Milestones in the History of Carpets

Autor/en: Jon Thompson
Verlag: Moshe Tabibnia
Erschienen: Mailand 2006
Seiten: 288
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag im illustrierten SchmuckschuberSchuber
Preis: € 260.–
ISBN: 88-902710-1-9
Kommentar: Michael Buddeberg, März 2007

Besprechung:
Sammlungen gleich welcher Art haben viel zu erzählen. Sie stecken voller Geschichten über die Suche nach einzelnen Objekten, über den Zufall und das Glück, das bei manchem Erwerb eine Rolle gespielt hat, über die aufregende und oft jahrelange Jagd nach einem bestimmten Stück aber sie erzählen auch von Enttäuschungen und von verpassten Gelegenheiten. Und sie verraten eine Menge über den Sammler, über seine Vorlieben, seinen Geschmack, sein Wissen und noch so manches mehr. Das alles gilt in aller Regel für private Sammlungen und Sammler aber natürlich nicht für das kommerzielle Angebot von Händlern – mit einer Ausnahme: Die Sammlung von 30 klassischen Teppichen, allesamt von musealem Rang, die der Mailänder Händler Moshe Tabibnia in einem knappen Jahrzehnt zusammengetragen und im Oktober 2006 in seiner Galerie vorgestellt hat, ist nicht nur von allerhöchstem Niveau, sondern hat auch viel zu erzählen. Da ist etwa die Geschichte von der Versteigerung wertvollen Mobiliars der Abbazia di San Gregorio durch ein Auktionshaus in Venedig. In diesem ehemaligen venezianischen Konvent, einst Eigentum der amerikanischen Millionenerbin Barbara Hutton, befanden sich kostbare Möbel und Einrichtungsgegenstände, darunter auch bedeutende und entsprechend hoch bewertete Teppiche. Ein mit einem bescheidenen Wert von € 5000.- bis 7000.- veranschlagter „antiker anatolischer Teppich“ schien in diesem illustren Angebot eher ein Mauerblümchen zu sein und war dann aber doch die erste große Teppichsensation des 21. Jahrhunderts : Ein bis dato unbekannter, großgemusterter „Holbeinteppich“ in exzeptioneller Qualität von Muster und Farben in einem für sein Alter geradezu phantastischen Zustand sollte, und das mit gutem Grund, den höchsten je für einen anatolischen Teppich bezahlten Preis erzielen. Das bisher einzig bekannte Vergleichsstück im Berliner Museum übertrifft dieser großartige Teppich aus dem 15. Jahrhundert an Größe und Ausstrahlung deutlich. Und gleich noch so eine Auktionsgeschichte: Im Frühjahr 2003 kam in einem kleinen Auktionshaus in Ashville/North Carolina mit einem Schätzpreis von 5000 bis 10000 Dollar ein angeblich aus dem 18. Jahrhundert stammender türkischer Teppich zum Aufruf, der sich als der mit Abstand bedeutendste und schönste Karapinar des 16. Jahrhunderts erweisen sollte. Beide Male war Moshe Tabibnia dabei, und diese beiden großformatigen, neu entdeckten Teppich-Klassiker gehören zu den Höhepunkten des soeben erschienenen Buches dieser Sammlung. Sie befinden sich in der illustren Gesellschaft von kleingemusterten Holbein-Teppichen, Mamluken, Siebenbürgern und Teppichen, die von der Fachwelt mit Namen wie „Lotto“, „Salting“, „Schachbrett“ oder „Polen“ bezeichnet werden. Teppiche aus dem Kaukasus und von den indischen und chinesischen Kaiserresidenzen runden die Sammlung zu einem beispiellosen Überblick über klassische orientalische Teppiche des 15. bis 17. Jahrhunderts. Allesamt gehören sie zu den besten und ältesten ihrer Gattung und die Bezeichnung dieser Sammlung mit „Milestones in the History of Carpets“ ist nicht zu hoch gegriffen. Es ist erstaunlich, welch großartige Sammlung Tabibnia in dieser recht kurzen Zeit zusammentragen konnte. Wir begegnen manch klassischem Stück, das seit Jahrzehnten in der Literatur bekannt ist, aber auch – neben den erwähnten Holbein und Karapinar – einigen bis jetzt unbekannten Teppichen. Das