Art and Design for All – The Victoria and Albert Museum – Die Entstehungsgeschichte des weltweit führenden Museums für Kunst und Design

Autor/en: Marie-Louise von Plessen, Julius Bryant
Verlag: Bundeskunsthalle und Prestel Verlag
Erschienen: Bonn München London New York 2011
Seiten: 300
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: € 39,95
ISBN: 978-3-7913-5129-2
Kommentar: Michael Buddeberg, Januar 2012

Besprechung:
Ist das Victoria & Albert Museum nun das weltweit führende Museum für Kunst und Design – so der Untertitel des Kataloges der Ausstellung in Bonn – oder nur „die schönste Rumpelkammer der Welt“, wie Katrin Lorch respektlos in der Süddeutschen Zeitung am 22.11.2011 titelte? Und wie kommt die Bundeskunsthalle überhaupt dazu, einem Londoner Museum eine Ausstellung zu widmen? Um Antworten zu finden muss man weit zurückgehen, viel weiter noch als nur bis 1857, als das Museum unter dem Namen „South Kensington Museum“ gegründet wurde. Begonnen hat es wohl mit den Anfängen der Industrialisierung in England. Der Stolz über die industrielle Massenfertigung und über die dazu erfundenen und entwickelten Maschinen gebar die ersten Industrie- und Gewerbeausstellungen. Dampfschiffe und Eisenbahnen machten die Welt kleiner und rückten ferne Länder in den Fokus des Interesses. So war es nur konsequent, dass London im Jahre 1851 die erste der großen Weltausstellungen ausrichtete, die mit dem damals futuristisch aus Eisen und Glas errichteten Crystal Palace, mit 17.000 Ausstellern, 100.000 ausgestellten Objekten aus aller Welt und mehr als 6 Millionen Besuchern ihrem globalen Anspruch durchaus gerecht wurde. Das war aber nur die eine Seite der industriellen Revolution, die mit der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft auch einen Nährboden für solch negativen Erscheinungen wie Kriminalität, Alkoholismus und Prostitution schuf und den Markt mit Schund überschwemmte. Der Ruf nach Reform, Vorbild und Bildung wurde vernehmlich. Doch es bedurfte des Visionärs, um aus dem Bedarf Realität werden zu lassen. Dieser Visionär war Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, Absolvent eines Studium Universale und der Kunstgeschichte in Bonn, kurz ein Universalgelehrter seiner Zeit. Als Prinzgemahl der Queen Victoria und als einer der Inspiratoren und Organisatoren der Weltausstellung von 1851 hatte er nicht nur die Vision, sondern auch die Mittel und Möglichkeiten der Umsetzung. Mit dem kommoden Einnahmenüberschuss von über 4 Millionen Goldmark aus der Ausstellung konnten nicht nur bedeutende Ankäufe aus der Weltausstellung finanziert, sondern auch ein großes Gelände in South Kensington erworben und mit dem Bau eines nach Form und Inhalt völlig neuartigen Museums begonnen werden. 1857 war es soweit. Das South Kensington Museum wurde eröffnet und es wurde zu einem Meilenstein in der Museumsgeschichte. Als erstes Museum weltweit, das sich ausschließlich dem Kunstgewerbe, den angewandten oder industriellen, aber auch den schönen Künsten widmete, stellte es einen völlig neuen Museumstypus dar, der – wie sich alsbald zeigte – Schule machte. Nicht nur seine Architektur, auch die besucherfreundliche Struktur mit Gasbeleuchtung, Museumsrestaurant – dem ersten überhaupt – zählte es in jeder Hinsicht zur Avantgarde und wurde zum Vorreiter der musealen Moderne. Neben den wichtigen Museumsgründungen in Wien (1864), Berlin (1868) und Budapest (1872) gab es 1890 schon 25 Museen, die nach dem Vorbild des South Kensington Museums errichtet waren. Und es waren natürlich vor allem die Art der Sammlungen aus allen Bereichen der angewandten Kunst und das didaktische Konzept, die diese neuen Museen und allen voran das South Kensington Museum als Bildungs- und Schulungseinrichtungen für Studenten, Gestalter und das breite Publikum so attraktiv und so wichtig machten. Das 1899 nach seinem Gründer und der großen englischen Queen in „Victoria & Albert“ umbenannte Museum stand so am Anfang des heute allgegenwärtig und global gewordenen Begriffs Design. Dies entsprechend zu würdigen ist eine Ausstellung wert, und der begleitende Katalog gibt umfassend Antwort auf die hier eingangs gestellten Fragen. Die deutschen Wurzeln des Museums, die Wiederbelebung der Kunst in der Industrie, die Ankaufspolitik, die Architektur des riesigen Museumskomplexes, die Präsentation der Artefakte und anderes mehr werden in einführenden Essays behandelt. Auch die knapp 400 ausgestellten Objekte befassen sich vorwiegend mit den Grundlagen und der frühen Geschichte des Museums, mit Vorbildern, Vorläufern und mit der Weltausstellung von 1851 – hier sind besonders sehenswert die Aquarelle und Gouachen der Präsentationen im Crystal Palace von zeitgenössischen englischen Künstlern. Der unendlich reiche und vielfältige Fundus von heute mehr als 2 Millionen Objekten ist indessen nur mit wenigen Beispielen vertreten. Und es sind verständlicherweise nicht die besten und spektakulärsten Stücke, die in Bonn zu sehen sind, denn diese blieben natürlich in der ständigen Präsentation in London. Ein Beispiel aus den Objekten islamischer Kunst mag dies verdeutlichen. Von einer der bedeutendsten Teppichsammlungen der Welt ist natürlich nicht der berühmte Teppich aus Ardebil zu sehen, sondern „nur“ der von George Salting dem Museum hinterlassene safawidische Teppich, der, wie eine ganze Gruppe verwandter Teppiche mit vorzüglicher Erhaltung lange Zeit für eine Kopie des 19. Jahrhunderts gehalten wurde. Es ist aber gerade diese mit Beispielen garnierte Entstehungsgeschichte des weltweit führenden Museums für Kunst und Design, die auf den Besuch des Museums in London neugierig macht. Dazu gehören vor allem auch die in Text und Bild enthaltenen Hinweise auf den ungewöhnlich reichen Bestand asiatischer Kunst im Victoria & Albert. Das Museum beherbergt nicht nur Sammlungen chinesischer, japanischer und islamischer Kunst, die weltweit zu den schönsten gehören, sondern in erster Linie den wohl reichsten Schatz traditionellen indischen Kunsthandwerks. Die britische East India Company hatte schon 1798 das später zum großen Teil vom V&A übernommene India Museum gegründet, und sammelnde britische Militärs und Auslandsbeamte trugen durch Schenkungen wesentlich zu dem Bestand der „schönsten Rumpelkammer der Welt“ bei. (Der Katalog ist auch in einer englischen Ausgabe des V&A erschienen, ISBN 978-1-85177-666-5).

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