Animal Myth and Magic – Images from Pre-Columbian Textiles

Autor/en: Vanessa Drake Moraga
Verlag: Ololo Press
Erschienen: Larkspur/Kalifornien 2005
Seiten: 164
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: € 65.–
ISBN: 0-9767774-0-1
Kommentar: Michael Buddeberg, Dezember 2005

Besprechung:
Das peruanische Amazonasgebiet, der tropische Teil der Anden hat in Flora und Fauna die höchste Artenvielfalt der Erde. Auch auf der anderen Seite der Anden, vor der peruanischen Küste, beherbergt dieser Teil des Pazifik mehr Fische, Amphibien und sonst im Meer lebende Wesen als jeder andere Ozean. Dazwischen, in den trockenen und nur von Flüssen bewässerten Wüstenregionen am Pazifik, an den fruchtbaren Hängen der Anden und auf den hohen, kalten Steppen des Altiplano siedelten schon seit prähistorischen Zeiten Menschen und entwickelten dort frühe Kulturen, Jahrtausende vor der Entdeckung des amerikanischen Kontinents im ausgehenden 15. Jahrhundert. Man weiß nur wenig von diesen präkolumbianischen Kulturen in den Anden, denn keine hat eine Schrift entwickelt, mit der historische Aufzeichnungen hätten überliefert werden können. Die spanischen Konquistadoren, gleichgültig ob in militärischer oder in kirchlicher Mission, taten dann alles, um noch vorhandene eingeborene Traditionen und Überlieferungen zu zerstören, nachdem sie im Jahre 1535 das Reich der Inka erobert und die Kontrolle über die Anden gewonnen hatten. Seit dem 19. Jahrhundert bemüht sich die archäologische Wissenschaft, Licht in dieses präkolumbianische Dunkel zu bringen. Neben zunehmend verbesserten technischen Methoden und Hilfmitteln kommt den Archäologen dabei zu Hilfe, dass die andischen Völker ihre Toten gerne dort bestatteten, wo es ihnen selbst nicht ganz geheuer war, in den lebensfeindlichen, extrem trockenen Wüstenregionen am pazifischen Ozean oder in großen Höhen in Permafrost und ewigem Eis. Beides sind Regionen, in denen Grabbeigaben, Keramik, Metalle, ganz besonders aber solche aus organischem Material, Textilen also, Jahrhunderte und sogar Jahrtausende weitgehend unversehrt überdauern konnten. So sind gewirkte und gewebte Stoffe, Tuniken und Mäntel, Kopfbedeckungen und Accessoires und zwei- oder dreidimensionale textile Objekte wohl das reichste Erbe, das uns diese Kulturen hinterlassen haben. Dabei ist es immer wieder erstaunlich, in welch originalem Zustand und mit welcher Farbfrische präkolumbianische Textilien selbst aus Kulturen lange vor der Zeitenwende erhalten blieben. Funktion und Verwendungszweck vieler dieser Textilien aber sind, von ihrer Funktion als Grabbeigabe abgesehen, oft rätselhaft. Und dennoch verrät uns eine große Zahl dieser Textilien etwas über die Menschen, die sie schufen und benutzten, über ihre Nähe und Beziehung zu der sie umgebenden Umwelt, besonders über ihr Verhältnis zu Tieren. Das Buch über die Bedeutung der Tierdarstellung in präkolumbianischen Textilien von Vanessa Drake Moraga unternimmt es, anhand von 155 prachtvoll erhaltenen Textilien, die in einem Zeitraum von ca. 2.000 Jahren, von der frühen Chavin- bis zur Inkakultur geschaffen wurden, ein Fenster zur geheimnisvollen, animistisch-schamanistisch geprägten Welt dieser Kulturen zu öffnen. Die intensive symbolische Identifikation mit der Welt der Tiere, wie sie in diesen Textilien zum Ausdruck kommt, zeigt, dass Natur und Kultur in den präkolumbianischen Kulturen eng und untrennbar miteinander verbunden waren. Tiere und Tierbilder waren in Zeremonie und Ritual integriert und sie bestimmten Gottesanbetung und Opfer. Die mythische Welt der Tiere hatte bestimmenden Einfluss auf den Menschen, bestimmte Tiere verliehen Prestige und spirituelle Macht, andere waren Vorboten von Glück oder Leid, von Leben oder Tod. Vor allem jene Charakteristika, die ein Tier außergewöhnlich machen, fanden Beachtung, Bewunderung und Verehrung. Auffällige Schnäbel und eigenartig geformte Nasen, giftige Stacheln und Zähne, gefährliche Hauer und scharfe Klauen, ungewöhnliche Farben, all dies galt als Botschaft und Zeichen aus einer anderen, unsichtbaren, belebten Welt. Und die Attribute der machtvollen Tiere, das gestreifte oder gesprenkelte Fell, die riesigen Fangzähne, Schnurrhaare, Geweih und Federn oder glühende Augen, vermehrten das Ansehen der Priester, Führer oder Schamanen, denen es vergönnt war, sich mit diesen Attributen zu schmücken. Alle diese Elemente bildeten in den präkolumbianischen Kulturen einen zeit- und raumübergreifenden Kodex, der selbst bei solchen Völkern und Stämmen verstanden und gebraucht wurde, wo manche der Tiere gar nicht vorkamen. Eine Schlüsselrolle spielen in diesem Kodex immer wieder Raubkatzen, Schlangen und Vögel, die einen wegen ihrer Kraft und Macht, die anderen wegen ihrer versteckten, hinterhältigen Gefährlichkeit und die dritten wegen ihrer Schönheit und des Mysteriums des Fliegens. Jaguar, Puma oder Ozelot waren weit mehr als Tiere, sie galten als übernatürliche Wesen, gottähnlich und Symbol für grundlegende kosmische Vorstellungen. Raubkatzen sind daher neben Affen, Fuchs und Hirschwild das zentrale Motiv, wenn auf den Textilien erdgebundene Tiere dargestellt sind. Dabei reicht das Spektrum von durchaus naturalistischen Darstellungen bei den Kulturen der Nasca bis zu starker, fast modern anmutender Abstraktion, vor allem bei den Wari. Die anderen von der Autorin behandelten Bereiche sind Wasser und Luft und die Wesen, die in diesen Elementen leben. Insgesamt 45 verschiedene Arten finden sich auf den vorgestellten Textilien und werden gründlich auf ihre Bedeutung und Symbolik untersucht. So ist das schön gestaltete und hervorragend gedruckte Buch nicht nur ein wunderbarer Überblick über 2000 Jahre präkolumbianischer Textilkunst, sondern auch ein Schlüssel zum Verständnis dieser Kulturen und ihrer Religionen.

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