Textilien des Mittelmeerraumes aus spätantiker und frühislamischer Zeit

Autor/en: Sabine Schrenk
Verlag: Abegg-Stiftung
Erschienen: Riggisberg bei Bern 2004
Seiten: 520
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: CHF 240.–
ISBN: 3-905014-26-6
Kommentar: Michael Buddeberg, Januar 2005

Besprechung:
Die sensationellen Funde in den Wüsten Zentralasiens, vorwiegend aus den beiden letzten Dekaden, haben Textilgeschichte geschrieben. Wesentlichen Anteil an dieser Geschichtsschreibung hat die Abegg-Stiftung, die mit ihren wissenschaftlichen Texten über die Textilien der Seidenstraße (Riggisberger Berichte, Band 6, 1998) und über die geheimnisvollen Wirkarbeiten aus Shanpula bei Khotan (Fabulous Creatures from the Desert Sands, Riggisberger Berichte, Band 10, 2001) Meilensteine für die Erforschung dieser Funde gesetzt hat. Fast könnte man darüber vergessen, dass auch die Alte Welt ihre Wüsten hat, unter deren Sand sich Dinge erhalten haben, die andernorts längst verrottet sind. Die Rede ist von Ägypten und von seinen Textilien, die als „koptische Fragmente“ seit dem 19. Jahrhundert in großer Zahl in private und öffentliche europäische Sammlungen gelangt sind. Und genau da liegt das Problem: Mit der napoleonischen Ägypten-Expedition (1798/99) begann eine Ägyptenmode und damit ein Ausgrabungsboom, der bis ins 20. Jahrhundert angehalten hat. Auch wenn dabei durchaus Archäo- und Ägyptologen beteiligt waren, galt das Interesse doch vorwiegend den pharaonischen Denkmälern, während die Reste späterer Epochen achtlos beiseite geräumt wurden, ohne sie wissenschaftlich zu dokumentieren. Parallel dazu gab es gezielte Raubgrabungen und viele bäuerliche und nomadische Zufallsfunde. Sie alle hatten eines gemeinsam: Aus Furcht vor der Anwendung der damals schon bestehenden Gesetze zur Meldung solcher Funde gab es keine oder – fast noch schlimmer – bewußt falsche Herkunftsangaben, die dann in die wissenschaftliche Literatur eingingen. Es hat also in Ägypten eine sorgfältige Dokumentation ausgegrabener Textilien, eine genaue Aufzeichnung von Fundort und Fundkontext und von sogenannten Beifunden, beispielsweise also Münzen oder keramischen Scherben, bis weit ins 20. Jahrhundert nicht gegeben. So leidet auch die Sammlung koptischer Textilien der Abegg Stiftung, die Werner Abegg seit der Mitte der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts aufzubauen begonnen hatte, unter diesem Manko mangelnder wissenschaftlicher Dokumentation der Fundsituation. Selbst bei wichtigen Erwerbungen aus den letzten Jahrzehnten, etwa dem großen Dionysosbehang, ist über den Fundort nichts bekannt geworden. Das ist eine schwierige Ausgangssituation für einen wissenschaftlichen Sammlungskatalog. Doch die Aufgabe wurde von Sabine Schrenk mit Bravour gemeistert. Die seit einigen Wochen vorliegende Dokumentation der immerhin 253 Inventarnummern umfassenden Sammlung ist spannend wie ein Kriminalroman. Ausgehend von einer kaum überschaubaren Anzahl von Fragmenten werden deren Funktionen bestimmt, wird versucht, die Herkunft dieser Textilien einzugrenzen und eine Altersbestimmung vorzunehmen. Daraus resultiert eine klare Ordnung und ein deutliches Bild einer vielfältigen, technisch und ästhetisch hochstehenden textilen Kultur in der Zeit vom 3. bis zum 9. Jahrhundert. Zunächst wird der Begriff „koptisch“ als zu eng für diese in Ägypten gefundenen Textilien zu Grabe getragen. Gewiß hatte das Ägypten jener Zeit ein blühendes Textilhandwerk, aber auch der Handel blühte und Textilien waren schon immer eine begehrte, leicht zu transportierende und Gewinn versprechende Handelsware. Italien, Syrien, und Byzanz werden als Herkunftsorte mancher Textilien diskutiert oder haben zumindest Muster und Stil ägyptischer Textilien wesentlich beeinflusst. Gleiches gilt für das sasanidische Persien, dessen Einfluß auf einen großen Wandbehang mit geflügelten Pferden in Medaillons unverkennbar ist. Fragmente von Seidengeweben – zu ihrer Zeit wohl der Inbegriff des Luxus – weisen gar nach China als Lieferant des Materials. Ebenso unrichtig und als viel zu eng erweist sich die Assoziation von „koptisch“ als „christlich“. Wie bei anderen Kunstgattungen jener Epoche schöpften die Künstler und Hunsthandwerker gleichzeitig aus ganz unterschiedlichen Bildtraditionen und Religionen, wobei die Ikonographie der klassischen Antike ein wichtiger Lieferant von Bildthemen war. Aus all diesen Überlegungen folgt die aktuelle und zutreffende Bezeichnung dieser fast ausschließlich in Ägypten gefundenen Textilien als spätantik bis frühislamisch. Das ist immerhin noch ein Zeitraum von vielleicht 700 Jahren und die exakte Datierung von Funden in diesem weiten Rahmen war und bleibt das zentrale Problem dieser Stoffe. Erstmalig wurde hier zur Datierung in beachtlichem Umfang, obwohl kostspielig und materialintensiv, die Radiokarbonmethode eingesetzt, mit ausgesprochen überraschenden Ergebnissen: Die Entstehung einiger Wolltuniken liegt danach ganze 400 Jahre früher als bisher von der Wissenschaft aufgrund stilistischer Vergleiche und Kriterien angenommen. Dieses Ergebnis gibt zu denken. Die gängige stilkritische Vorstellung, dass Textilien umso später zu datieren sind, je stilisierter ihre Darstellung ist, hat sich bei dieser Gruppe als falsch erwiesen. Von der Theorie einer einzigen linearen stilistischen Entwicklung wird man wohl Abstand nehmen müssen ebenso wie von dem Versuch, Fragmente aus dieser Region aufgrund stilistischer Kriterien zeitlich zuverlässig einzuordnen. Unterschiedliche Vorlagen, individuelle künstlerische und handwerkliche Fähigkeiten der ausführenden Handwerker und lokale Besonderheiten, allesamt kaum hilfreich für eine zeitliche Einordnung, haben wohl eine viel größere Rolle gespielt, als dies Wissenschaftler bisher wahrnehmen wollten. Doch genug der Wissenschaft: Die großartige Sammlung von Textilien aus spätantiker bis frühislamischer Zeit, die sich in Qualität und Umfang mit den Sammlungen des Louvre oder von Dumbarton Oaks messen kann, ist mit diesem Band IV der Sammlungkataloge der Abegg Stiftung glänzend dokumentiert. Der Reigen der berühmten und einzigartigen großen Wandbehänge, deren Breite mehr als sieben Meter betragen und deren Höhe drei Meter übertreffen konnte, eine ganze Anzahl vollständiger Tuniken, die kunstvollen Dekorelemente der Kleidung und eine Vielfalt aufwendig ornamental, narrativ oder ikonographisch gemusterer Gewebe – zu einem großen Teil hier erstmals veröffentlicht – offenbaren einen textilen Reichtum und eine textile Vielfalt, die uns eine ganz neue und anschauliche Vorstellung vom Leben jener Zeit in Ägypten vermitteln.

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