Embroidered Paradise – Central Asian Embroideries from the Collection Tair A. Tairov

Autor/en: Marianne Aav et. al. (Hrsg)
Verlag: Designmuseo Helsinki
Erschienen: Helsinki 2007
Seiten: 160
Ausgabe: Illustrierte Klappenbroschur
Preis: € 43.–
ISBN: 978-952-9878-54-3
Kommentar: Michael Buddeberg, Juni 2008

Besprechung:
Die Ursprünge gestickter Textilien verlieren sich im Nebel der Frühgeschichte. Die Technik ist im Prinzip einfach und so war der Brauch, Stoffe mit genähten Mustern zu verzieren, schon früh in allen Kulturen verbreitet. Doch so einfach die Technik auch ist – die Vielfalt, Schönheit und Farbigkeit, der Reichtum an Formen und Variationen, die mit Nadel und Faden geschaffen werden können, kennt keine Grenzen. An keinen Arbeiten ist das besser zu sehen als an den Susani, den großen, vollflächig bestickten Decken und Wandbehängen aus den zentralasiatischen Oasenstädten Buchara, Sharisabz, Nurata, Samarkand, Taschkent und Fergana. Blumen, Blätter und Blüten, Büsche und Bäume, Granatäpfel und Weinranken formen sich zu paradiesischen Gärten. Sonne, Mond und Sterne sorgen für den kosmologischen Hintergrund und Vögel, Hähne, Krüge und geheimnisvolle abstrakte und geometrische Muster vermitteln spirituelle Inhalte. So ist es kein Wunder, dass diese prächtigen Textilien, als sie Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts mit Emigranten aus dem östlichen Russland, vor allem aber nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nach Europa, Israel und nach Istanbul gelangten, sich rasch zu einem begehrten Objekt für Sammler und Museen entwickelten. Einer, der von Anfang an dabei war und dessen Sammlung zentralasiatischer Stickereien und Ikats (Suchbegriff für das Archiv: „Tairov“ oder „Ikats from Turkestan“) zu den schönsten und bedeutendsten der Welt gehört, ist Tair A. Tairov. Seine Sammlung zentralasiatischer Stickereien, das sind nicht nur Susanis, sondern auch Stickereien der Lakai, Kleider und Mäntel, Schärpen, Pferdeschmuck, Kopfbedeckungen und allerlei modische Accessoires, war 2007 im Designmuseum in Helsinki ausgestellt und der dazu erschienene Katalog ist eine wertvolle Bereicherung der Literatur zu diesem Thema. Der einleitende Text von Tairov zeichnet sich durch profundes Wissen aus und vor allem durch seine persönliche Beziehung zu diesem Gebiet. Hier schreibt nicht nur ein Sammler, sondern einer, der mit diesen Textilien aufgewachsen ist, der ihren Gebrauch und ihre Bedeutung im traditionellen Umfeld selbst erlebt hat. Tairov ist 1937 in Taschkent geboren, dort aufgewachsen und er beschreibt anschaulich, wie die von außen kargen und abweisenden Häuser seiner Heimat in ihrem Inneren paradiesischen Gärten oder, aus heutiger Sicht, kleinen Textilmuseen glichen und welch wichtige Rolle Textilien im alltäglichen Leben, vor allem aber bei Festen und Feiern, bei Geburt, Hochzeit und Tod und als nobles Geschenk gespielt haben. Doch wie alle Autoren, die bisher über Susanis geschrieben haben, kann auch Tairov das große Rätsel, warum plötzlich zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Stickkunst in den zentralasiatischen Oasenstädten ein solche Blüte erlebte, nicht lösen. Der Bericht des spanischen Botschafters Clavigo vom Hofe des Timur über die reiche Ausstattung von Zelten mit gestickten Textlilien, belegt zwar deren Beliebtheit und Verbreitung im 14./15. Jahrhundert, sagt aber nichts über ihr Aussehen. Ob sie die Vorläufer der Susanis waren, bleibt unbeantwortet. Immerhin ist es nahe liegend, dass der erste Mogul-Kaiser Babur, ein Nachkomme Timurs, diese Stickereien mit nach Indien brachte und dort eine