Oriental Carpets and their Structure – Highlights from the Victoria and Albert Collection

Autor/en: Jennifer Wearden
Verlag: V&A Publications
Erschienen: London 2004
Seiten: 144
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 30.– englische Pfund
ISBN: 1-85177-411-4
Kommentar: Michael Buddeberg, Oktober 2004

Besprechung:
Zu den schon früh im Westen hochbegehrten und dokumentierten Schätzen des Orients gehören Teppiche. Frühe Inventare weltlicher und kirchlicher Fürsten erwähnen fast immer Teppiche, oft gar Dutzende davon. Der Teppich wurde zu einem Synomym für Reichtum, Schick und Eleganz und es ist kein Zufall, daß sich bedeutende Persönlichkeiten gerne mit einem Teppich portraitieren ließen. Fast nie lassen sich die gemalten Stücke mit erhaltenen Teppichen identifizieren, doch die Bilder sind heute eminent wichtige Hilfen bei der Datierung alter Teppiche mit ähnlichen Mustern. So wurden bestimmten, oft wiederkehrenden Mustern die Namen der Maler gegeben, die sie gemalt haben. Lotto-Teppiche, Crivelli-Sterne oder Holbein-Muster sind solche von Experten benutzte Bezeichnungen. Andere Muster werden nach den Orten benannt, wo sie hergestellt oder auch nur gehandelt wurden und wieder andere mit assoziativen Namen, die oft mit den wirklichen Darstellungen nichts zu tun haben. Immerhin zeigt dies, daß Muster seit jeher und bis heute ein wichtiges Kriterium bei der Einschätzung von Teppichen sind. Doch weiß man seit einigen Jahrzehnten, daß Muster täuschen können, daß Muster gewandert sind, daß oft weit voneinander entfernte Stämme oder Manufakturen zu ganz unterschiedlichen Zeiten fast identische Muster produzierten, und daß sich daher Alter, Herkunft und Provenienz allein nach dem Muster nicht immer zuverlässig bestimmen lassen. Und was tut man mit einem kleinen archäologischen Fragment, dem auch mit bestem Willen kein Muster mehr zu entlocken ist? Technische Details des strukturellen Aufbaus von Teppichen haben daher mehr und mehr an Bedeutung gewonnen und kein seriöses Teppichbuch kann heute auf genaue Strukturanalysen jedes vorgestellten Stückes verzichten. Sie zu lesen und, mehr noch, das Erkennen und Analysieren der Struktur eines Teppichs, gewähren ein weit besseres Verständnis seiner Muster als der bloße Augenschein. Aber es ist eine sehr spezielle und nicht immer leicht zu verstehende Sprache, die hier gesprochen wird, und nach verständlichen Anleitungen hat man bisher vergeblich gesucht. Das Buch von Jennifer Wearden, Kuratorin am Victoria & Albert Museum für europäische Textilien des 20. Jahrhunderts, schafft hier Abhilfe. Mit leicht lesbarem Text, anschaulichen Zeichnungen und vielen ausgezeichneten Detailfotos werden alle Möglichkeiten und Kombinationen, wie aus Kette, Schuß und Knoten eine dreidimensionale Struktur geschaffen werden kann, genau erläutert. Die Lektüre ersetzt zwar nicht die eigene Praxis, Erfahrung und viele Versuche, die allein erst aus dem Anfänger den Experten machen kann. Die Kenntnis der Teppichstrukturen ermöglichst eine weit bessere Interpretation dessen, was man sieht und das ist ein wesentlicher Gewinn. Die Struktur eines Teppichs offenbart mehr als das Muster über die Umstände, unter denen der Teppich hergestellt wurde, und mit dem Erkennen und Lesen der Struktur wachsen Wertschätzung und Vergnügen, die uns Teppiche zu geben vermögen. Neben dieser wertvollen Hilfe zum Verständnis von Teppichstrukturen ist das Buch als die erste je erschienene, zusammenfassende Übersicht über den Teppichbestand des Victoria & Albert Museum eine außerordentlich wichtige Publikation. In frühen, heute sehr seltenen Heften des Magazins Hali wurden einige Teile der Sammlung nach ethnischer Provenienz abgehandelt, doch eine umfassende Übersicht hat bisher gefehlt. Von den insgesamt 800 Teppichen und Fragmenten, die die Sammlung insgesamt umfaßt und die zu einem großen Teil im 19. Jahrhundert als neue Teppiche erworben wurden, werden in dem Buch 100 wichtige Beispiele gezeigt, beschrieben und natürlich mit exakten Strukturanalysen versehen. Zuschreibung und Datierung sind, wie es sich einem ohne üppige Händlerphantasie gemachten Museumskatalog geziemt, knapp und zurückhaltend. So wird etwa der berühmte Salting-Teppich, Gegenstand einer Expertendiskussion anläßlich der Internationalen Teppichkonferenz in Philadelphia im Herbst 1996, die ihn und damit die ganze Gruppe der Salting-Teppiche mit hoher Wahrscheinlichkeit als osmanisches Knüpferzeugnis des 16. Jahrhunderts wertete, noch immer als persisch aus der Mitte des 19. Jahrhunderts geführt. Auch bei den schönen Stücken der Turkmenen und Beludschen wird nicht versucht, sie mit wohlklingenden Stammesnamen aufzuwerten, sondern sie werden durchweg und schlicht als zentralasiatisch bezeichnet. Die genauen Strukturanalysen und die guten Farbwiedergaben überlassen die genauere Bestimmung der Erfahrung und Phantasie des Lesers. Ein schönes, wichtiges und sehr hilfreiches Teppichbuch.

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