Liturgische Gewänder und andere Paramente im Dom zu Brandenburg

Autor/en: Helmuth Reihlen (Hrsg)
Verlag: Abegg Stiftung und Verlag Schnell & Steiner
Erschienen: Riggisberg und Regensburg 2005
Seiten: 496
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: € 148.–
ISBN: 3-7954-1684-1 (Sch&St), 3-905014-26-2 (A-St)
Kommentar: Michael Buddeberg, März 2005

Besprechung:
Textilien gehören zu den am meisten gefährdeten historischen Kunstwerken. Ihr bestimmungsgemäßer Gebrauch führt in der Regel zum Verbrauch und schließlich zum Untergang. Selbst der Entzug des Gebrauchs bietet keine Gewähr für ihre dauerhafte Erhaltung. Licht, Luftfeuchtigkeit und tierische Schädlinge vollenden den natürlichen Kreislauf organischen Materials. Profane Prunkgewänder von Königs- und Fürstenhöfen des Mittelalters, sicher oft textile Kunstwerke von hohem Rang, gewiss aber unschätzbare historische Zeugnisse, sind daher so gut wie nicht erhalten. Im besten Fall wurden sie, nachdem sie ihren Zweck erfüllt hatten, an die Kirche gegeben, die sie einer Zweitverwendung zuführte. Doch die daraus gefertigten Paramente dienten wieder dem Gebrauch. Pluviale, Dalmatika und Kasel wurden vom Priester beim Zelebrieren der Messe getragen. So sind auch mittelalterliche Paramente nur vereinzelt und in geringer Zahl erhalten. Eine erstaunliche Ausnahme bestätigt diese Regel: In beachtlicher Menge haben einige Kirchenschätze im reformierten Norddeutschland solche Gewänder bewahrt. Paradoxerweise war es gerade die Reformation, die hier wesentlich zur Erhaltung beigetragen hat. Anders als in den nach den Lehren von Zwingli und Calvin reformierten Gebieten war die Reformation hier nicht mit einem Bildersturm und mit der Zerstörung vor allem bildhaften und luxuriösen Inventars verbunden. Die liturgischen Gewänder wurden sorgsam weggepackt und harrten in Truhen und Sakristeischränken ihrer Wiederentdeckung im 19. und im 20. Jahrhundert. Die Paramentenschätze in der Marienkirche zu Danzig und andere in Halberstadt, Stralsund und Braunschweig sind bekannte Beispiele solcher textiler Schatzfunde. Weniger bekannt ist, dass sich auch im Dom zu Brandenburg ein reicher Bestand liturgischer Gewänder und anderer Paramente, die bis ins 12. oder gar 11. Jahrhundert zurückreichen, erhalten hat. Ihnen ist nun ein Bestandskatalog gewidmet, der diese Textilien aus quellenkundlicher, historischer, kunsthistorischer und kunst- bzw. textiltechnologischer Sicht umfassend dokumentiert. Die Unterstützung und wissenschaftliche Betreuung dieses gewaltigen Projekts durch die Abegg Stiftung hat ein Werk entstehen lassen, das nicht nur in der textilwissenschaftlichen Aufarbeitung, sondern auch in der fotografischen Wiedergabe früher Gewebe und mittelalterlicher Bildstickereien Maßstäbe setzt. Die Gesamt- ebenso wie die zahlreichen Detailaufnahmen der knapp einhundert Teile umfassenden Sammlung, der Druck und die Farbqualität, gehören zum Besten, was Reproduktions- und Herstellungstechnik heute zu leisten vermag. Diese kongeniale Verbindung eines anspruchsvollen wissenschaftlichen Textes mit einer perfekten fotografischen Dokumentation vermittelt beispielhaft Schönheit und Reichtum dieser mittelalterlichen Textilien. Die meisten und die ältesten Stücke stammen aus dem Prämonstratenser Domstift. Diese Zeit beginnt in Brandenburg