Chinese Silk – A Cultural History

Autor/en: Shelach Vainker
Verlag: The British Museum Press
Erschienen: London 2004
Seiten: 224
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 29.95 englische Pfund
ISBN: 0-7141-1479-0
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2004

Besprechung:
Es war einmal ein mächtiger König. Er herrschte über das Wüstenreich Khotan. In den fruchtbaren Oasen wuchsen die schönsten Früchte und süßer Wein, und in den umgebenden Bergen gab es Gold, Silber und Jade in Hülle und Fülle. Aber der König war schwermütig, denn sein mächtiger Nachbar im Osten verweigerte ihm das, was er am meisten begehrte, das Geheimnis zur Herstellung von Seide. So sann er auf eine List. Er freite eine Prinzessin aus jenem reichen Lande im Osten. Diese war bereit, ihm zu folgen, mußte jedoch erfahren, daß es im Reich ihres künftigen Gemahls weder Maulbeerbäume noch Seidenraupen gab. Da versteckte sie die Eier des Seidenspinners und die Samen des Maulbeerbaumes unter ihrem prächtigen Hochzeitsschmuck und gelangte unbehelligt in das Wüstenreich. Der König war nun glücklich und wenn sie nicht gestorben sind produzieren sie noch heute die schönsten Stoffe der Erde. So lautet, frei nacherzählt, eine Legende, die der chinesische Mönch Xuanzang im siebten Jahrhundert niedergeschrieben hat. Es ist nur eine der ungezählten Legenden und Mythen, die sich um den geheimnisvollen Stoff ranken, dessen Herstellung von grauer Vorzeit bis in historische Zeiten das bestgehütete Geheimnis Chinas war. Letztendlich aber war es der ungemein komplizierte, sensible und zeitaufwendige Prozeß der Herstellung von Seide, von der Aufbereitung des Maulbeerlaubs, der Fütterung der gefräßigen Seidenraupen bis zur Gewinnung des Fadens aus den Kokons, der den besten Schutz vor einer weiten Verbreitung dieser Technologie bot. So hatte China über Jahrtausende ein wirksames Monopol für die Herstellung eines der wichtigsten Luxusgüter, ein Monopol, das eine entscheidende Rolle in der kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung Chinas gespielt hat. Aber Seide ist auch ein vergänglicher Stoff und ihre Bedeutung wurde daher von Geschichtswissenschaftlern und Kunsthistorikern meist übersehen. Bronze, Keramik und Jade dominieren deutlich alle kulturhistorischen Beiträge über China, während von Seide meist nur beiläufig die Rede ist. Doch sensationelle archäologische Funde in den vergangenen Jahrzehnten, die Entdeckung von Gräbern mit hunderten von Seidenfragmenten, mit kompletten Kostümausstattungen chinesischer Prinzessinen und nicht zuletzt neue analytische Methoden, die auch kleinsten Fragmenten ihr Geheimnis zu entlocken vermögen, haben das Wissen über die fundamentale Rolle der Seide in China dramatisch verbessert. So war es nun möglich, die Kulturgeschichte der Seide von ihren Anfängen im Neolithikum über alle Epochen und Dynastien hinweg bis ins 20. Jahrhundert zu schreiben, von ihrer Bedeutung für Geschichte und Handel, ihrer Rolle in Religion, Mythos und Ritual, und über ihre enge Beziehung zur Literatur und zu den anderen dekorativen Künsten Chinas. Shelach Vainker, Kuratorin für chinesische Kunst am Ashmolean Museum der Oxford University beschreibt in „Chinese Silk“ eine Geschichte, die vor etwa 6000 Jahren begann. Nicht nur das früheste und C14-datierte Fragment (3.630 v.Chr), sondern vor allem zahlreiche Fundstücke wie Spindeln, das Tonmodell eines Kokons und Seidenraupen aus Jade sprechen eine klare archäologische Sprache über die frühe Entdeckung der Seidentechnologie in China. In den bronzezeitlichen Dynastien der Shang und Zhou mehren sich dann die Zeichen für die wichtige Rolle von Seide in Ritual, Kult und Gesellschaft. Zahlreiche Symbole der frühen Bilderschriften haben einen direkten Bezug zur Seide. Spuren auf ausgegrabenen Zeremonialobjekten weisen darauf hin, daß viele dieser Grabbeigaben sorgfältig in mehreren Lagen Seidenstoff verpackt waren. Über den Dekor dieser Gewebe kann nur gemutmaßt werden aber er wird dem der Bronzegefäße wohl ähnlich gewesen sein. Weit besser sind dann die Kenntnisse aus der frühen Kaiserzeit, der Han-Dynastie (206 v. – 220 n.Chr). Die sensationellen Seidenfunde im Grab der Dame Dai und anderer Nobilitäten geben Aufschluß über die Muster und Techniken jener Zeit, während sich aus der Literatur detaillierte Informationen über die strikte staatliche Organisation und Kontrolle der Seidenherstellung und über den umfänglichen Handel erschließen. Es ist die Zeit, in der die Seide Funktion und Bedeutung einer Währung erlangt. Die Seidenstraße beginnt, sich zu dem wichtigsten Handelsweg der Welt zu entwickeln, und Seide aus dem fernen sericum wird in jener Zeit sogar im alten Rom zu einem hochbegehrten Luxusartikel, der von den Reichen und Mächtigen mit Gold aufgewogen wird. Auch in China blieb Seide den gehobensten Kreisen vorbehalten und war weiter eng mit Religion und Mythos verbunden. Die der Han-Zeit nachfolgenden sechs Dynastien sind dann geprägt durch die Übernahme des Buddhismus. Mit dem neuen Glauben wandeln sich auch die Textilmuster. Die Entwicklung der Seidenstoffe jener Zeit ist durch die umfangreichen Funde in Dunhuang und die Stein-Collection des British Museum bestens dokumentiert. In der nachfolgenden Tang-Dynastie vollzieht sich ein weiterer, bedeutsamer Wandel. In dieser für China so glanzvollen und weltoffenen Zeit gewinnen der Buddhismus und seine Motive an Raum. Gleichzeitig verlieren die geheimnisvollen und mythischen Welten, die bis dahin Dekor und Verwendung der Stoffe bestimmt hatten, an Bedeutung zugunsten einer natürlichen und lebensfrohen Welt. Tiere, Blumen, Jagdszenen, neue Farbpaletten, Muster aus anderen Kulturkreisen – hierher gehören die von einem Perlenkranz umgebenen Tiermotive -, gewinnen an Gewicht. Komplexe Stickerei und die neue Wirktechnik des Kesi lassen textile Kunstwerke entstehen, die in der Song-Dynastie Höhepunkte erreichen. Textiles Gestalten steht schließlich gleichberechtigt neben Malerei. Natürlich wird die weitere Entwicklung in den nachfolgenden Dynastien der Jin, Yuan, Ming und Qing nicht minder ausführlich erzählt, jedoch liegt die Bedeutung dieses Buches vor allem in der detailliert dargestellten Kulturgeschichte chinesischer Seide während der frühen Dynastien bis etwa zum Ende des ersten Jahrtausend unserer Zeitrechung, also eines Zeitraums, in dem die Bedeutung der Seide weniger an dem gar nicht oder nur knapp und fragmentarisch erhaltenen Material, sondern vorwiegend aus sekundären Indizien und Spuren erschlossen werden kann. Diese umfassend geprüft und verwertet zu haben ist das Verdienst der Autorin. 130 Illustrationen, Karten, ein Glossar, eine Zeittafel und eine Bibliographie ergänzen ein Buch, das eine Lücke schließt.

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