewiss stimmt sie für Nordafrika, für die Textilien und Kostüme des Maghreb von Marokko bis Ägypten, die in ihren textilen Techniken, den dort gegebenen Bekleidungsgewohnheiten, den Schnittmustern und in den Mustern und Dekoren unverkennbar die Nähe Europas, vor allem aber den Einfluss des Islam spüren lassen. Doch südlich der Sahara beginnt eine andere Welt. Die erstaunlichen Erzeugnisse, mit denen sich die Angehörigen afrikanischer Stämme im Westen, Osten und Süden und in der Mitte des Kontinents kleideten und schmückten und dies zum Teil auch heute noch tun, haben mit Kostümen im herkömmlichen Sinn wenig zu tun. Das hat seinen Grund gewiss darin, dass die für Europäer und die Mehrzahl der Asiaten wichtige Funktion von Bekleidung, vor Kälte und Auskühlung zu schützen, im äquatorialen Afrika bedeutungslos ist. Mit der Reduzierung der Funktion von Bekleidung auf die Bedeckung der Blößen geht deren Erweiterung in die Dimensionen Schmuck und Dekor einher und eröffnet ungeahnte Felder der Phantasie und Kreativität. So dominieren denn auch in den Kapiteln, die die Regionen südlich der Sahara behandeln, eindeutig modische Accessoires, Schmuck aller Art und vor allem Kopfbedeckungen. Die unter Verwendung natürlicher Materialen wie Leder, Federn, Barthaare von Elefanten, Stachelschweinborsten und Kauri-Muscheln, um nur einige zu erwähnen, und oft auch mit Glasperlen und europäischen Knöpfen komponierten Kappen, Hüte und sonstige Phantasiegebilde sind in erster Linie dreidimensionale Kunstwerke erlesener Qualität, die die skulpturale Genialität afrikanischer Künstler einmal mehr bestätigen. Auch der weit verbreitete cache-sexe, zu deutsch der Lendenschurz, ist weniger Bekleidung oder gar Kostüm als vielmehr Schmuck mit meist stammesidentifizierendem Dekor. Die abstrakte Musterung der meist aus heimischen Naturfasern gewebten Textilien – Raffia-Gewebe der Kuba aus dem Kongo seien hier beispielhaft genannt – stehen in der ästhetischen Qualität ihres Dekors den dreidimensionalen Objekten nicht nach. Sorgfältige Stickereien aus Kenia, Applikationsarbeiten aus Kamerun, indigogefärbte Stoffe der Yoruba und die bekannten Webstoffe der Ashanti aus Ghana belegen darüber hinaus die perfekte Beherrschung textiler Techniken durch afrikanische Handwerker. In einem solchen Umfang, in solcher Qualität und fast alle afrikanischen Regionen südlich der Sahara abdeckend war dieser Bereich afrikanischen Kunstschaffens kaum je zu sehen. Der ganz andere Schwerpunkt des Buches liegt in Nordafrika, in den Textilien des Maghreb. Neben Stickereien aus Rabat und Tetuan, hennagefärbten Textilien der Ait Agital und einem hinreißenden Cape der Ait Ouaouzguite mit dem berühmten elliptischen Augenmotiv, werden vor allem nomadische und städtische Textilien aus Tunesien vorgestellt, von Webarbeiten in hochkomplexer Lampas- und Broschiertechnik bis zu den dekorativen reservegefärbten Ketfyia-Schultertüchern aus Gabès. Auch hier fasziniert die herausragende Qualität der gezeigten Textilien in technischer wie in ästhetischer Hinsicht. Eine Besonderheit, die das ganze Buch auszeichnet, ist hier anzumerken. Die Fotos von Mauro Magliani, der auch die Textilien für den Asien-Band fotografierte, sind für den an eine nüchtern-zweidimensionale Abbildung von Stoffen gewohnten Textilfreund zunächst fremd und fast zu sehr auf deren dekorative Wirkung ausgerichtett. Fast immer drapiert Magliani die Stoffe, Schals und Tücher, komponiert Falten und setzt durch gezielte Beleuchtung Glanzlichter und Schatten. Doch man gewöhnt sich rasch an diese von Magliani meisterhaft beherrschte Darstellungstechnik, die das in Kostümwerken oft vom eigentlichen Gegenstand ablenkende Model ersetzt und die Stoffe im Wechselspiel von Licht, Schatten und Überschneidungen so zeigt, wie sie vom Weber erdacht und vom Auftraggeber getragen wurden. Es versteht sich, dass die begleitenden Texte von namhaften Experten für die jeweiligen Regionen Afrikas sich vor allem mit der Bedeutung afrikanischer Textilien als Identifikationsobjekte und Stammessymbole befassen und versuchen, deren symbolische Sprache zu enträtseln. „African Costumes and Textiles“ öffnet den Blick auf einen wenig bekannten aber wichtigen Bereich afrikanisch-künstlerischer Kreativität. Es ist damit mehr Kunstbuch als Kostümwerk. Der Liebhaber afrikanischer Skulptur wird das Buch daher ebenso schätzen wie der an Ethnologie Interessierte und der Textilfreund.

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