Tradition begründete. Möglich auch, dass indische Textilien und Stickereien der späteren Mogul-Zeit diese unbekannten Vorläufer der Susanis waren, denn wir wissen von dem französischen Arzt und Philosoph Bernier, der am Ende des 17. Jahrhunderts einige Jahre am Hofe der Mogul-Kaiser lebte, dass Kaiser Aurangzeb usbekische Besucher aus Samarkand reich mit Textilien beschenkte. So kann denn weiter über Ursprung und Herkunft der Susani und ihrer Muster nachgedacht und spekuliert werden. Die Bereicherung von Anschauungsmaterial durch die Sammlung Tairov jedenfalls ist beachtlich. Von den ca. 50 Susanis sind 2 Gruppen besonders hervorzuheben: Das sind die nur in kleiner Zahl erhaltenen Stickereien auf farbiger Seide aus Sharisabz, von denen die Sammlung Tairov immerhin 14 Stück enthält und eine seltene Gruppe mit rapportartigen Boteh-, Fliesen- und geometrischen Mustern. Wunderbar auch die 55 kleinformatigen Stickereien der nomadischen Lakai und Kungrat aus dem südlichen Usbekistan, Tadschikistan und Afghanistan, deren zoomorphe, stark abstrahierte Muster mit Spinnen, Skorpionen und mythisch heraldischen Symbolen sehr stark an die kaukasischen Kaitag-Stickereien erinnern. Schärpen, Gürtel, intarsierte und bestickte Lederstiefel, Börsen, tadschikische und karakalpakische Frauenschleier und viele Dutzend bestickter Mützen, Kappen und Hüte, insgesamt fast 300 Sammlungsteile zeigen Reichtum, Schönheit und Vielseitigkeit zentralasiatischer Stickkunst. Sie ist heute fast nur noch in Museen und Sammlungen und in Katalogen wie diesem zu bewundern, denn, so schreibt Tairov, in den Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion klopften Händler auf der Suche nach alten Textilien an fast jede Haustür. Damit dennoch vor dem inneren Auge das farbenfrohe und von den vielfältigsten Textilien bestimmte Bild eines zentralasiatischen Basars entstehen kann, zitiert Tairov aus dem Tagebuch von Willi R. Rickmers, der Buchara 1894 besuchte: „Dämmrig sind die engen und winkeligen Gänge der überdachten Basare. Schulter an Schulter zwängt sich die Menge hindurch, in den Kreuzungen zu trägen Winkeln gestaut. Dazu säcketragende Esel, die dich hilflos an die Wand drücken, Reiter auf silbergezäumten Rossen, manchmal sogar ein Zug Kamele, die ihren Almglockenklang ins dumpfe Gemurmel der Stimmen mischen. Und in diesem Lärm und Gedräng alle bunten Kleckse und Striche, die je eines Künstlers Farbenteller fleckten. Da gibt es grüne, weiße, gelbe Kaftane, schwarze mit roten Streifen, grüne mit blauen Bändern, purpurne mir schwefelgelben Blitzen, oder drei und vier Farben in beliebiger Mischung, grell oder matt. Da sieht man Streifen, Tupfen, Kreise, Schlangen, Blumen, Klatsche, die ihre Gestaltungen knallrot, scharlachen, apfelsinenfarben, smaragdgrün aus himmelblauen, braunen, grauen oder silbernen Untergründen leuchten lassen. Dieses märchenhafte Gewühl ebbt und flutet im Zwielicht der Hallen, plötzlich aufflammend, wo der Sonnenschaft schräg durch eine Lücke der Mattensegel schießt. In den Buden Seide und Teppiche, Prachtgewänder und Stickereien, Granatäpfel und Pfefferschoten. Und auf der mannshohen Oberfläche schwebt und treibt das Gewimmel unzähliger schneeweißer Turbane wie ein Flug blendender, reiner Tauben, die sich auf einen strömenden Blumengarten niedersenkten. Dazu die Musik des menschlichen Gewoges; dazu der Duft von Asiens Erde, von Hammelfett, von Menschen und Kamelen; über allem aber der Duft von Muskat und Zimt und hundert Gewürzen“ (zitiert hier nach dem Original: W.R.Rickmers, „Alai! Alai!“, Leipzig 1930).

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