Faszination Shal – Persische Woll- u. Kaschmirstoffe im Vergleich

Autor/en: Gudrun Schreiber
Verlag: Ernst Wasmuth Verlag
Erschienen: Tübingen und Berlin 2005
Seiten: 96
Ausgabe: broschiert
Preis: € 39.90
ISBN: 3-8030-3310-1
Kommentar: Michael Buddeberg, Mai 2006

Besprechung:
Ähnlich wie „Pils“ oder „Mozarella“ steht der Begriff „Kaschmir-Schal“ keineswegs für die Herkunft des so bezeichneten Textils aus einer bestimmten geographischen Region, hier also aus Kaschmir, dieser heute zu Indien und Pakistan gehörenden Provinz, die vor allem durch politische und religiöse Unruhen von sich reden macht. Genau genommen stammen die meisten heute im Antiquitätenhandel oder auf Auktionen angebotenen Kaschmir-Schals aus Europa, nämlich aus Frankreich und England oder gar aus Österreich oder Polen, und sie sind ein Beleg dafür, wie Europa im 19. Jahrhundert orientalische Vorbilder adaptierte und zum Gegenstand neuer Stilrichtungen machte. Zunächst begehrtes modisches Accessoire der besseren Gesellschaft wurde der auf dem neu erfundenen Jacquard-Webstuhl industriell hergestellte Kaschmir-Schal schließlich sogar zum unverzichtbaren Bestandteil mancher bäuerlichen Tracht. Natürlich gibt es auch den originalen Kaschmir-Schal aus dem schönen Tal von Srinagar, doch wurden ganz ähnliche Textilien auch in Afghanistan, in Pakistan, im Punjab in Indien und auch in Persien gewoben, gewirkt und sogar gestickt. Wer klare Abgrenzungskriterien dieser verschiedenen Provenienzen sucht wird in der einschlägigen Fachliteratur außer verstreuten und unvollkommenen Hinweisen nichts wirklich hilfreiches finden. Das hat sich nun, jedenfalls für den persischen „Kaschmir-Schal“ geändert. Gudrun Schreiber, Absolventin des Instituts für Textil- und Bekleidungstechnik der Universität Hannover hat mit der vorliegenden kultur- und technikhistorischen Untersuchung erstmals versucht, Unterscheidungskriterien zu finden. Sie geht in ihrer Untersuchung von der, mehr an der Ästhetik orientierten These aus, dass sich die Schalprodukte Persiens und Indiens signifikant nach Web- und Wirktechniken unterscheiden. Glaubt man ihr, so können anhand von Struktur, Material und Ornamentik nicht nur indische Schals von persischen unterschieden, sondern sogar die letzteren mehr oder weniger genau nach ihren lolalen Produktionsstätten, vornehmlich den Städten Khorasan, Kirman und Yazd bestimmt werden. Das ist interessant zu lesen und eine wertvolle Bereicherung der Literatur zum Kaschmir-Schal. Doch das Buch leistet noch viel mehr. Es beschreibt einen erstaunlichen Wandel. Seide war in Persien über ein Jahrtausend unangefochten das Material des Hofes und der Herrscher gewesen. Wollstoffe spielten trotz der herausragenden Bedeutung von Textilien für Präsentation und Prestige keine Rolle. Beginnend mit dem späten 17. Jahrhundert änderte sich das und Stoffe aus hochwertigsten Wollqualitäten begannen die höfische Kleiderordnung zu dominieren. Was waren die Ursachen? Änderungen des ästhetischen Empfindens, neue technische Möglichkeiten oder Einflüsse der östlichen Nachbarn, vor allem Indiens? Wie dem auch sei, dieser Wandel hat die persische Kostümgeschichte des 18. und des 19. Jahrhunderts entscheidend geprägt, und die farbenprächtigen, komplexen Farbmusterungen der Qadjarenzeit sind ohne Vorbild in der Tradition der Wollstoffe. Materialien, Herstellungsmethoden und –techniken sowie die Struktur und die typischen Muster werden bestimmt, beschrieben und gezeigt. Das alles ist nicht nur Textilwissenschaft, sondern zugleich ein reicher und detaillierter Einblick in persische Lebenswelten vergangener Zeiten. Das Buch ist reich illustriert mit alten Fotos, mit der Wiedergabe von Gemälden, mit zahlreichen Zeichnungen und natürlich mit persischen Woll- und Kaschmirstoffen, diese auch in Ausschnitten und starken Detailvergrößerungen. Mit einem Anhang zur Technik des Beizens und Färbens in Persien und einem Literaturverzeichnis ist das Buch für Forscher und Museen, aber auch für den Liebhaber und Sammler von Kaschmir-Schals gleichermaßen interessant.

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