etwa im Jahre 1161, also in einer Epoche, als Europa noch nicht in der Lage war, selbst kostbare Textilien zu weben. So stammt wohl der ungemusterte aber vielfarbige Seidensamit einer Stola (C-14-datiert: 11./12. Jh.) aus dem Vorderen Orient und ein Seidenstoff mit einen Muster von Lotosblüten auf Goldgrund gelangte gar aus dem fernen China nach Brandenburg. Rätsel gibt auch der Besatzstoff einer Dalmatika auf, wo einem großzügigen chinesischen Drachen ein kleinteiliges westasiatisches Streumuster gegenübersteht, Beispiel eines Luxusstoffes, der irgendwo in dem großen mongolischen Weltreich des 13. Jahrhunderts gewebt wurde. Zahlreiche prachtvolle Paramente des 14. und 15. Jahrhunderts zeigen dann die ganze Bandbreite früher italienischer Seidenweberei, einfarbige und gemusterte Samte, Lampasgewebe mit Löwen, Hirschen, Greifen und anderen Tieren, Brokate und Damaste. Die Schnitte, oft gestückelt und zusammengesetzt, vor allem aber die Stoffe selbst zeigen deutlich, dass es sich vielfach um eine Zweitverwendung abgelegter und der Kirche übereigneter Textilien handelte. Jagdmotive mit Hirschen und Hunden oder ein bedeutungsvolles Muster mit viereckigen Türmen mit Wehrgängen und Tourellen und einladend geöffneten Prunkzelten sind deutliche Hinweise auf den ursprünglichen Gebrauch als Kleiderstoff oder zur Dekoration profaner Räume. Ein mamlukischer Damast mit einem kufiartigen Ornament in Medaillons, verarbeitet zu einer Pluviale, mag als ein textiles Rarissimum erwähnt werden. Neben den verarbeiteten Stoffen sind es die Stickereien, als Schilde, Stäbe und Schließen bei Pluvialen oder als Rückenkreuze von Kaseln, die die Besonderheit und den Reichtum dieses Kirchenschatzes ausmachen. Ein reicher Reigen zum Teil großartig erhaltener Relief- und Bildstickerei aus Brandenburg selbst, aber auch aus Böhmen (Prag) und aus Süddeutschland (Franken, Nürnberg) zeigt die hohe Qualität dieser typisch deutschen Kunstform des 14. und 15. Jahrhunderts. Oft sind es auch nur schmale, gestickte Borten, die die Paramente einfassen. Hier ist eine frühe Kölner Borte mit Swastikas und labyrinth- oder mäanderartigen Ornamenten bemerkenswert, die an Parallelen bei islamischen Schriftornamenten denken lässt. Einer der Höhepunkte dieses textilen Schatzes ist die sogenannte Schwanensordenkasel aus italienischem Brokatsamt in Gold und Purpur mit appliziertem Wappen Kurfürst Friedrichs II und der Schwanensordenkette in plastischer Goldstickerei aus St. Marien auf dem Berge. Sie ist ein einzigartiger historischer Beleg für die von Friedrich II 1440 gegründete „Unser Lieben Frau Gesellschaft“, einer Adelsgesellschaft zur Verehrung Mariens. Deckchen (Velum), Klingelbeutel, eine frühe Mitra, bestickte Korporalienkästchen und eine prachtvolle Altarbedeckung (Antependium) nach einem Entwurf von Karl Friedrich Schinkel runden den Kirchenschatz und führen bis weit ins 19. Jahrhundert. Der Katalogteil wird ergänzt durch eine landes- und kirchengeschichtliche Einleitung, einen Essay über die Geschichte der Paramente im Dom zu Brandenburg und einleitende Texte zu den Luxusstoffen, Geweben und Stickereien. Den Ausklang bilden der Abdruck alter Inventare, Glossar und Literaturverzeichnis. Ein großartiges Buch, das seinen hohen Preis wohl wert ist.

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