Textiles in situ – Their Find Spots in Egypt … in the First Millenium CE

Autor/en: Sabine Schrenk Hrsg)
Verlag: Abegg Stiftung
Erschienen: Riggisberg bei Bern 2006
Seiten: 256
Ausgabe: Klappenbroschur
Preis: CHF 85.–
ISBN: 3-90501-29-7
Kommentar: Michael Buddeberg, August 2006

Besprechung:
Textilien gehören neben Gefäßen, einfachen Werkzeugen und Waffen zu den frühesten Artefakten, die sich der Mensch geschaffen hat. Sie gehören auch zu den vergänglichsten. So hat man zwar Nadeln aus prähistorischer Zeit gefunden, mit denen unsere Vorfahren ihre Kleider hergestellt haben, doch diese selbst, mögen sie aus tierischen oder aus pflanzlichen Fasern bestanden haben, sind längst den Weg allen organischen Materials gegangen, verrottet, zerfallen, von Insekten und Organismen abgebaut, zu Erde und Staub geworden und vom Winde verweht. Es gibt nur wenige Plätze auf dieser Welt, wo die klimatischen Bedingungen so beschaffen sind, dass Textilien längere Zeit, Jahrhunderte oder gar Jahrtausende überdauern konnten. Tibet etwa ist so ein Platz. Die trockene, dünne Luft auf dem Dach der Welt, die Abwesenheit von Insekten und die konservierende Eigenschaft des atmosphärischen Gemischs von Rauch, Ruß und Butterlampenfett haben in Klöstern und Tempeln Gewebe aus dem Mittelalter oder noch früherer Zeit in erstaunlich gutem Zustand erhalten. Die besondere geographische, historische und politische Situation Tibets hat dazu geführt, dass diese Textilien erst gegen Ende des 20 Jahrhunderts entdeckt wurden; sie haben die Geschichte zentral- und ostasiatischer Textilien neu geschrieben. Ein anderer Platz für die Bewahrung von Textilien sind Wüsten und auch hier erwiesen sich die zentralasiatischen Wüsten, die Gobi oder die Taklamakan, als Fundstätten textiler Schätze. Sorgfältige archäologische Arbeit der vergangenen zwei Jahrzehnte hat aus diesen geborgenen Schätzen das Wissen um frühe Textilien ungemein bereichert. Das könnte auch für die bedeutenden und umfangreichen Textilfunde in ägyptischen Wüstenregionen gelten, wäre da nicht der missliche Umstand, dass diese Wüsten ihre Schätze schon einhundert Jahre früher, also im späten 19. Jahrhundert freigegeben haben. Ägyptomanie, Orientmode und eine Art Pionierarchäologie haben damals dazu geführt, dass archäologische Stätten regelrecht geplündert wurden. Ausgräber, profitlüsterne Bauern und professionelle Grabräuber standen miteinander im Wettstreit und tausende textiler Artefakte gelangten über den Handel in Museen und Sammlungen, ohne dass irgendjemand wirklich genau wusste, woher sie kamen. Diese mangelnde archäologische Information, das Fehlen einer Dokumentation des Fundzusammenhangs, die für so genannte koptische Textilien nachgerade typisch ist, zieht sich wie ein roter Faden durch die Literatur über dieses Sujet. Alle Forschung beschränkte sich darauf, was das Objekt selbst zu erzählen hatte, also etwa über seine Konstruktion und Technik und die verwendeten Materialien. Funktion, Gebrauchszweck, Herkunft und Alter der Textilien blieben meist im Dunkel, waren mehr Gegenstand von Spekulation denn Wissen, ebenso wie die Zuordnung der Textilien zu Stilrichtungen, Werkstätten oder auch nur zu bestimmten Regionen. Neuere Funde, selbstverständlich nach den Regeln moderner Archäologie dokumentiert, vermögen dieses Dunkel um den vorhandenen Bestand kaum zu lichten. So versuchen heute Textilwissenschaftler mit modernen, akribischen Mitteln und Methoden, die oft der Kriminalistik entlehnt erscheinen, den verlorenen archäologischen Kontext solcher vor langer Zeit ausgegrabener Textilien wieder aufzuspüren und zu rekonstruieren. Der 13. Band der Riggisberger Berichte enthält 16 Beiträge von namhaften Textilwissenschaftlern zu diesem Themenkreis. Zeitgenössische Ausgrabungsberichte, Original-Fotos, Beschriftungen, alte, den Fundstücken noch anhaftende Etiketten, damalige Hinweise auf den Erwerb und ähnliche alte Aufzeichnungen enthalten manchmal überraschende Informationen und Fakten, aus denen sich selbst heute noch der so wichtige archäologische Kontext, wenn auch meist nur bruchstückhaft rekonstruieren lässt. In Verbindung mit der Auswertung aktueller Funde ergeben sich Fakten, die dem fragmentarischen Mosaik koptischer Textilien, deren Verwendung, Alter und Herkunft allmählich bildhafte Züge verleihen. Dass dabei heute weniger die Nekropolen eine wichtige Rolle spielen, sondern die Müllgruben der Antike die wesentlichen Lieferanten von Informationen sind, ist ein pikantes Faktum am Rande. „Textiles in Situ“ ist ein hochinteressanter Beitrag zu den Textilien des Mittelmeerraumes aus spätantiker und frühislamischer Zeit auf höchstem wissenschaftlichem Niveau, wie man es von den Publikationen der Abegg-Stiftung nicht anders gewohnt ist. (Die meisten der Beiträge stammen von einem zweitägigen Symposium aus dem Oktober 2001).

Print Friendly, PDF & Email