Alexander der Große und die Öffnung der Welt

Autor/en: Svend Hansen, Alfried Wieczorek, Michael Tellenbach (Hrsg)
Verlag: Schnell & Steiner
Erschienen: Regensburg 2009
Seiten: 448
Ausgabe: Hardcover
Preis: € 34,90
ISBN: 978-3-7954-2177-9
Kommentar: Michael Buddeberg, Dezember 2009

Besprechung:
Mit dem jähen Krankheitstod des gerade 32-jährigen Alexander in Babylon im Jahre 323 v.Chr. begann der Mythos von Alexander dem Großen, der bis heute lebendig ist. Alexander hatte in nur wenigen Jahren ein Weltreich geschaffen, war König von Makedonien und Hellas, Pharao von Ägypten und Herrscher über den gesamten Orient. Er starb auf dem Höhepunkt seiner Macht und sein Reich reichte im Osten bis zu den Grenzen der damals bekannten Welt, dem sagenumwobenen Indien. Ein solches Schicksal ist wie geschaffen zur Bildung von Legenden und Mythen um eine Heldengestalt. Das 1831 in Pompeji ausgegrabene Alexandermosaik aus der Casa del Fauno, das bedeutendste „Mosaikgemälde“ aus der Antike mit der Darstellung der entscheidenden Phase in der Schlacht bei Issos 333, als Alexander der Große und der persische Großkönig Dareios kämpfend aufeinander trafen zeigt, dass die Heldenverehrung Alexanders auch in der römischen Welt des 2. Jahrhunderts vChr. angekommen war. Das mag durchaus verwundern, endete doch das Weltreich Alexanders an den westlichen Gestaden Griechenlands. Man weiß zwar, dass die Erweiterung des Reiches nach Westen zu Alexanders Eroberungsplänen gehörte, doch dazu ist es nicht mehr gekommen. Umso bedeutender und nachwirkender war Alexander im Osten. Die griechische Kultur im Gepäck stießen der Eroberer und sein riesiges Heer während des 11-jährigen Asienfeldzuges auf andere, hoch entwickelte Kulturen, auf die achämenidische des Perserreiches, die baktrische in Zentralasien und sie erhielten gar eine Ahnung davon, dass es auch jenseits der bekannten Welt, noch weiter im Osten, bisher gänzlich unbekannte Macht- und Kulturzentren geben musste. Der griechische Einfluss in den eroberten Ländern war so bedeutend und nachhaltig, dass der mit Alexander beginnende, Jahrhunderte währende Zeitabschnitt als hellenistisch bezeichnet wird. Andererseits bewirkte die für einen Eroberer ungewöhnlich tolerante, auf Ausgleich, Anpassung und Integration bedachte Politik Alexanders, dass asiatische Gedanken und Errungenschaften auch den Kulturraum des Mittelmeeres erreichten. Diese „Öffnung der Welt“, man kann wohl sagen der erste Globalisierungsschub der Menschheitsgeschichte, ist Gegenstand der großen Alexanderausstellung im Mannheimer Reiss Engelhorn Museum (bis zum 21.02.2010) und des gewichtigen Katalogbuches. Die Ausstellung ist, wie bei einem weit über zweitausend Jahre altem Thema kaum anders zu erwarten ist, eine fast ausschließlich mit archäologischen Artefakten bestückte Schau, die leider die materielle Kultur jener Zeit nur unvollkommen erschließen kann. Umso wichtiger aber ist die begleitende Publikation, in der zwei Dutzend Essays die Exponate in ihren historischen, politischen und kunsthistorischen Zusammenhang stellen und die erläutern, welche Wirksamkeit das Alexanderreich auf die kulturelle Entwicklung in Vorder- und Zentralasien bis hin nach Fernost hatte. Durch die Ausgrabungen der vergangenen Jahrzehnte, an denen das Deutsche Archäologische Institut wesentlichen Anteil hat, sind die zahlreichen Stadtgründungen Alexanders in Zentralasien archäologische Gewissheit geworden. Der Oxos Tempel in Tachti Sangin, die Festung Kurgansol und die Städte Kalchajan und vor allem Kampyr-Tepe, möglicherweise das antike Alexandria Oxiana, allesamt im Stromland des Oxus und Jaxartes, der heute Syr-Darja und Amu-Darja genannten Flüsse in Usbekistan, Tadschikistan und Kirgistan gelegen, sind nur einige der Ausgrabungsstätten, die neue Erkenntnisse und eine große Menge aufschlussreicher Fundstücke lieferten. Eine andere wichtige, mit Ausstellung und Katalog erschlossene Quelle sind Münzfunde, mit denen wir uns nicht nur ein Bild von Alexander selbst, sondern auch von den Herrschern und Göttern der seiner Staatsgründung nachfolgenden Diadochenreiche machen können. Seleukidien, Parthien, Sogdien und Baktrien sind nur einige dieser Diadochenstaaten. Die beiden letztgenannten gehörten zu dem ganz im Osten der alexandrinischen Staatsgründung gelegenen graeco-baktrischen Reich, das für viele Jahrhunderte eine blühende Exklave griechischer Kunst und Kultur in Zentralasien war und dem eine Schlüsselrolle bei der Entstehung der buddhistischen Kunst zukommen sollte. Es war wohl in Baktrien, wo professionelle, griechische Künstler erstmals damit begannen, Buddha nicht mehr nur durch seine Symbole, sondern in Menschengestalt darzustellen. Eine Synthese aus griechischer und lokaler baktrischer Kunst hat dort eine außergewöhnliche neue Richtung hervorgebracht, deren wichtigste Ausdrucksform wir heute mit Gandhara-Kunst bezeichnen und die das Abbild des Buddha bis heute prägt. Nach wie vor ist hier vieles Spekulation, wo und wann das genau geschehen ist, doch spricht manches dafür, dass die hellenistische Kunst in Baktrien zumindest ein sehr starker Impuls für die buddhistische Kunst in Gandhara war. Mit diesem spannenden Ausblick auf die griechische Geburtshilfe der buddhistischen Kunst endet der Reigen der Beiträge und auch der Jahrhunderte nachwirkende Geist Alexanders beginnt zu verblassen. Die baktrischen Griechen mussten den reiternomadischen Saken und schließlich den Kuschan weichen und zogen sich über den Hindukusch nach Indien zurück. Doch selbst heute noch gelten blonde Kinder mit blauen Augen als ferne Nachkommen Alexanders und der von ihm zur Frau genommenen baktrischen Fürstentochter Roxane, kein Ende also der Legenden und Mythen um Alexander den Großen. Höhepunkte der Ausstellung sind achämenidische Gold- und Silberarbeiten, griechische Vasen sowie Kunst aus Gandhara und dem Kuschan-Reich, während der Katalog durch die sorgfältigen Analysen der Ausgrabungen der letzten Jahrzehnte glänzt. Das berühmte Alexandermosaik blieb allerdings im Archäologischen Nationalmuseum in Neapel und ist in Katalog und Ausstellung allein durch zwei Essays über seine Rettung und Bedeutung sowie durch eine Majolika-Replik aus dem 19.Jahrhundert präsent.

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