Die Stoffe der Wiener Werkstätte 1910-1932

Autor/en: Angela Völker
Verlag: Verlag Christian Brandstätter
Erschienen: Wien 2004
Seiten: 284
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: € 39.80
ISBN: 3-85498-124-4
Kommentar: Michael Buddeberg, Februar 2005

Besprechung:
Die sogenannte industrielle Revolution am Anfang des 19. Jahrhunderts, der Beginn des Industriezeitalters, ist eng verbunden mit der Textilproduktion. Ein Jahrhundert später gab es eine weitere Revolution und wieder waren Textilien das auslösende Moment. Es war die Revolution des Design, die sich von England als Antwort auf den unsäglichen Stilmix des Historismus über den Kontinent ausbreitete. Diese Designrevolution und ihr unbestrittener Pionier William Morris gingen von der Ornamentik, von der Flächenkunst aus, die bei Textilien ihren stärksten und nachhaltigsten Ausdruck fand. Morris´ der Natur nachempfundene Textilentwürfe sind einzigartige Ikonen dieses neuen Design. Auch in Deutschland schlossen sich Künstler in zunftartigen Künstlervereinigungen zusammen, etwa im Deutschen Werkbund, in den Vereinigten oder den Deutschen Werkstätten, zu deren ersten und wichtigsten Anliegen das Textildesign gehörte. Richard Riemerschmid, Adelbert Niemeyer, Bruno Paul und Henry van de Velde sind Namen, die für diese Tendenz stehen. Es waren alles Künstler, die für eine gesamtheitliche Reform von Ästhetik und Design eintraten. Häufig Architekten, wollten sie nicht nur ein Haus bauen, das dann ein anderer einrichtete und damit verdarb. Der Wille nach dem Gesamtkunstwerk entsprach ihrem aus der Designrevolution hervorgegangenen universellen ästhetischen Anspruch. So stand der utopische Programmsatz von der ästhetischen Durchdringung von Kunst und Leben auch am Anfang der 1903 gegründeten Wiener Werkstätte und es ist eigentlich erstaunlich, dass es nach ihrer Gründung noch ganze 7 Jahre dauerte, bis die Wiener Werkstätte damit begann, auch Textilmuster zu entwerfen und Textilien für Mode, Accessoires und Interieurs zu produzieren. Dieser zeitliche Verzug mag mit ein Grund dafür sein, warum die Textilien der Wiener Werkstätte, obwohl sie zeitweise sehr wesentlich zum Erfolg des Unternehmens beigetragen haben, heute im Gegensatz zu anderen Objekten der Wiener Werkstätte nur wenig bekannt sind. Im Jahre 1910, als sich die Wiener Werkstätten erstmals Textilien zuwandten, hatten sich in Wien Kunst und Kunsthandwerk bereits vollkommen vom Jugendstil, insbesondere von seiner floralen Ausprägung gelöst. Diesen Jugendstil aber auch die kühle Abstraktion wienerischer Sezessionskunst wird man in den Stoffmustern der Wiener Werkstätte daher vergeblich suchen. Die Wiener Werkstätte wandte sich vielmehr in stets zunehmendem Maße einem dekorativ geprägten Design zu, das schließlich als typisch wienerisch galt und das, so sagt man, in der 20er Jahren die Zeichen der Zeit nicht mehr erkannte. Daß es sich hierbei – jedenfalls was die Textilien der Wiener Werkstätte anlangt – um ein handfestes Vorurteil handelt, wird aus der Monographie von Angela Völker über die Stoffe der Wiener Werkstätte deutlich. Der Korpus an Textilmustern, ca. 1800 an der Zahl, geschaffen in 22 Jahren von etwa einhundert Künstlern, darunter Josef Hoffmann, Koloman Moser, Carl Otto Czechka, Dagobert Peche und Maria Likarz, gehört zu dem bedeutendsten Vermächtnis dieser legendären Künstlervereinigung. Die enge Zusammenarbeit von Künstlern und Handwerkern, das breite Tätigkeitsfeld der meisten Künstler, die in der Regel in mehreren Abteilungen der Wiener Werkstätte und daher mit vielen verschiedenen Materialien arbeiteten, ihre daraus erwachsene Material- und Farbsicherheit, ließen einen ungeahnten textilen Schatz entstehen, ein Kaleidoskop von erstaunlicher Kreativität und Vielfalt. Und, gleichsam um das zitierte Vorurteil zu widerlegen, erscheinen in vielen Mustern der 20er Jahre mehr oder weniger deutlich auch die Elemente der internationalen Avantgarde jener Zeit, die böse Zungen im Wiener Kunstgewerbe vermissen. Abstrakte Kunst, Fauvismus und Kubismus haben auch in den Stoffen der Wiener Werkstätte ihre deutlichen, zugleich aber ganz und gar individuellen Spuren hinterlassen. Denn einen einheitlichen Stil hat es in den Wiener Werkstätten, im Textildesign ebenso wie in anderen Materialbereichen, nie gegeben. Im Vordergrund standen stets die individuellen Handschriften der Künstler. Dies, der nie veränderte utopische Programmsatz und ein ausuferndes Angebot standen einer konsequenten Kommerzialisierung der Produktion entgegen und führten schließlich 1932 zur Liquidation der Wiener Werkstätte. Obwohl das umfängliche Archiv der Wiener Werkstätte im MAK verwahrt wird, musste Angela Völker einen geradezu detektivisch-archäologischen Spürsinn aufbringen, um Ordnung und Licht in die kaum überschaubare Vielzahl von Künstlern, Mustern und Mustervarianten zu bringen. Eine vollständige oder auch nur einheitliche Buchführung über die Produktionen hat es in der Wiener Werkstätte nie gegeben, schon gar nicht bei den Textilien, die oft wohl mehr als Ergänzung und Zutat für die anderen Bereiche angesehen wurden. Als Ergebnis dieser akribischen Arbeit präsentiert sich eine im Textteil chronologisch aufgebaute, vollständige und opulent illustrierte (415 Abbildungen, davon 306 in Farbe) Übersicht über die Stilentwicklung der Stoffe der Wiener Werkstätte, ihre Produktionsformen und Herstellungsorte, ihre Verwendung und ihre Abnehmer. Neben den farbig abgebildeten Stoffmustern, die natürlich im Vordergrund stehen, sind die vielen Modeaufnahmen und –zeichnungen und vor allem aber Interieurs aus jener Zeit, verschwenderisch mit Textilien ausgestattet, zu sehen. Ein Katalogteil, alphabetisch nach Künstlern geordnet, Konkordanzlisten und Bibliographie vervollständigen das Buch zu einem Standardwerk über das Textildesign des frühen 20. Jahrhunderts.

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