Asien – Kontinent der Gegensätze

Autor/en: Wiebke Ahrndt (Hrsg)
Verlag: Verlag Philipp von Zabern
Erschienen: Mainz 2006
Seiten: 312
Ausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: € 29.90 (im Museum: € 19.90)
ISBN: 3-8053-3618-7
Kommentar: Michael Buddeberg, Juli 2006

Besprechung:
Genau besehen ist es eine Sensation, die einer Schlagzeile wert gewesen wäre, doch blieb es in den meisten Zeitungen nur eine versteckte Notiz – wenn überhaupt: Zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert gibt es nun wieder einen offiziellen Grenzübergang zwischen China und Indien. Die historische Route von Gangtok nach Gyantse, von Sikkim nach Tibet, der Weg über den 4350 Meter hohen Natu La wurde am 06. Juli 2006, zum „Jahr der chinesisch-indischen Freundschaft“ für Handel und Tourismus freigegeben. Als eine südliche Teilstrecke der legendären Seidenstraße war dies nicht nur ein Weg für den Austausch für Güter, Ideen, Religionen und Ideologien, sondern auch der Weg, den Colonel Younghusband mit seiner kleinen Armee im Jahre 1904 nahm, um Tibet für das britische Weltreich zu erobern, ohne nachhaltigen Erfolg, wie man weiß. In der anderen Richtung diente der Paß 1959 als Fluchtweg des Dalai Lama in sein indisches Exil. Wird der nun beginnende Grenzverkehr helfen, die politischen und militärischen Spannungen zwischen den beiden so gegensätzlichen Riesen auf dem asiatischen Kontinent abzubauen? Werden, wie früher, auf diesem Zweig der Seidenstraße nicht nur Güter, sondern auch geistige Werte und Vorstellungen, vielleicht gar Toleranz und Frieden transportiert werden? Der neue Weg von Indien nach China wäre so recht ein Thema gewesen für den Essayband, der zur gleichnamigen Ausstellung im Überseemuseum in Bremen erschienen ist. Aktuell, mit historischen Bezügen und mit Visionen für die Entwicklung Asiens im 21. Jahrhundert, das ist nur die Nachricht über diesen neuen Grenzübergang, sondern das ist auch das Leitmotiv für die mehr als drei Dutzend Essays, die sich mit Religion, Handel, Natur und Kultur Asiens befassen. Ein zu komplexes Thema, mag man denken, doch der von den Herausgebern gewählte Weg, ausgesuchte Detailfragen vertieft zu behandeln, vermittelt Wissen, birgt Überraschungen und weckt vor allem Neugier auf diesen Kontinent der Gegensätze. Das Kaleidoskop der Beiträge beginnt mit dem Thema Religion und das ganz zu Recht, ist doch Asien die Wiege der großen Weltreligionen und bis heute darüber hinaus ein Hort naturreligöser Vorstellungen, praktizierten Schamanismus und ethnischer Medizinsysteme. Letztere beruhen zu einem guten Teil auf dem Einsatz von pflanzlichen und tierischen Stoffen, auch solchen von bedrohten Wildtieren und geraten so in Konflikt mit dem modernen Postulat des Artenschutzes. Ein Beitrag etwa befasst sich mit der Bedrohung von Tiger, Schildkröte, Nashorn und Seepferdchen durch die traditionelle Medizin Chinas.16 Millionen Seepferdchen, so schätzt man, sollen jedes Jahr chinesischer Impotenz und Blasenschwäche abhelfen, obwohl es alternative natürliche Wirkstoffe gibt. In dem chinesischen Traditionsgericht „Tiger, Phönix, Drache“ etwa könnte ohne weiteres Hauskatze anstelle des Tigers gekocht werden, womit sich das Problem dann allerdings vom Artenschutz zum Tierschutz verschieben mag. Die Bedeutung von Krieg und Frieden in den Religionen oder die Frage nach dem Stellenwert der Religion im heutigen China oder Japan sind Gegenstand weiterer Essays zum Thema Religion. Nicht weniger interessant sind die Beiträge, die sich mit der wirtschaftlichen Entwicklung Asiens befassen. Sie stehen unter dem Generalthema Seidenstraße, die sich heute zu einer „Ölstraße“ gewandelt hat. Ob zu Land oder zu Wasser, Transport und Nachschub dieser Energieträger bestimmen Wachstum und Prosperität zahlreicher asiatische Staaten. Asien ist in Produktion und Verbrauch die Nr.1 der Welt. Interessante statistische Daten und die Frage nach der Erschöpfung dieser Energien sind hier die zentralen Themen. Zur wirtschaftlichen Entwicklung gehört auch das Problem der Verstädterung, das nirgendwo so aktuell ist wie in Asien. Einhundert Millionenstädte gibt es allein in China, und Tokio ist mit heute über 30 Millionen Einwohnern seit Jahrzehnten die größte Stadt der Welt. Kein Wunder daher, dass sich die Beiträge über Natur und Landwirtschaft weitgehend mit deren Verschwinden befassen. So haben Shrimp-Farmen die schützenden Mangrovengürtel an den Küsten nachhaltig dezimiert mit fatalen Folgen des großen Tsunami im Dezember 2004. Doch wird auch Positives berichtet, etwa in dem hochinteressanten Beitrag über die Erforschung des Kronenbereiches der tropischen Regenwälder. Mit neuen Techniken wurde hier in einer Höhe von 30 bis 60 Meter über dem Erdboden eine neue Welt entdeckt mit einem nicht für möglich gehaltenen, bei heute unentdeckten Artenreichtum in Fauna und Flora. Die Beiträge zur Kultur bewegen sich zwischen dem Beitrag Asiens zur Theaterkultur der Welt – Pekingoper, No-Theater, tibetische Cham-Tänze und javanische Schattenspielfiguren seien hier als Beispiele genannt – und der indischen Filmmetropole Bollywood, der größten der Welt. Im Ausklang dann ein Essay über den japanischen Garten und mit dessen Ursprung im Zen-Buddhismus schließt sich der Kreis der Reflexionen über Asien, den Kontinent der Gegensätze. Die Vielfalt der angesprochenen Themen, die überraschenden Bezüge und Informationen und das in diesem Buch vermittelte historische und aktuelle Detailwissen konnte mit den vorstehenden Hinweisen nur sehr rudimentär gestreift werde. Das Buch zur Ausstellung führt weit über diese hinaus und bietet spannende, lehrreiche, wissensvermittelnde und überraschende Lektüre. Auf dem knappen Raum von gut 300 Seiten kann das komplexe Thema Asien kaum besser dargestellt werden. Und reich illustriert ist das Buch noch dazu.

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