Antique Ottoman Rugs in Transylvania

Autor/en: Stefano Ionescu (Hrsg)
Verlag: Stefano Ionescu und Verduci Editore
Erschienen: Rom 2004
Seiten: 226
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: € 140.–
ISBN: 88-7620-676-0
Kommentar: Michael Buddeberg, Dezember 2004

Besprechung:
Es ist keineswegs ungewöhnlich, in europäischen Kirchenschätzen Zeugnisse orientalischer Kunst zu finden. Ein geläufiges Beispiel sind Seidengewebe aus dem nahen und fernen Osten, aus Byzanz, aus Persien, aus Zentralasien und sogar aus China, die in frühen Messgewändern verarbeitet oder zur Aufbewahrung kostbarer Reliquien verwendet wurden. Das Wissen um die Vielfalt, die Schönheit und die hochentwickelte Technik orientalischer Seidengewebe wäre ohne diesen beachtlichen Bestand aus zahlreichen Kirchenschätzen in ganz Europa ungleich ärmer. Doch von Teppichen in diesen Schatzkammern ist bis heute nichts bekannt geworden. Mit einer einzigen Ausnahme: In Rumänien, genauer gesagt in den reformierten Kirchen Siebenbürgens hat sich ein Bestand anatolischer Gebetsteppiche aus dem 17. Jahrhundert erhalten, der weltweit einzigartig ist. Aber türkische Gebetsteppiche in christlichen Kirchen? Und nicht nur der eine oder andere, sondern gleich viele Hundert? Diese Fragen drängen sich unwillkürlich auf und in der Tat ist dieser Teppichschatz, der in dieser Form nicht einmal in der Türkei seinesgleichen hat, seit seinem ersten Bekanntwerden vor über einhundert Jahren eines der großen Geheimnisse in der Teppichwelt. Ein Siebenbürger Sammler aus einer prominenten Kronstadter Familie hat sich als erster mit diesem Rätsel befaßt. Das 1933 erschienene Buch von Emil Schmutzler dokumentiert nicht weniger als 440 dieser „Siebenbürger“ Teppiche. Es wurde in einer kleinen Auflage von nur 325 Exemplaren gedruckt und gehört heute zu den Cimelien der Teppichliteratur, gesucht, selten angeboten und nur mit vierstelligen Beträgen zu bezahlen. Trotz Schmutzler blieb aber die Frage nach dem Warum und Woher letztlich unbeantwortet. Dieses ungelöste Rätsel, die jahrzehntelange Unzugänglichkeit dieses Schatzes hinter dem eisernen Vorhang und die bange Frage, was nach Krieg, Vertreibung und Kirchenverbot noch übrig geblieben ist hat nach dem Zusammenbruch des Ostblocks eine ganze Anzahl von Tapitologen nach Rumänien gelockt und verschiedene Buchprojekte entstehen lassen. Das Autorenteam Alberto Boralevi, Stefano Ionescu und Andrei Kertesz hat dieses Rennen gewonnen: Das zur Zeit ultimative Buch über die antiken osmanischen Teppiche in Siebenbürgen erscheint in diesen Tagen. Schon von der Thematik her ist das Buch eine eminent wichtige Publikation, die nur noch von Bestandskatalogen türkischer Museen übertroffen werden könnte, von deren Veröffentlichung man aber derzeit nur träumen kann. 252 von insgesamt 390 von dem Autorenteam in Siebenbürger Kirchen und in rumänischen Museen vorgefundenen osmanischen Teppichen aus dem 15. bis zum 18. Jahrhundert werden in farbigen Abbildungen vorgestellt, davon 43 auf ganzseitigen Tafeln. Von den zahlreichen weiteren Illustrationen sind die Innenaufnahmen aus den Kirchen bemerkenswert, allen voran natürlich aus der Schwarzen Kirche in Kronstadt (heute Brasov), zu deren ständiger Ausstattung ein großer Teil der dort vorhandenen 142 Teppiche gehört. Die weiteren Abbildungen zeigen Vergleichsstücke aus anderen Sammlungen, Inschriften, die sich in vielen Teppichen finden, Gemälde mit