Weltgeschichte der Bekleidung – Geschichte Tradition Kulturen

Autor/en: Patricia Rieff Anawalt
Verlag: Haupt Verlag
Erschienen: Bern Stuttgart Wien 2007
Seiten: 608
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: € 115.– (bis zum 31.12.2007: € 99.–)
ISBN: 978-3-258-07213-5
Kommentar: Michael Buddeberg, Dezember 2007

Besprechung:
Die Geschichte der Bekleidung ist Menschheitsgeschichte schlechthin. Die Frage nämlich, wann der Mensch damit begann, sich zu bekleiden, ist zugleich die Frage nach der Menschwerdung als solcher. Antworten auf derart fundamentale Fragen mag man in der Bibel suchen, und tatsächlich wird man im Alten Testament auch fündig: Es war die Vertreibung aus dem Paradies als der Mensch begann, seine Blößen zu bedecken. Mit dem Ende der paradiesischen Nacktheit aber, so wird man wohl sagen können, begann das hiesige, irdische Dasein des Menschen. Wann das war, verrät uns die Bibel allerdings nicht. Auch Wissenschaft oder Archäologie helfen hier nicht weiter, denn die ersten Anfänge der Bekleidung, wie immer sie beschaffen waren, sind schon vor Jahrtausenden zu Staub zerfallen. Doch es gibt eine Parallele: Frühe Menschheitsgeschichte definiert sich nach Art, Form und Gebrauch von Werkzeugen. Und wir dürfen wohl annehmen, dass die Herstellung und der Gebrauch von Werkzeugen und die erste Anfertigung und Benutzung einfacher Bekleidung zeitlich nicht allzu weit auseinander liegen. So werden unsere Vorfahren wohl erstmals irgendwann im Paläolithikum, in der Altsteinzeit, vor vielleicht 70.000 oder auch nur vor 50.000 Jahren damit begonnen haben, sich zu bekleiden, zunächst vermutlich mit dem Fell eines erlegten Tieres. Damit war ein Grundbedürfnis des Menschen geweckt, das eines der interessantesten und das vielleicht vielseitigste Kapitel menschlicher Kreativität geschrieben hat, die Weltgeschichte der Bekleidung. Im vorliegenden Fall wurde sie verfasst von der Chefethnologin des Fowler Museum of Cultural History in Los Angeles, jenes Museums, das für seine textilkundlichen Sammlungen und Publikationen weltbekannt ist. Der Autorin wird man deshalb nachsehen, dass das Kapitel über Nordamerika von den insgesamt zehn Kapiteln mit großem Abstand am umfangreichsten ausgefallen ist, obwohl die Geschichte der Bekleidung hier eigentlich erst mit der Entdeckung dieser Neuen Welt im 15. Jahrhundert beginnt. Andererseits finden sich hier eine solche Fülle nicht nur von ungewöhnlichen und ungewöhnlich schönen Artefakten, sondern auch von Graphik, Zeichnungen, Gemälden und Fotografien aus alter Zeit, durch die ein überaus lebendiges Bild der Cherokee, Kiowa, Sioux, Navajo und anderer nordamerikanischer Indianerstämme entsteht. Dieses Konzept, Vielfalt durch Abwechslung auch in Layout und Darstellung, durch steten Wechsel zwischen reiner Bekleidung und Accessoires und durch unterschiedlichste Abbildungsvarianten zu zeigen, ist im ganzen Buch durchgehalten und macht, dass man es immer wieder gerne zur Hand nimmt, sei es, um nur zu blättern und zu schauen oder um eines der Kapitel zu lesen. Es sind 10 Kapitel, die den Leser von Vorderasien, der Wiege so vieler früher Kulturen, Europa, Zentral-, Ost-, Süd- und Südostasien über Ozeanien nach Nord- und Südamerika und schließlich nach Afrika führen. Die Vielfalt dessen, was von ungezählten indigenen Völkern seit Jahrtausenden aus Pflanzenfasern und tierischen Produkten, aus Baumwolle, Seide, Flachs, Rinde, Raphia, Wolle, Federn, Pelz, Haut und Leder geklopft, haltbar gemacht, gefilzt, gewebt, genäht, bestickt, appliziert und gefärbt und zu Kleidung und Accessoires verarbeitet wurde, ist überwältigend. Ob altägyptisches Hemdkleid aus Leinen, wollene Toga der Römer, japanischer Seidenkimono, farbenfroher indischer Sari, besticktes europäisches Dirndl, afrikanisches Zeremonialgewand, Burka aus Vorderasien oder Drachenrobe vom chinesischen Kaiserhof, was Menschen ersonnen und mit Liebe, Sorgfalt und handwerklicher Fertigkeit hergestellt haben, um sich zu kleiden und zu schmücken, wird an Vielfalt und Reichtum wohl von keinem andern Produkt menschlichen Schaffens übertroffen. Weit über eintausendeinhundert Abbildungen lassen ein unglaublich buntes, reiches und abwechslungsreiches Kaleidoskop von Männer- und Frauenkleidung, Haarschmuck, Kopfbedeckungen, Schmuck, Rüstungen und speziellen Trachten entstehen. Die Feststellung, dass manches fehlt oder nur oberflächlich gestreift wird, etwa der Reichtum europäischer Trachten, welche von Landschaft zu Landschaft, ja sogar von Tal zu Tal ganz verschieden sein können – ähnliches gilt auch für den tibetischen Kulturkreis im Himalaya –, die Vielfalt südchinesischer Minderheiten, von denen nur die Miao erwähnt werden, oder die vielseitige textile Tradition der Banjaren in Indien, die unerwähnt bleibt, zeigt nur, dass die Weltgeschichte der Bekleidung noch viel reicher ist, als sie in dieser umfassenden Enzyklopädie dargestellt ist. Ob man sich nun für Geschichte interessiert, für fremde Länder, für Textilien, für Archäologie, für Design oder auch einfach nur für die unendliche gestalterische Kreativität des Menschen – das Buch über die Geschichte der Bekleidung ist für jeden eine wahre Fundgrube.

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