Marokko mon amour – Glanzvolle Textil-Tradition im Königreich Marokko

Autor/en: Kurt Rainer
Verlag: Eigenverlag
Erschienen: Graz 2005
Seiten: 184
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: € 64.–
ISBN: 3-200-00209-3
Kommentar: Michael Buddeberg, August 2005

Besprechung:
Wohl kaum je zuvor haben die Textilien eines Landes einen solchen Boom erlebt wie diejenigen Marokkos im vergangenen Jahrzehnt. Begonnen hat das alles im Jahre 1995 mit der ersten von der ICOC (International Conference of Oriental Carpets) in Marokko veranstalteten Regionalkonferenz. Damals waren es weniger die eher gering geschätzten marokkanischen Teppiche oder gar die weitgehend unbekannten marokkanischen Textilien, die eine große Schar internationaler Experten und Liebhaber nach Marokko reisen ließ, sondern das vom Initiator der Konferenz, dem Österreicher Wilfried Stanzer ausgearbeitete exzellente Besichtigungsprogramm. Eine Reise durch die alten Königsstädte, der Besuch von Museen und Privatsammlungen, Exkursionen durch orientalische Sukhs, Empfänge bei Händlern und schließlich die bislang nur Monarchen und hohen Diplomaten vorbehaltene Besichtigung der königlichen Sammlungen in Fes, all das begleitet von einem nicht endenden Feuerwerk kulinarischer und musikalischer Köstlichkeiten machten dieses Ereignis unvergesslich. Und staunend nahmen die Teppich- und Textilexperten aus aller Welt nicht nur die Vielfalt und den ästhetischen Reiz marokkanischer Teppiche war, sondern vor allem die Feinheit der sparsam gestickten Verzierungen der von Frauen als Wickeltücher getragenen Haiks, die Schönheit schwarzgrundiger und mit bunten Streifen versehener Handiras (Umhänge) und die kraftvolle Modernität der mit Henna oder in Reservetechnik gefärbten Kopftücher zur Kenntnis. Praktisch über Nacht wurde marokkanische Textilkunst zu einem hochbegehrten Sammlungsgegenstand. Ein Dutzend internationaler Sammler wetteiferten um die schönsten und seltensten Stücke, die Preise erreichten ungeahnte Höhen und ließen tüchtige Aufkäufer entlegene Dörfer und vergessene Regionen des Landes durchstöbern. Das aber ist nur die Kehrseite der Medaille. Das Positive an diesem Boom war, dass er Stücke auftauchen ließ, die aufgrund ihres Alters, der Verwendung von Naturfarben, der Feinheit und der Qualität in der Ausführung ein neues, unbekanntes Fenster öffneten, ein Fenster in die reiche textile Vergangenheit Marokkos. Positiv ist auch, dass eine Reihe von Enthusiasten, immer im Wettlauf mit besagten Aufkäufern, intensive Feldforschung betrieben und damit das Wissen um die textilen Traditionen Marokkos bereichert haben. Einer, der von Anfang an dabei war ist der Grazer Kurt Rainer, der schon einmal das Ergebnis seiner Feldforschungen im Gebiet des Stammes der Ait Ouaouzguit um den Jebel Siroua in dem wunderschönen Buch „Tasnacht“ (Besprechung im Archiv) veröffentlicht hat. Wer also könnte besser Bilanz ziehen nach diesem für die Textilkunst Marokkos so wichtigen Jahrzehnt als Kurt Rainer. Sein Buch ist denn auch, wie es der Titel verheißt, eine wahre Liebeserklärung an ein Land und seine Textilien. Aber es ist nicht nur das: Rainer sucht eine Erklärung für die ästhetische Sonderstellung, die marokkanische Teppiche und Textilien in der textilen Welt einnehmen und findet dafür eine Reihe von Antworten. Es ist zunächst die Lage Marokkos im äußersten Westen des Orients, einbettet zwischen Atlantik, Mittelmeer und ostmarokkanischer Wüstensteppe, eine Insellage, in der sich zahlreiche Einflüsse, aus dem Osten vor allem aber auch aus dem afrikanischen Kontinent jenseits der Sahara zu einer hochwertigen und eigenständigen materiellen Kultur entwickelt haben. Es ist auch der Einfluss der Juden, die über Jahrhunderte den Handel, auch den Handel mit Farben und die Färberei, damit die textile Produktion und schließlich, ganz wichtig für die materielle Kultur Marokkos, auch die Herstellung von Silberschmuck bestimmten. Und ebenso wie beim Schmuck sind es auch bei der textilen Kunst Marokkos häufig magisch-religiöse Komponenten, Zeichen und Formen zur Abwehr des Dunklen und Bösen, die die Gestaltung bestimmen und oftmals das Besondere und Einzigartige ausmachen. Und dann sind es vor allem das Licht und die Farben Marokkos, die Eingang in seine Textilkunst gefunden haben. Gewiss ist Marokko nicht das einzige Teppichland unter südlicher Sonne, doch ist die Kombination von Meer, Hochgebirge, Sandwüste und oasenhaft blühenden Regionen in diesem Land einzigartig. Sie hat nicht nur immer wieder Künstler in ihren Bann gezogen, sondern, vor allem bei den Teppichen, eine Farbenglut und eine expressionistische Kraft entstehen lassen, die ihresgleichen sucht, und die das an der Moderne geschulte Auge in besonderem Maße anspricht. Das gilt für die prachtvollen Manufakturteppiche des 18. und 19. Jahrhunderts aus Rabat, die den anatolischen Einfluss deutlich zeigen und doch unverkennbar Erzeugnisse Marokkos sind, ebenso wie für den abstrakten Expressionismus der Teppiche aus Boujad, für die virtuosen Webarbeiten der Zemmour, für die große Gruppe der „Berber“, vorwiegend aus dem Mittleren Atlas und für die eindrucksvollen Stickarbeiten aus städtischen und ländlichen Gebieten. Aus all diesen Regionen und vielen weiteren zeigt und beschreibt Kurt Rainer herausragende und frühe Stücke aus privaten Sammlungen, viele hier erstmalig veröffentlicht. Ein Kapitel über den Schmuck der Berber von Angelika Tunis aus dem Ethnologischen Museum Berlin, viele schöne Aufnahmen von Menschen und Landschaften, Bibliographie und Glossar vervollständigen das Buch zu einem gelungenem Überblick über die Textil-Tradition Marokkos. (Bestelladresse: www.culture-and-more.com)

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