Chintz – Indian Textiles for the West

Autor/en: Rosemary Crill
Verlag: Victoria and Albert Publishing
Erschienen: London 2008
Seiten: 144
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 30.– englische Pfund
ISBN: 978-1-85177-532-1
Kommentar: Michael Buddeberg, Juni 2008

Besprechung:
Schon Jahrhunderte vor der Entdeckung des Seewegs nach Indien waren indische Baumwollstoffe ein wichtiger Handelsartikel im indisch-südostasiatischen Raum. Die portugiesischen, holländischen und britischen Handelskapitäne griffen das im 16. Jahrhundert auf und nutzten diese, von der ostindischen Koromandelküste stammenden Stoffe zunächst fast ausschließlich als Tauschware für den Erwerb der in Europa so begehrten und kostbaren Gewürze aus Südostasien. Nach Europa gelangten diese Textilien zunächst kaum. So waren erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts kleine Mengen indischer Baumwolle auf den Londoner Märkten erschienen; der Verkauf dieser exotischen Ware war jedoch schleppend. Erst als das Design dieser Stoffe dem europäischen Geschmack angepasst wurde änderte sich das rapide und die Nachfrage nach indischer Baumwolle explodierte förmlich. Bereits 1664 waren 75% der indischen Exporte nach Europa Textilien. Gleichzeitig hatten diese Stoffe einen dramatischen Einfluss auf Wirtschaft und Politik, vor allem aber auf die Lebensqualität der Menschen. Hatte man bis zu dieser Zeit nur Leinen oder Wolle, in höchsten Kreisen natürlich auch Seide, für die häusliche Dekoration und vor allem für die Kleidung benutzt, war plötzlich ein leichtes, komfortables und mit dauerhaften und leuchtenden Farben geschmücktes Material vorhanden. Und es war fast für jedermann erschwinglich und so bewirkten diese Stoffe sogar eine Art gesellschaftlicher Revolution. Erstmals in der Geschichte waren Bedienstete und Herrschaft nicht mehr eindeutig durch die Kleidung unterschieden, denn in allen Gesellschaftsschichten trug man indischen Chintz. Petticoats, Jacken, Kleider waren neben Vorhängen und Bettdecken der letzte Schrei für Damen und sogar die Herren liebten häusliche Kleidung aus diesem eleganten und angenehmen Material. Kein Wunder, dass Woll-, Leinen- und Seidenweber ebenso wie Stoffdrucker angesichts dieser farbenfrohen Stoffe um ihre Existenz bangten und durch massive Proteste gesetzliche Maßnahmen erzwangen. Doch weder eine Verordnung zum Tragen englischer Wolle noch Importverbote für bedruckte Baumwolle oder gar ein Gesetz das das Tragen und den Gebrauch von Chintz verbot, hatten nachhaltige Wirkung. Chintz blieb das ganze 18. Jahrhundert eine Erfolgsstory, die erst durch die Industrialisierung der Textilherstellung zu Beginn des 19. Jahrhunderts ihr Ende fand. Seither bis heute werden floral bedruckte, meist weißgrundige Baumwoll- oder Leinenstoffe mit Glanzappretur als Chintz bezeichnet, doch das Wissen um die Herkunft und komplizierte Technik ihrer Herstellung ging mehr und mehr verloren. So ist das schöne Buch von Rosemary Crill über die für den Export nach Europa in Indien hergestellten Chintze des 18. Jahrhunderts im Victoria & Albert Museum eine wertvolle Bereicherung der Textilliteratur, zumal die Sammlung des V&A neben Amsterdam (Rijksmuseum) und Ontario (Royal Museum) zu den weltweit bedeutendsten gehört. Knapp 100 Wandbehänge, Bettdecken, Handtücher, Möbelbezüge, Servietten, vor allem aber prachtvolle Jacken, Röcke, Mieder und Kleider werden in Farbe in großem Format und in zahlreichen vergrößernden Details gezeigt. Die Muster reichen von frühen figürlichen Darstellungen über naturalistisch dargestellte, von Vögeln, Insekten und anderen Tieren umgebenen Pflanzen und Bäumen bis zu den großblumigen Streumotiven. Es ist klar zu sehen, dass das Design dieser Stoffe immer europäischer wurde und doch bleibt die indische Herkunft, der Stil der späten Mogul-Zeit, bleiben auch chinesische Einflüsse immer unverkennbar. Der exotische Mischstil aus europäischen, indischen und chinesischen Musterelementen, der so trefflich zur Chinamode des 18. Jahrhunderts in England und in ganz Europa passte, fasziniert noch heute. Im einleitenden Text wird neben der Bedeutung des Handels, hier natürlich vor allem der East Indian Company, die äußerst aufwendige Herstellung von Chintz eingehend in Wort und Bild beschrieben. Chintz – der Name ist aus dem Nordindischen abgeleitet und hat etwas mit Bemalen zu tun – wird weder mit Mustern bedruckt noch wird der Trägerstoff, feinste Baumwolle, bemalt. Vielmehr werden die Vorzeichnung und die einzelnen Farben in zahlreichen separaten Arbeitsgängen, immer wieder unterbrochen durch Waschen und neues Vorbereiten, mit komplizierten Beiz- und Reservetechniken aufgetragen. Es ist ein Prozess, der sich über Wochen hinzieht und bei dem lediglich in der Schlussphase kleine Highlights in blau, gelb und grün mit dem Pinsel gesetzt werden, bevor dem Stoff durch Polieren mit Muschelschalen der typische Glanz verliehen wird. Die Leuchtkraft und Beständigkeit dieser Farben, die feine Zeichnung der Muster und damit der außerordentliche Erfolg dieser Stoffe in Europa ist diesem extrem aufwendigen und seit langer Zeit nicht mehr angewandten Verfahren zu danken. Vielleicht, so drängt sich bei manchen der Wandbehänge auf, war der Erfolg dieser Textilien nicht auf Europa beschränkt, sondern hat auch Zentralasien erreicht und dort Früchte getragen. Aufbau, Farbgebung und zahlreiche Musterdetails mancher dieser Chintze sind sehr gut als Vorbilder von Suzanis aus Buchara, Taschkent, Samarkand oder Shahrisyabz aus dem 19. Jahrhundert vorstellbar. Der Gedanke, dass solche Chintze auch Zentralasien erreichten und dort zur Vorlage häuslicher Stickarbeiten wurden, ist nahe liegend und könnte das Rätsel um die Entstehung der Suzani-Stickereien lösen, die, ohne erkennbare Vorbilder, plötzlich um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert in den Oasen Zentralasiens eine Blüte der Textilkunst einleiteten. Europäischer Einfluss in zentralasiatischen Suzanis, vermittelt durch indische Chintze, das ist die These des Rezensenten und zugleich ein Beispiel für die Anregungen, die dieses wunderschöne und hochinteressante Buch zu vermitteln vermag.

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