Kölner Patrizier- und Bürgerkleidung des 17. Jahrhunderts – Die Kostümsammlung Hüpsch im Hessischen Landesmuseum Darmstadt

Autor/en: Johannes Pietsch, Karen Stolleis
Verlag: Abegg-Stiftung
Erschienen: Riggisberg bei Bern 2008
Seiten: 416
Ausgabe: Klappenbroschur
Preis: CHF 85.–
ISBN: 978-3-905014-35-8
Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 2008

Besprechung:
Wer wollte bestreiten, dass das Sammeln zu den Urinstinkten des Menschen gehört? Ursprünglich eine Überlebensstrategie hat der zivilisatorische Fortschritt diesen Instinkt mehr und mehr verkommen lassen. Doch nicht bei jedem. Der Kölner Baron von Hüpsch (1730-1805) war ganz gewiss ein Sammler und hat zu Lebzeiten ein enzyklopädisch angelegtes Kunst- und Naturalienkabinett zusammengetragen, das seinesgleichen sucht. Naturalia, ethnographische Objekte, antike Kunst, Waffen, Textilien, Gebrauchsgegenstände aller Epochen, Religiöses und Handschriften formten eine den Idealen der Aufklärung verpflichtete, schon damals weithin bekannte Sammlung. Zum Leidwesen der Kölner blieb sie nicht in der Stadt. Vielmehr vermachte Baron von Hüpsch diese Sammlung 1805 dem Großherzog Ludwig I von Hessen-Darmstadt und seither bildet sie die Grundlage des Großherzoglichen Museums, heute des Hessischen Landesmuseums Darmstadt. Dieses Kölner Erbe ist in vielen Bereichen des Darmstädter Museums spürbar, doch der wohl bedeutendste Schatz der Sammlung Hüpsch ist bis heute weithin unbekannt. Es ist ein geschlossener Bestand großbürgerlicher Gewandoberteile des 17. Jahrhunderts, nämlich Mieder, Wämser und Herrenröcke, die Baron von Hüpsch im späten 18. Jahrhunderts zusammengetragen hat. Das Ensemble ist weltweit einzigartig und übertrifft in seiner Geschlossenheit und Aussage bei weitem ähnliche Objekte des Victoria & Albert Museums und des Bayerischen und des Germanischen Nationalmuseums in München und in Nürnberg. Doch an keinen Altertümern nagt der Zahn der Zeit erfolgreicher als an Textilien. So wurden sie nach Jahrzehnten der Präsentation Mitte des 20 Jahrhunderts weggepackt und gerieten selbst der Fachwelt aus dem Gedächtnis. Die Wiederauferstehung im aktuellen fünfzehnten Band der Riggisberger Berichte ist grandios. Wieder einmal haben eine sammlungs- und grenzüberschreitende Kooperation und das Restauratorenteam der Abegg-Stiftung ganze Arbeit geleistet und diese nun in einer bewundernswerten Publikation dokumentiert. Schon die Wahl der verantwortlichen Projektleiter, die auch als Autoren des Buches zeichnen, ist genial: Karen Stolleis vom Hessischen Landesmuseum ist Kunsthistorikerin mit ausgewiesener Erfahrung in Kostümgeschichte, während Johannes Pietsch als Textilrestaurator mit einer Erstausbildung als Modedesigner und Schnitttechniker und als passionierter Kostümforscher für den technischen Teil steht. Die Expertise und Sorgfalt dieser beiden Autoren prägt den ganzen Band, vor allem aber die Kapitel mit der präzisen kunsthistorischen Beurteilung der Objekte und über die von ihnen offenbarte kunstvolle Näh- und Schnitttechnik jener Zeit, ganz zu schweigen von den akribischen Aufzeichnungen über die sorgfältige Restaurierung. Beide Autoren haben eine gleichsam detektivische Arbeit geleistet. Karen Stolleis führt uns anhand von Bild- und Schriftquellen, Inventaren, Gemälden, Graphiken und alten Kleiderordnungen in die Mode jener Zeit, beweist die Herkunft fast jedes der Teile aus dem kölnischen