gilt für eine frühe anatolische Arbeit mit Flechtbandsternen, wie man sie aus den kleingemusterten Holbeins kennt, die aber hier um ein zentrales Medaillon angeordnet sind. Nie zuvor veröffentlicht wurde auch eine persische Wirkarbeit, ähnlich der für den polnischen König Sigismund um 1600 angefertigten, die sich heute in der Münchner Residenz befindet und ein chinesischer Teppich aus der Zeit der Ming-Dynastie, der gewiss für einen der kaiserlichen Paläste geknüpft worden ist. Leider erfährt der Leser nicht alle der gewiss spannenden Geschichten, die sich um Schicksal und Erwerb dieser Teppiche ranken, die nicht nur von Auktionen und aus dem Handel, sondern auch aus altem deutschen Familienbesitz, aus einem englischen Landhaus und aus weiteren, nicht genannten Quellen stammen. Tabibnia verrät nur, dass er einige Male extremes Glück hatte. Ein Glück für den Leser ist es, dass Tabibnia für den Text einen Autor gewinnen konnte, wie man ihn sich für dieses Thema nur wünschen kann. Jon Thompson ist Wissenschaftler durch und durch, er schreibt einen prägnanten, gut lesbaren Stil und nähert sich dem Thema des klassischen Teppichs mit der für ein solch schwieriges Gebiet gebotenen Zurückhaltung. Die Schwierigkeit besteht vor allem darin, dass für die Frühzeit der klassischen Teppiche – man hat hierunter das 15. bis zum 17. Jahrhundert zu verstehen – nur verschwindend wenig originales Material zur Verfügung steht, und daran ändern auch die wenigen durch Tabibnia neu hinzugekommenen Exemplare nichts. Auch die sekundären Quellen, schriftliche Aufzeichnungen, Archive und Inventare, vor allem aber die Teppichdarstellungen in der europäischen Malerei, helfen nur unvollkommen bei dem Versuch, Ursprünge, Wege und Entwicklungen von Mustern und Techniken zu klären. Die seit einigen Jahren auch für die Altersbestimmung von Teppichen und Textilien eingesetzte Radiocarbon-Methode liefert nur in Ausnahmefällen, hier etwa bei dem großgemusterten Holbein-Teppich (Karbon-Alter 535 +/- 45) annähernd zuverlässige Daten und ist ab dem 16./17. Jahrhundert nur eine mit großer Vorsicht zu nutzende Erkenntnisquelle, auch wenn hier immerhin neun der dreißig Teppiche von der ETH auf ihr Radiocarbonalter untersucht wurden. Thompson verweist auf die Unmöglichkeit, mit dem wenigen und fragmentarischen kunsthistorischen Material eine komplette Geschichte des frühen Teppichs zu schreiben. Er beschränkt sich daher darauf, in 10 Essays, die sich allesamt um Tabibnias Stücke ranken, einige Aspekte darzustellen, sich mit vorhandenen Meinungen auseinanderzusetzen und eigene Gedanken vorzutragen. Das hat höchstes Niveau und mit den selbstverständlich reich illustrierten Querverweisen zu anderen bekannten Stücken, zur europäischen und orientalischen Malerei aber auch zu Architektur, Literatur und Kunstgewerbe sind die Essays Meisterstücke der Kunstwissenschaft. Entsprechend dem Schwerpunkt der Sammlung steht der türkische Teppich des 15. Jahrhunderts und seine Brüder und Nachfahren aus Ägypten, Syrien und Persien im Mittelpunkt der Aufsätze. Für die Entstehung der dominierenden Muster jener Zeit weist Thompson den aus Zentralasien nach Süden und Westen drängenden Turkmenen eine wichtige und originäre Rolle zu – eine kompetent vorgetragene These, die in der Zukunft zu diskutieren sein wird. Moshe Tabibnia und Jon Thompsons Buch ist damit – zu erwähnen sind noch die edle und sorgfältige Ausstattung, das Folio-Format und die vorbildliche Druck- und Farbqualität – in jeder Hinsicht ein Meilenstein der Teppichliteratur. (Bestelladresse: Moshe Tabibnia, Galleria Via Brera 3, 20121 Milano, info@moshetabibnia.com)

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