Chinese Textiles

Autor/en: Verity Wilson
Verlag: Victoria & Albert Publications
Erschienen: London 2005
Seiten: 128
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 30.– englische Pfund
ISBN: 1-85177-438-6
Kommentar: Michael Buddeberg, September 2005

Besprechung:
Die Geschichte chinesischer Textilien ist in den beiden letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts vollkommen neu geschrieben worden. Grund war die Öffnung der tibetischen Grenzen für westliche Besucher und damit die Entdeckung textiler Schätze, die sich in dem trockenen und keimfreien Klima auf dem Dach der Welt und unter den konservatorischen Bedingungen tibetischer Klöster und Tempel erhalten haben wie nirgendwo sonst. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es wohl eine Anzahl sehr früher chinesischer Seidenfragmente aus wenigen archäologischen Funden, vor allem aber aus europäischen Kirchenschätzen und dann wieder Kleidung und Dekorationstextilien, wie sie Chinareisende seit dem 18. oder 19. Jahrhundert in den Westen gebracht haben. Diese reichten aber zeitlich nur selten über die letzte der Dynastien, die Qing-Dynastie (1662-1912) zurück und so klaffte eine Lücke von einem halben Jahrtausend und mehr. Diese Lücke kann nun dank der reichen Funde aus Tibet als geschlossen gelten und es ist naheliegend, dass sich Forschung und Literatur der letzten Zeit überwiegend mit diesen erstaunlichen Textilien, mit ihrer ästhetischen Erscheinung und den teilweise bis zu ihrer Entdeckung vollkommen unbekannten Techniken beschäftigt haben. Die fast schon legendäre Ausstellung „When Silk was Gold“ im New Yorker Metropolitan Museum im Jahre 1998 und der dazu erschienene, prachtvolle Katalog mögen hier als ein Beispiel für viele solcher Beiträge genannt sein. Über diese neu erschlossene textile Welt des alten China sind die jüngeren Textilien Chinas nicht nur ein wenig in Vergessenheit, sondern als zu junge und häufig degenerierte Beispiele einer uralten Handwerkskunst fast in Misskredit geraten. Ganz zu Unrecht, wie es dem Band über chinesische Textilien aus dem Victoria and Albert Museum zu entnehmen ist. Die Kuratoren des V&A haben , was immer der Grund dafür sein mag, der Versuchung widerstanden, die Sammlung von heute fast 4000 chinesischen Textilien um die eindrucksvollen Kesi-Wirkereien aus der Song-Dynastie, um Stickereien in der aufwendigen Needleloop-Technik aus der Yuan-Dynastie oder um frühe Ming-Brokate zu ergänzen und so präsentiert der Band gut 100 Textilien, die überwiegend aus dem 18. und 19. Jahrhundert und – das ist eine gewissen Überraschung – sogar aus dem 20.Jahrhundert stammen. Natürlich sind da auch die Stücke aus europäischen Kirchenschätzen, die nach wie vor hinsichtlich Herkunft und Datierung Rätsel aufgeben, und wir sehen einige hinreißende Textilien aus China oder Zentralasien, die Sir Marc Aurel Stein Anfang des 20. Jahrhunderts in den buddhistischen Mogao-Grotten in Dunhuang entdeckt hat, doch liegt der Schwerpunkt ganz klar auf den Web-, vor allem aber Stickarbeiten, wie sie europäische Reisende oder britische Militärs als Souvenir aus Fernost mitgebracht haben. Das Buch ist damit auch eine Geschichte der Sammlung chinesischer Textilien im V&A. Noch zum Ende des 19. Jahrhunderts wies der Bestand bloß 145 chinesische Stücke aus, was der damaligen Einschätzung von Textilien entsprach, die nicht als sammelnswerte Objekte oder gar als Objekte wissenschaftlicher Forschung angesehen wurden. Selbst für die für China zuständigen Kuratoren waren diese Textilien ein Gegenstand minderen Interesses und so besteht der Grundstock der heutigen Sammlung in erster Linie aus dem was Reisende, Sammler und Erben dem Museum zukommen ließen und nur zu einem geringen Teil aus gezielten Ankäufen des Hauses. Das Ergebnis ist dennoch beeindruckend und bedeutet eine Wiederentdeckung chinesischer Textilkunst der Qing-Dynastie und ist ein Beleg dafür, dass diese Kunst – zunächst jedenfalls – den Untergang des Kaiserreichs im Jahre 1912 überdauert hat. Kleidungsstücke natürlich, prachtvolle bestickte Roben, vor allem aber Ausstattungstextilien, Wandbehänge, Tischverkleidungen, Kissen- und Stuhlbezüge und eine breite Palette textiler Geburtstagspräsente mit der reichen Symbolik von Glück, Reichtum und langem Leben, manches davon nachweisbar aus kaiserlichem Besitz, zeigen die ästhetisch und handwerklich hohe Qualität chinesischer Textilkunst der Quing-Dynastie, wie sie auch die seit dem 18., vor allem aber im 19. Jahrhundert in China für Europa gefertige Exportware zeigt. Das berühmte Staatsbett aus dem schottischen Melville-House, eine eigenwillige Kombination von chinesischem Seidendamast und italienischem Samt, zugleich ein Dokument britischer Geschichte, ist ein solches Zeugnis früher europäischer Wertschätzung chinesischer Stoffe. Die chinesische Republik unter dem Präsidenten Yuan Shikai versuchte nach 1912 erfolgreich den Anschluss an alte Handwerkstraditionen, etwa beim Porzellan oder, wie wir hier sehen, bei Textilien. Designer Mode aus den dreissiger Jahren bis heute und eine Gruppe propagandistischer Textilien aus der Zeit Maos runden das vielfältige Kaleidoskop chinesischer Textilien ab. Der lesenswerte Text behandelt neben der interessanten Sammlungsgeschichte alle Aspekte chinesischer Textilien, ihren Gebrauch, die Techniken und Produktionsbedingungen und ihre Funktion als Handelsware von der Zeit der Seidenstrasse bis zum Beginn des Chinatourismus. Ein wichtiges Buch zu einem in jüngerer Zeit etwas vernachlässigten Thema.

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