Großbürgertum und belegt überzeugend die modische Entwicklung in der Zeit von 1610 bis 1675. Während zunächst noch die spanische Hofmode die steife Pracht der Renaissance spüren lässt, gewinnt zur Mitte des Jahrhunderts die Kleidung der reichen städtischen Eliten der Niederlande an Einfluss, bevor sich dann, von Frankreich ausgehend und dem barocken Lebensgefühl entsprechend, ein deutlich bequemerer Stil sowohl in der Damen- wie Herrenmode durchsetzt. Das ist echte Zeitgeschichte und durchaus spannend zu lesen, und wer nun glaubt, die Spannung würde in Johannes Pietschs Bericht über das Schneiderhandwerk des 17. Jahrhunderts nachlassen, wird eines besseren belehrt. Vergessene Stecknadeln, Papiereinlagen, die das Datum der verwendeten Zeitung erkennen lassen, Material, das nicht vor dem 19. Jahrhundert in Gebrauch war, erwecken vor dem inneren Auge nicht nur die anonymen Träger dieser Gewandteile zum Leben, sondern erzählen eine lesenswerte Geschichte der Wämser, Mieder und Röcke von ihrer Entstehung, Umarbeitung und fast wundersamen Bewahrung. Es ist auch durchaus ein seltener Glückszufall, dass diese Objekte dem üblichen Schicksal solcher Kleidungsstücke entgingen, die in der Regel, wenn sie bei der Herrschaft ausgedient hatten, einer Zweitverwertung durch Dienstboten, Kirchen oder wohltätige Institutionen zum Opfer fielen. Im Katalogteil werden die 18 Teile aus der Sammlung Hüpsch sowie 5 weitere Frauengewänder des 18. Jahrhunderts sorgfältig abgebildet und beschrieben. Spätestens an dieser Stelle, den Detailabbildungen, den Materialanalysen und den Schnittzeichnungen wird bewusst, dass schon vor vierhundert Jahren eine hochstehende Schneidertechnik durch vollendete Materialwahl, raffinierten Zuschnitt und durch Einlagen, Polsterungen und gekonntes Pikieren mit handwerklicher Meisterschaft dreidimensionale Formen schuf und der Kleidung einen perfekten, faltenfreien Sitz verlieh. Der Dekor hochwertiger Seidenstoffe, die Verzierung durch Stickerei oder aufgenähte Spitzen oder Bänder und schließlich dutzende aufwendig gestalteter Posamentenknöpfe tragen dazu bei, jedes einzelne der seltenen Mieder und Wämser als textiles Kunstwerk hohen Ranges zu beurteilen. Hier sei allein der hochelegante Männerrock aus dem frühen 17. Jahrhundert erwähnt, dessen delikate Ausführung besticht. Alle Teile dieses Rockes sind durchbrochen gearbeitet und mit feiner Seidenstickerei verziert, die als Muster ein dichtes Flechtwerk aus sich diagonal durchkreuzenden Bändern bildet, das wiederum durch senkrecht darüber gelegte Bänder zusätzlich in vertikale Bahnen unterteilt ist: Modedesign auf höchstem Niveau. Höchstes Niveau hat auch dieser Riggisberger Bericht, der in seinem Anhang nicht nur mit Glossar, Literaturverzeichnis und mehreren Registern aufwartet – darunter eines mit vergleichbaren Objekten in anderen Museen dieser Welt -, sondern auch mit dem Abdruck des textilen Inventars des 1642 verstorbenen Kölner Ratsherren Johannes Broich: Ein erstaunliches Dokument über den Reichtum und Luxus eines wohlausgestatteten Kölner Bürgerhauses, das auch „mehrere türkische Tischteppiche“ erwähnt. Wo sie wohl geblieben sind? (Bis zum 2. November 2008 ist die Sammlung Hüpsch unter dem Titel „Bürgerstolz und Fürstenpracht“ in der Abegg-Stiftung in Riggisberg bei Bern ausgestellt. Während der Ausstellung kostet der Katalog CHF 50.–).

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