Teppichdarstellungen, einen Teil der Teppiche in schwarz/weiß und sie illustrieren einen sorgfältig recherchierten und unbedingt lesenswerten Text. Wohl schon seit dem 12. Jahrhundert wurde Siebenbürgen von deutschen Siedlern, den „Siebenbürger Sachsen“ kolonisiert. Die Städte Hermannstadt (Sibiu), Mediasch (Madias), Bistritz (Bistrita) und Kronstadt (Brasov) mit mächtigen Hallenkirchen aus gotischer Zeit waren die Zentren der Region. Die Reformation, das Bekenntnis der Siebenbürger zur Confessio Augustana und der damit verbundene Bildersturm hinterließ leere Kirchen und weiße Wände. Dieses Geschehen und der Beginn religiöser Toleranz war wohl eines der Schlüsselereignisse in der Geschichte Siebenbürgens und ist einer der Gründe für das Vorhandensein der Teppiche in den Kirchen. Ein anderer war der rege Handel mit der Türkei, für den Siebenbürgen ein wichtiger Knotenpunkt war. Teppiche, schon damals eine in Europa begehrte Luxusware, waren Bestandteil dieses Handels, und aus einem erhaltenen Eingangsregister in Kronstadt weiß man, daß beispielsweise im Jahre 1503 über 500 Teppiche die Stadt erreichten. Es müssen tausende und abertausende Teppiche gewesen sein, die spätestens seit dem 15. Jahrhundert, vielleicht sogar schon früher in Siebenbürgen umgeschlagen wurden. Warum aber so viele Teppiche aus diesem Kreislauf genommen wurden und warum sie sich bis heute, zum großen Teil in exzellentem Zustand ausgerechnet in Kirchen erhalten haben, ist damit noch nicht erklärt. Es bleibt letztlich rätselhaft, warum Teppiche, geschaffen in einer dem Christentum vollkommen fremden Welt, den leeren Platz in den Kirchen einnahmen, den der Bildersturm der Reformation hinterlassen hat. Nirgendwo ist überliefert, wie der über einen langen Zeitraum aufrecht erhaltene Brauch entstanden ist, daß Siebenbürger Kaufmanns- und Handwerkerfamilien ihren Kirchengemeinden Teppiche geschenkt haben. Sicher ist nur, daß die Licht- und Luftverhältnisse in den ungeheizten gotischen Hallenkirchen optimal waren für den Erhalt von Flor und Farben und daß die konservative Grundhaltung der Kirche dafür gesorgt hat, daß nie ein Stück verkauft wurde. Ihr ist es wohl auch zu danken, daß der Verlust seit der Bestandsaufnahme durch Schmutzler trotz der seither chaotischen Zeiten mit knapp 15% nur gering ist. Es versteht sich, daß die Autoren die Typologie der osmanischen Teppiche in Siebenbürgen vollständig bearbeitet haben und daß die Standorte und natürlich auch die Strukturen aller Teppiche textlich und statistisch in zahlreichen Tabellen beschrieben und vermerkt sind. Bemerkenswert ist schließlich ein reich illustrierter Aufsatz über Teodor Tuduc (1888-1983), den berühmten rumänischen Teppichfälscher, dessen teilweise perfekte Kopien Siebenbürger Teppiche noch heute selbst bei Kennern für Unsicherheit sorgen. Das Beste an dem Buch aber sind natürlich die Teppiche. Es ist ein Schwelgen in Teppichen mit Holbein- und Lottomuster, in Doppelnischen- und Säulenteppichen und die seltenen weißgrundigen Selenditeppiche mit Tschintamani- oder Vogelmuster finden sich gleich dutzendweise. Das Wissen, daß es sich ausnahmslos um Exportproduktionen türkischer Manufakturen für Europa gehandelt hat, vermag den Genuß nicht zu schmälern. Dieses Buch ist ein Muß für jeden Liebhaber antiker Teppichkunst. (Bestellungen an Stefano Ionescu, Piazza Ledro 7, Rom oder info@transylvanianrugs.com)

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