Architectural Textiles: Tent Bands of Central Asia

Autor/en: Richard Isaacson
Verlag: The Textile Museum
Erschienen: Washington 2007
Seiten: 136
Ausgabe: broschiert
Preis: US-$ 29.95
ISBN: 978-0-87405-032-5
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2007

Besprechung:
Das Haus zentralasiatischer Nomaden, das runde Scherengitter-Zelt, ist eine geniale Erfindung. Wer je ein mongolisches Ger erlebt hat – dort in der äußeren Mongolei ist das Ger bis heute die traditionelle und vieltausendfach benutzte Wohnform -, seine ideale Beheizbarkeit durch die zentrale Feuerstelle, seine Isolierung durch den dicken Filzbelag, der durch seine Flexibilität bei Bedarf eine unendliche Vielzahl von Belüftungsvarianten ermöglicht, und wer dabei war, wie dieses Ger in Stundenfrist ab und wieder aufgebaut und auf dem Rücken von zwei oder drei Lastkamelen oder Yaks problemlos über weite Entfernungen transportiert werden kann, der versteht, dass es diese Erfindung war, die nomadisches Leben in Zentralasien über ein oder mehrere Jahrtausende überhaupt erst möglich gemacht hat. Das Zelt besteht aus dem radförmigen Dach und dutzenden von Streben oder Speichen, die dieses Dachrad mit der Zeltwand aus mehreren beweglichen Scherengittern und einer massiven Tür verbinden. Dach und Wände werden mit Filz verkleidet. Schon das Gewicht dieser Filzbahnen, mit Sicherheit aber die Gewalt zentralasiatischer Winterstürme würde die fragile Konstruktion aus mehr oder weniger dünnen Holzstäben zum Einsturz bringen, wären da nicht stabilisierende Elemente ganz ähnlich dem Stahlskelett moderner Wolkenkratzer. Nur sind sie hier aus textilem Material, aus Yakhaar-Seilen bei den Mongolen und aus gewebten Bändern bei den meisten anderen Nomaden Zentralasiens. Diese Bänder winden sich durch den Dachaufbau, umgeben die runde Scherengitterkonstruktion, verteilen die Kräfte und geben dem Zelt Festigkeit. Es ist wohl diese ganz entscheidende statische Funktion, die dazu geführt hat, dass die Weberinnen bei der Herstellung und Dekoration dieser Bänder besondere Sorgfalt walten ließen. So entstanden Textilien, die sich in Technik und Aussehen von allen anderen nomadischen Textilerzeugnissen deutlich unterscheiden. Schon das Format – Zeltbänder können eine Länge von 16 Metern und mehr erreichen – ließ sie zu den Exoten unter den Sammelobjekten werden und das ist wohl auch der Grund, warum sie von der Literatur über nomadische Textilien bisher vernachlässigt wurden. Mit Richard Isaacsons Buch über zentralasiatische Zeltbänder, die begleitende Publikation zu einer Ausstellung des Textile Museum in Washington, erschien nun das erste Buch, das sich ausschließlich diesem Thema widmet und das eher fragmentarische Wissen über diese Bänder zusammenfasst. Solche Zeltbänder webten die Kasachen und Karakalpaken, die Usbeken und Kirgisen, vor allem aber die verschiedenen turkmenischen Stämme im heutigen Turkmenistan, Afghanistan und im nördlichen Iran. Bei diesen turkmenischen Zeltbändern, in der Regel in einer Mischtechnik gearbeitet, mit festem Grundgewebe und eingeknüpften Mustern, liegt der Schwerpunkt des Buches und das zu Recht. Diese weißgrundigen turkmenischen Zeltbänder der Nomaden von den Stämmen der Tekke, Salor und Saryk oder denen der Tschaudor und der Jomut, sind technisch und künstlerisch einzigartige Meisterwerke, die von keinem anderen nomadischen Textilprodukt erreicht werden. Vermutlich wurden sie als Schmuckbänder für das weiße turkmenische Hochzeitszelt gewebt und geknüpft. Sie entstanden in oft jahrelanger Arbeit , blieben nur kurze Zeit in Gebrauch und wurden dann als Familienschatz sorgsam verwahrt und nur noch zu besonderen Gelegenheiten benutzt, was ihren oft hervorragenden Zustand erklärt. Aber nicht nur der tatsächliche Gebrauch dieser Bänder, vor allem ihr Alter und die Zuschreibung bestimmter Typen und Muster zu konkreten Stämmen ist ein bis heute nicht wirklich gelöstes Rätsel. Radiocarbon-Datierungen einiger Bänder attestieren eine Entstehungszeit im 16. und 17. Jahrhundert und in der Tat dürften sich in diesen Bändern weit stärker als in allen anderen turkmenischen Knüpfarbeiten uralte Mustertraditionen über viele Jahrhunderte erhalten haben. Eine Datierung anhand einer Stil- oder Musterentwicklung ist damit nicht möglich und der Autor enthält sich vorsichtig jeglicher Altersangabe. Auch die Zuschreibung zu bestimmten Stämmen wird von ihm durchweg mit einem Fragezeichen versehen, und das unterscheidet ihn wohltuend von manch anderem Experten, der zu wissen glaubt, was man bis heute nur vermuten kann. Das Buch ist damit ein wertvoller Anstoß für die weitere präzise Erforschung dieses einzigartigen Knüpfprodukts turmenischer Nomaden. Dazu ermöglicht das reich abgebildete Anschauungsmaterial – dank dem Querformat und vier doppelt ausklappbaren Tafeln sind 24 Bänder in voller Länge abgebildet – eine vergleichende Betrachtung und illustriert eine ungewöhnliche Parallele, die Isaacson aufzeigt: Die Länge und die abschnittweise und immer wieder durch Längszäsuren unterbrochene Gestaltung lässt an die Notenschrift musikalischer Kompositionen denken. Des Autors phantasievolle Assoziation der Abfolge von Mustern lässt denn auch eine „Musik für die Augen“ entstehen, womit die Faszination und der ästhetische Genuss, der von diesen Kunstwerken ausgeht, gut beschrieben ist.

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