The Kashmiri Shawl – From Jamavar to Paisley

Autor/en: Sherry Rehman, Naheed Jafri
Verlag: Antique Collectors Club
Erschienen: Old Martlesham, Woodbridge 2005
Seiten: 380
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 45.– engl. Pfund
ISBN: 1-85149-506-1
Kommentar: Michael Buddeberg, Januar 2006

Besprechung:
Pashmina ist das neue Zauberwort der Mode. Schals, Tücher und Stolas aus diesem besten, weichsten, leichtesten und teuersten aller Wollmaterialen haben seit einigen Jahren zunächst die Haute Couture, dann die Boutiquen und schließlich Warenhausketten und Versandhäuser erreicht. Pashmina ist Wollgarn, das aus der feinen Unterwolle seltener und nur in großen Höhen des Himalaya und des Hindukusch lebender Ziegen- und Antilopenrassen gesponnen wird. Früher, so wird berichtet, hat man diese Wolle auf ganz besondere Art und Weise gewonnen. Im Frühjahr haben die Tiere ihre wärmende und nicht mehr benötigte Unterwolle verloren. Diese vom Winde verwehten Wollbüschel blieben dann irgendwo in Dornbüschen hängen, wurden gesammelt und versponnen. Solch nachhaltige Produktion ist längst durch moderne Methoden wie Aufzucht und vor allem Jagd ersetzt. Mit fatalen Folgen: Die tibetische Antilope „shatoo“ war Anfang der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts vom Aussterben bedroht. Mit diesem Thema etwa befasst sich das sehenswerte Wildererdrama „Kekexili“. Der chinesische Regisseur Lu Chuan erzählt hier die spannende Geschichte eines freiwilligen tibetischen Wildhüterkommandos, das den mit Maschinengewehren agierenden Wilderern das Handwerk zu legen versucht. Heute stehen die Shatoo unter strengstem Schutz, ein Problem für den Nachschub von Pashmina. Wie dem auch sei, Pashmina ist so selten und kostbar wie vor hunderten von Jahren und was man heute so Pashmina nennt ist in Wirklichkeit ein Materialmix, in dem sich im besten Falle ein kleiner Anteil echter Pashmina-Wolle befindet. Der neuzeitliche Paschmina-Boom ist aber nur ein weiteres Kapitel einer Erfolgsstory, die vor mehr als 500 Jahren in den nördlichen Regionen des indischen Subkontinents begonnen hat und die sich mit dem Begriff Kaschmir-Schal verbindet. Dieser Erfolgsgeschichte des Kaschmir-Schals ist das gewichtige, bestens recherchierte und reich illustrierte Buch gewidmet, das sich gegenüber der vorhandenen Literatur über den Kaschmir-Schal durch einige Besonderheiten auszeichnet. Zunächst stammen die beiden Autorinnen aus Pakistan und berichten damit über einen Gegenstand der ihrer ureigenen Tradition angehört. Diese Nähe, das tiefe Interesse an dieser Textilkunst und ein jahrelanges Engagement durchziehen das ganze Buch und haben einen solchen Reichtum an Informationen und Detailwissen zur Folge, wie man ihn in der vorhandenen Literatur, die – bei aller Sorgfalt – doch oft nur ein vereinfachtes, vielfach kolportiertes und durch Händlerlatein manchmal auch verfälschtes Wissen bietet, vergeblich sucht. Bemerkenswert ist ferner das überaus reichhaltige Bildmaterial und vor allem dessen Herkunft. Neben einer Handvoll Beispielen aus Museen in Lahore und Srinagar stammen alle gezeigten Schals aus privaten pakistanischen Sammlungen und sind bisher nicht veröffentlicht worden. So ist denn auch nur ein letztes und knappes von insgesamt 10 Kapiteln dem europäischen „Kaschmir-Schal“ gewidmet, jener europäischen Kopie, die durch die Erfindung des Jacquard-Webstuhls möglich wurde und die im 19. Jahrhundert durch alle Gesellschaftsschichten bis zur bäuerlichen Tracht Furore machte. Es ist diese südasiatische, quasi indigene Sicht auf den Kaschmir-Schals, die den Reiz und die Qualität von „Kaschmiri Shawl“ ausmacht. Aus dieser Sicht besitzen Textilien ohnehin einen ganz anderen Stellenwert als wir ihn kennen. In der südasiatischen, muslimisch geprägten Welt, im Reich der Mogulkaiser, wurden Textilien und ihr Gebrauch schon immer weniger prosaisch, weniger dem Nutzen verpflichtet gesehen. Textilien waren nicht nur Ersatz für Möbel, sondern darüber hinaus bewusster und sichtbarer Ausdruck für Reichtum und Macht, sie waren Kapitalanlage und Statussymbol, Staatsgeschenk und gewannen manchmal fast währungsartigen Charakter. Kein Wunder also, dass sich Akbar (1556-1605), der erste der großen Mogul-Kaiser, in diese zauberhaften Textilien aus Kaschmir verliebte, aus einem Land also, das ihm nach den staubigen und trockenen Tiefebenen, über die er herrschte, ohnehin als das irdische Paradies vorkommen musste. Diese höfische Patronage der Mogul-Dynastie verhalf dem Kaschmir-Schal zu seinem ersten Siegeszug und war prägend für die Entwicklung einer Textilkunst, die in ästhetischer und in handwerklicher Hinsicht einzigartig war und blieb. Wir wissen nur wenig über die Arbeitsbedingungen, unter denen seinerzeit diese Kostbarkeiten entstanden, in kleinen selbständigen Handwerksbetrieben im Hochtal von Kaschmir aber auch in kaiserlichen Werkstätten, in denen tausende von Sklaven den unerschöpflichen Bedarf des Hofes an Luxuswaren befriedigten. Was wir aber wissen ist, dass alle, vor allem die europäischen Versuche, dieses Juwel in der Krone südasiatischer Textilien zu kopieren daran scheiterten, dass es das Material eben nur in Kaschmir gab und dass die speziell für dieses Material in Kaschmir entwickelte, aufwändige Webtechnik, kani genannt, auf andere Wollmaterialien nicht übertragbar war. Neben den Kapiteln über die Geschichte des Kaschmir-Schals ist daher der umfangreiche Beitrag über diese Webtechnik, garniert mit Zeichnungen, Detailaufnahmen, indischen Miniaturen und modernen Fotos von ganz besonderem Interesse. Gleiches gilt für das Glossar, das eine Fülle einheimischer Fachbezeichnungen und Begriffe erläutert und auf das man bei der Lektüre über die regional oft differenzierten Handwerkstechniken und Mustertraditionen immer wieder gerne zurückgreift. Auf die Kapitel über Kaschmir-Schals, die gar nicht in Kaschmir gewebt wurden, sondern im Punjab, in Lahore etwa oder in Amritsar, über den persischen Schal, über amli, die im 19. Jahrhundert aus Kostengründen gehandhabte, gestickte Version von Kaschmir-Schals, und wie man schließlich all die verschiedenen Spielarten dieser Textilkunst unterscheiden und datieren kann – oder auch nicht kann -, soll hier nur hingewiesen werden. „Kashmiri Shawl“ ist für den Liebhaber und Kenner dieser unvergleichlichen Textilien ein unverzichtbares Standardwerk, das den schon in dritter Auflage vorliegenden Klassiker von Frank Ames, dessen Schwerpunkt der europäische Kaschmir-Schal ist, nicht ersetzt, sondern aufgrund seiner Konzentration auf das Original wunderbar ergänzt.

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