Silken Threads – A History of Embroidery in China, Korea, Japan and Vietnam

Autor/en: Young Yang Chung
Verlag: Harry N. Abrams
Erschienen: New York 2005
Seiten: 462
Ausgabe: Gebunden mit Schutzumschlag
Preis: 45.00 englische Pfund
ISBN: 0-8109-4330-1
Kommentar: Michael Buddeberg, Dezember 2005

Besprechung:
Die Nadel ist gewiss eine der ältesten Erfindungen der Menschheit. Exemplare aus Knochen oder Horn, gefunden in China, reichen zurück bis in die Frühsteinzeit. Und es ist gleichzeitig eine der wichtigen und großen, man kann wohl sagen kulturstiftenden Erfindungen der Menschheit. Der Erwerb der Fähigkeit, aus den Fellen erlegter Tiere Kleider zu nähen, war als Entwicklungsschritt von ebensolcher Bedeutung wie die Domestizierung von Wildtieren oder der Anbau von Wildgetreide. Der Weg vom Nähen bis zum Sticken, zum Verzieren und Verschönern der Kleidung war dann nicht mehr weit, konnte der Mensch damit doch einen seiner Urinstinkte, den Schmucktrieb, befriedigen. Freilich werden die frühesten Zeugnisse dieser Nadelkunst wohl immer in der Frühgeschichte der Menschheit begraben bleiben. Die ältesten bekannten Beispiele bestickter Textilien wurden in den trockenen Wüstengebieten Westchinas gefunden. Man kann sie in die Zeit um 1.200 Jahre v.Chr. datieren, und alles was davor liegt, ist reine Spekulation. Doch eines ist sicher: Das Sticken gehört zu den ältesten künstlerischen Ausdrucksformen der Menschheit und man kann nicht ausschließen, dass steinzeitliche Höhlenmaler in Südfrankreich oder Jäger, die in Zentralasien Jagdszenen in Felsen ritzten, bereits Kleidung mit gestickten Ornamenten trugen. Dennoch sind Stickereien, ist die gesamte Textilkunst ein Stiefkind der Kunstgeschichte. Textilien, oft als bloße „dekorative Kunst“ abgetan, fanden lange nur mäßiges Interesse. Erst eine relativ junge Entwicklung in der Kunstgeschichte, die den Zusammenhang aller Künste und aller künstlerischen Ausdrucksformen betont, hat den Horizont über die Malerei, Skulptur und Architektur hinaus erweitert. Das betrifft nicht nur die europäische, sondern gleichermaßen auch die ostasiatische Kunst. So erschienen im vergangenen Jahrzehnt eine Anzahl wichtiger Publikationen zu ostasiatischem Porzellan, zu Lackarbeiten oder zu chinesischen Möbeln. Beiträge zu Textilien blieben indes relativ selten und Stickereien wurden dort bestenfalls am Rande mitbehandelt. Mit dem großartigen Buch über die Stickkunst Ostasiens der koreanischen Stickereiexpertin Young Yang Chung hat sich diese Situation grundlegend gewandelt. Mit „Silken Threads“ liegt nun ein Grundlagenwerk über die Geschichte der Stickerei in China, Korea, Japan und Vietnam vor, das das aktuelle Gesamtwissen auf diesem Gebiet umfassend darstellt. Um diese große und gewiß nicht leichte Aufgabe zu bewältigen hat die Autorin einen Kunstgriff gewählt: Nach einem einleitenden Kapitel über die Geschichte der Seidenweberei in Ostasien, wird die Stickkunst an bestimmten Objekten beschrieben. Eines davon sind ostasiatische Drachenroben, wie sie in China seit der Liao-Dynastie, also seit dem 10./11. Jahrhundert bekannt sind und wie sie sich, von China ausgehend, als das Gewand der Mächtigen und Prächtigen in ganz Ostasien, ja bis nach Tibet und bis in die Mongolei verbreitet haben. Die stilistische Entwicklung, technische Rafinessen und lokale Besonderheiten werden an diesen Drachenroben eingehend dargestellt. Ein weiteres Thema sind zauberhafte koreanische Brautroben des 17. bis 19. Jahrhunderts, in der textilen Literatur bisher kaum bekannt, prachtvoll und in glühenden