Der Aachener Kanonikus Franz Bock und seine Textilsammlungen – Ein Beitrag zur Geschichte der Kunstgewerbe im 19. Jahrhundert

Autor/en: Birgitt Borkopp-Restle
Verlag: Abegg-Stiftung
Erschienen: Riggisberg bei Bern 2008
Seiten: 284
Ausgabe: Klappenbroschur
Preis: CHF 65.–
ISBN: 978-3-905014-39-6
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2008

Besprechung:
Gäbe es die Sammler nicht – unser Wissen über die materielle Kultur der Menschheit wäre ungleich ärmer, und ärmer wären auch die Museen dieser Welt, die dieses Wissen in Form von Artefakten bewahren. Der Instinkt, zu besitzen, zu horten und schließlich zu sammeln ist so alt wie der homo sapiens und keine Entwicklungsstufe oder gesellschaftliche Schicht ist gegen diesen Trieb immun. Archäologische Schatzfunde anonymer Sammler aus prähistorischer Zeit belegen dies ebenso wie die unermesslich kostbaren Sammlungen chinesischer Kaiser oder die mit Ölmilliarden aufgebauten Museen arabischer Potentaten. Wie bei jeder Leidenschaft ist auch beim Sammeln der Grat zwischen bewundernswertem Engagement und manischer Besessenheit oft schmal und vielleicht sind gerade diejenigen die faszinierendsten Sammlerpersönlichkeiten, die es vermögen, auf diesem schmalen Grat zu balancieren. Der Aachener Kanonikus Franz Bock (1823-1899) war ein solcher Sammler. Die nun von der Abegg-Stiftung veröffentlichte, in ihrer Urfassung bereits 1991 von der philosophischen Fakultät in Bonn angenommene Dissertation der Textilwissenschaftlerin Birgitt Borkopp-Restle ist eine hervorragend recherchierte und spannend zu lesende Arbeit. Mit kriminalistischem Spürsinn und wissenschaftlicher Akribie beleuchtet die Autorin die Geburt öffentlicher Textilsammlungen in deutschen und europäischen Kunstgewerbemuseen und vor allem das Wirken ihres wichtigsten Geburtshelfers Franz Bock. Schon während seines Theologiestudiums galt sein Interesse nicht nur der Kirchengeschichte und Dogmatik, sondern auch der kirchlichen Kunst und bald nach seiner Priesterweihe organisierte Bock im Jahre 1852, damals Kaplan bei St. Dionysius in Krefeld, eben an diesem Ort eine Ausstellung christlicher Kunst des Mittelalters. Ihren Schwerpunkt hatte sie neben Goldschmiedearbeiten recht deutlich bei frühen Textilien, kirchlichen Paramenten, alten Geweben und Stickereien. Es lag am Geist jener Zeit – die erste Weltausstellung in London 1851 war soeben überaus erfolgreich beendet worden – dass Bocks Ausstellung viel beachtet und sein Engagement gewürdigt wurde. Franz Bock fand einen fürstlichen Gönner, der ihn auf eine große Studienreise in jene Zentren Europas schickte, die im Mittelalter für ihre Seidengewebe und Stickereien berühmt waren. Er erhielt Einblick in viele damals kaum bekannte Kirchenschätze in Deutschland, Frankreich und Italien, und es dürfte in diese Zeit um 1855 fallen – vom Dienst als Kaplan war er längst freigestellt – dass Bock nicht nur mit seiner fruchtbaren Publikationstätigkeit, sondern auch mit dem Sammeln begann. Es war hierfür, aus heutiger Sicht, eine gesegnete Zeit, die Säkularisation hatte in großem Umfang kirchlichen Besitz in den Handel gebracht, Paramente wurden kaum beachtet und landeten häufig bei Althändlern und Trödlern, und Bock war der erste, der alte Gewebe und Stickereien als Kunstwerke zu schätzen bereit war. In kurzer Zeit war so eine Sammlung entstanden, deren Reichtum in Quantität – man muss von einigen tausend Stück ausgehen – und Qualität wohl überwältigend und bis heute einzigartig war. Bock hatte aus Kirchenschätzen spätantike und byzantinische Seidengewebe erwerben können, er besaß Halbseiden und goldbedruckte Leinenstoffe, Kölner Borten und andere Bandwebereien, Stickereien in Seide und Leinen, vor allem aber eine große Zahl von italienischen Seiden des 13. bis 15. Jahrhunderts. Bereits Ende der 50er Jahre begann Bock zu verkaufen. Dem Verkauf einer ersten kleinen Kollektion an das Musée de Cluny folgten weitere an andere damals gerade gegründete oder im Aufbau befindliche Kunstgewerbemuseen, allen voran an das South Kensington Museum in London, an das Museum für Kunst und Industrie in Wien und an das Suermondt-Ludwig-Museum in Aachen, um hier nur einige der wichtigen zu nennen. Man weiß, dass sich Bock nicht scheute, seine Textilien zu zerschneiden, um die Fragmente dann an mehrere Museen verkaufen zu können, was ihm den Beinamen „Scherenbock“ eintrug. Und ganz gewiss hatte Franz Bock auch bei manchem Besuch in Kirchen und Klöstern seine Schere dabei und schnitt sich, zuweilen auch ohne ausdrückliche Erlaubnis, Musterproben aus größeren Textilien heraus. Erfolg und Leidenschaft hatten Bock vom Sammler und Forscher von Textilkunst zum Händler und professionellen Einkäufer für Museen gewandelt. Sein Interesse hatte den Bereich mittelalterlicher Textilien längst verlassen und von Einkaufsreisen durch ganz Europa und den nahen Osten brachte er neben Textilien auch Keramik, Arbeiten in Papier, Leder, Metall, Holz und jegliches Kunstgewerbe mit. Die Sammelleidenschaft Franz Bocks hatte, unterstützt von der Erwerbspolitik der noch jungen und gierigen Museen schließlich jedes Maß verloren. Die von ihm für das Düsseldorfer Kunstgewerbemuseum in den achtziger Jahren zusammengetragene Sammlung von einigen tausend kunstgewerblichen Gegenständen jeglicher Art aus ganz Europa kann als Höhepunkt dieser Entwicklung bezeichnet werden. Ob und wann Franz Bock den schmalen Grat anerkennenswerten Sammelns verlassen hat, mag jeder für sich beurteilen und dabei bedenken, dass Vieles zu seiner Zeit durchaus nicht als verwerflich angesehen wurde, hatten doch beispielsweise fast alle großen Händler von Textilien und Teppichen gelegentlich zur Schere gegriffen. Wie dem auch sei, Franz Bock war zu seiner Zeit in seinen Kreisen ein hoch geachteter, vielfach ausgezeichneter und prominenter geistlicher Herr, dessen Wirken bis heute deutliche Spuren hinterlassen hat. Die meisten der im 19. Jahrhundert gegründeten Kunstgewerbemuseen haben Textilien von ihm erworben und einige von ihnen verdanken ihm in Qualität und Quantität bemerkenswerte Teile ihrer Bestände. Leider erfährt der Leser neben der erstaunlichen Fülle des zusammengetragenen Tatsachenmaterials nur wenig über die Person des Franz Bock, über seine persönlichen Lebensumstände und über die Beweggründe für seinen Lebenslauf und seine Leidenschaften. Doch das wäre dann keine Dissertation, sondern ein Roman, der noch auf seinen Autor wartet.

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