Flat-woven Rugs and Textiles from the Caucasus

Autor/en: Robert H. Nooter
Verlag: Schiffer Publications Ltd
Erschienen: Atglen PA (USA) 2004
Seiten: 256
Ausgabe: Hardcover illustriert mit Schutzumschlag
Preis: 49.95 englische Pfund
ISBN: ISBN 0-7643-1961-2
Kommentar: Michael Buddeberg, August 2004

Besprechung:
Krieg, Vertreibung und Gewalt haben schon immer einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf Herstellung und Muster von Teppichen gehabt, ebenso wie Stammes-, Bündnis- und Heiratspolitik. So ist die Ausbildung einer spezifischen Teppichkultur im Indien der Mogulzeit ohne die mongolischen Eroberungsfeldzüge und die Anlehnung an höfische, persische Vorbilder kaum denkbar. Auch Turkmenenexperten finden bei überraschenden Wanderungen von Musterdetails oft keine anderen Erklärungen als kriegerischen Frauenraub oder friedliche, stammesübergreifende Ehen. So war es jedenfalls zu den Zeiten, als Muster und Techniken textiler Produkte noch als gebiets- oder stammestypisch gelten konnten. Heute ist das anders. Allein der Kommerz bestimmt, wo welche Teppich- oder Textilmuster in welchen Techniken zur Befriedigung irgendeines durch geschickte Werbung geweckten Bedarfs hergestellt werden. Und dennoch hat noch heute politisches Geschehen Einfluß sowohl auf die Muster wie auf Nachfrage und Angebot von Teppichen. Afghanische Teppiche mit Kriegsmotiven, mit der Darstellung von Panzern, Hubschraubern und Kalaschnikows mögen hier als ein Beispiel genannt werden. Der Zerfall der Sowjetunion in den Jahren 1990/91 und die Öffnung der zuvor abgeriegelten und kaum zugänglichen Sowjetrepubliken Georgien, Armenien und Aserbeidschan hat eine zuvor eher seltene und nur wenig beachtete textile Spezialität in den Fokus des Sammlerinteresses gerückt: Flachgewebe aus dem Kaukasus. Während kaukasische Teppiche schon seit dem späten 19. Jahrhundert oder gar noch früher in großen Mengen für den Export hergestellt wurden, blieben kaukasische Kelims, Palas, Zilis und andere Flachgewebe lange unbekannt, unentdeckt und waren dem eigenen Gebrauch der webenden Bauern und Nomaden vorbehalten. Muster- und Webtraditionen und viele originale Stücke aus alter Zeit blieben daher erhalten. So konnten überwiegend türkische Händler nach der Wende in den ehemaligen Sowjetrepubliken vor allem flachgewebte Textilien aufkaufen und einen zunehmend interessierten Sammlermarkt bedienen. Informationen über die geographische und ethnische Herkunft ihrer Stücke blieben diese Händler aber in der Regel schuldig. Es ist das große Verdienst des amerikanischen Sammlers Robert H. Nooter, die Möglichkeit, diese Gebiete als Gesandter der Weltbank und in den vergangenen fünf Jahren auch privat zu bereisen, nicht nur zum Aufbau einer repräsentativen Sammlung, sondern auch zu intensiver Feldforschung genutzt zu haben. Und es ist dem amerikanischen Schiffer-Verlag zu danken, daß er unter der Herausgeberschaft des Kaukasus-Experten John T. Wertime ein Buch realisiert hat, das den üblichen Standard der Schiffer-Antiquitäten-Kataloge mit Abstand überragt. So sind es – bei all ihrer Schönheit und Vielfalt – erst in zweiter Linie die auf 241 Tafeln abgebildeten Kelims, Jajims, Khorjins und anderen Taschen, die faszinieren und erfreuen, sondern vor allem die in Wort und Bild wiedergegebenen Ergebnisse der intensiven Feldforschung des Autors. Im Bewußtsein, daß das Wenige, das heute im Wissen und in der Erinnerung meist alter Menschen der Region noch vorhanden ist, in wenigen Jahren ganz verloren sein wird, hat der Autor jede nur verfügbare Information von Weberinnen, von Bauern und Nomaden, von örtlichen Händlern und von den Kuratoren regionaler Museen gesammelt und bewertet. Der Versuch, aufgrund dieser Informationen jedes einzelne Stück ethnisch und geographisch einzuordnen, ist bewundernswert, bleibt aber notwendig unvollkommen. Zu schwierig sind die spezifischen Probleme des Kaukasus als eines klassischen Durchzugs-, Flucht- und Rückzugsgebietes mit dutzenden unterschiedlicher Stämme, ebensovielen verschiedenen Sprachen und ohne eindeutige und dauerhafte Grenzen. Dennoch ist das Buch von Nooter zum Wissen und Studium der Herkunft kaukasischer Flachgewebe ein unschätzbar wichtiger Beitrag. Dem bisher nur fragmentarisch vorhandenen und niemals vollständig fertigzustellenden Puzzle über die Klassifikation kaukasischer Flachgewebe hat der Autor wesentliche Teile hinzugefügt. Davon abgesehen sind vor allem die umfangreichen Kapitel über kaukasische Kelims und über Mafrashs nicht nur Informationsquelle über Alter, Herkunft und Mustervielfalt, sondern vor allem eine wahre Augenweide. Bei den Kelims überraschen neben den bekannten Typen aus Schirwan vor allem attraktive Streifenkelims in immer neuen, dekorativen Mustern und Farben. Die Sammlung von Mafraschs, großen, voluminösen Transportbehältern der kaukasischen Nomaden, erhalten als Fragmente oder als vollständige Taschen, gilt als eine der umfänglichsten der Welt und bietet reiches Anschauungsmaterial. Jajims, Khorjins, Löffel- und Salztaschen und eine große Anzahl von Zilis und Schaddah-Textilien vervollständigen den Überblick über kaukasische Flachgewebe und trösten ohne weiteres darüber hinweg, daß die wichtige Gruppe der Sumakhs nur mit einem einzigen, eher mittelmäßigen Exemplar vertreten ist. Die in vorzüglichen Farbabbildungen, oft mit Vorder- und Rückseite vorgestellten Flachgewebe – der Klappentext spricht korrekt von der größten Sammlung kaukasischer Flachgewebe, die je in einem einzigen Buch vorgestellt wurden – werden wirkungsvoll ergänzt durch weit über hundert Aufnahmen interessanter Stücke, die am Fundort fotografiert und mit den dort erhaltenen Informationen erstmals publiziert werden. Dies und die vergleichenden Hinweise auf die Literatur, vor allem aber auf die Bestände lokaler Museen und der bedeutenden ethnographischen Sammlungen in Baku (Azerbeijan Carpet Museum) und St.Petersburg machen das Buch zu einem Meilenstein für die wissenschaftliche Erforschung kaukasischer Textilien. (Vertrieb in Europa: Bushwood Books, 6 Marksbury Avenue, Kew Gardens, Surrey TW9 4JF, email: info@bushwoodbooks.co.uk)

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