Farben mit floralen Mustern und taoistischen Motiven bestickt und für die Autorin Anlaß, die Kunst koreanischer Stickerinnen besonders zu loben. Die japanische Stickerei wird überwiegend an Kimonos, Kosode und Heiratsroben des 18. und 19. Jahrhunderts gezeigt, und es wird klar, dass die spezifisch japanische Ästhetik, ein extravaganter Umgang mit Farbe, Fläche und Proportion auch in der Stickkunst Japans eine eigene Ausdrucksform gefunden hat. Das zentrale und geschickt gewählte Hauptthema des Buches aber sind gestickte Rangabzeichen, bislang eigentlich nur aus dem China der Ming- und Quin-Dynastie bekannt, aber auch in den anderen ostasiatischen Ländern verbreitet. Es ist eine umfassende Darstellung der Geschichte, Technik und Bedeutung dieser Rangabzeichen, die zum äußeren Symbol der chinesischen Gesellschaft wurden. Die Geschichte dieser Rangabzeichen reicht weit zurück. Ansätze eines sich aus der Kleidung ergebenden Klassifizierungssystems sind schon in der Zhou-Dynastie zu erkennen und finden sich auch in der Han- und Tangzeit, mehr und mehr beinflußt auch durch zentralasiatische Kostüm- und Bekleidungsgewohnheiten. Es war dann aber der erste Ming-Kaiser Hongwu (1368-1398), der im Jahre 1391 offiziell ganz bestimmte Abzeichen für zivile und militärische Ränge auf den Vorder- und Rückseiten offizieller Roben vorschrieb. Seither gab es ein festes System von jeweils neun zivilen und militärischen Rängen, die ersteren repräsentiert durch fliegende, die letzteren durch erdgebundene Tiere, das bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts Bestand haben sollte. Ungeachtet dieses von den Motiven feststehenden Systems zeigen diese Rangabzeichen das gesamte Spektrum sticktechnischer Möglichkeiten und vor allem künstlerischer Ausdruckskraft. Diese erreicht ihren Höhepunkt in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gegen Ende der Ming-Dynastie, vor allem in den freier gestalteten Festabzeichen für das Neujahrs-, Laternen oder Drachenbootfest. Unter den mächtigen Mandschu-Kaisern Kangxi und Qianlong, die Kleiderordnung, bürokratisches System und damit auch die Rangabzeichen übernahmen, blieben technische Perfektion und Ausdrucksstärke der Rangabzeichen erhalten, um dann gegen Ende der Quin-Dynastie künstlerisch zu verflachen. Typisch, vor allem für die Ming-Zeit, ist die Auswechselbarkeit der Rangabzeichen. China hatte ein extrem bürokratisches und hierarchisches System, das aber jedem offen stand. Aufgrund persönlicher Leistung konnte jeder Rang erworben werden. Da jedoch die offizielle Kleidung äußerst kostspielig war musste sie einen eventuellen Rangwechsel überdauern, was praktisch durch die Auswechselbarkeit der Rangabzeichen ermöglicht wurde. Während die Rangabzeichen in China manufakturmäßig und in großen Mengen hergestellt wurden, blieben sie in Korea und Vietnam zumeist Handarbeit der Familie des Rangträgers. Rangabzeichen aus diesen Ländern besitzen deshalb nicht die Perfektion ihrer chinesischen Vorbilder. Sie sind in der Regel einfacher in der technischen Ausführung, unbekümmert in der Darstellung und daher oft von besonderem Charme. So gehören die freundlichen Tiger und Leoparden auf koreanischen Rangabzeichen zu den liebenswertesten textilen Tierdarstellungen Ostasiens. Umfangreiche Tabellen erfassen das Rangabzeichenwesen in allen behandelten Ländern, und hunderte von hervorragenden Abbildungen illustrieren den Gang durch die Geschichte der ostasiatischen Stickerei. Ein Standardwerk ostasiatischer Textilkunst.

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