Afrika – Stoffe und Farben eines Kontinents

Autor/en: John Gillow
Verlag: Prestel Verlag
Erschienen: München Berlin London New York 2003
Seiten: 240
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: EURO 49.95
ISBN: 3-7913-3006-3
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2003

Besprechung:
Wem sind sie auf internationalen Flughäfen oder im Straßenbild multinationaler Städte wie London, Paris oder New York, vielleicht sogar in Berlin, noch nicht aufgefallen? Afrikanerinnen in bodenlangen, fließenden Gewändern mit leuchtenden, kräftigen Farben und großflächigen, gewagten Mustern. Welch ein Gegensatz zu westlichen Kleidungsgewohnheiten, mögen sie auch noch so modisch oder mondän sein! Die textile Farbenpracht und Mustervielfalt afrikanischer Märkte, das unübertroffen bunte Bild von Stoff- und Kleiderhändlern und ihren Kundinnen, gehört denn auch zu den starken Eindrücken von Afrikareisen, nach Westafrika vor allem. Besieht man sich das genauer, wird man feststellen, dass es sich fast durchweg um importierte Stoffe handelt, aus Europa, aus China und vor allem aus Indien und Südostasien. Und doch muss die unübersehbare Liebe der Afrikanerin zu diesen auffallenden Farbzusammenstellungen und Dessins, ihre Phantasie, sich damit geschmackvoll zu kleiden und das Selbstverständnis, diese auffallenden Kreationen zu tragen, einen Grund haben, eine Ursache die wohl nur in der textilen Tradition dieses Kontinents gefunden werden kann. Von solchen textilen Traditionen war indessen bisher wenig bekannt und schon gar nicht zusammenfassend publiziert. Gewiss, Webarbeiten und Stickereien aus den mediterranen Ländern Nordafrikas sind im vergangenen Jahrzehnt zunehmend in das Interesse von Textilliebhabern gerückt, dekorative Raphia-Paneele aus Dritte-Welt-Läden wurden zum beliebten Wandschmuck und den in Applikationstechnik hergestellten Fahnen der Fante aus Ghana war gar schon eine durch Europa tourende Ausstellung gewidmet. Das alles aber war, wie man nun in dem ersten umfassenden Kompendium afrikanischer Textilkunst feststellen kann, nur die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs. Tatsächlich scheint die Vielfalt afrikanischer Textilien, der Variationsreichtum verwendeter Materialien und der Erfindungsreichtum an textilen Techniken in Afrika schier unerschöpflich und ebenso komplex und vielgestaltig wie der ganze Kontinent. John Gillow, Sammler und Experte außereuropäischer Textilien, Mitherausgeber des 1999 bei Haupt erschienenen Weltatlas der Textilien, hat 500 Beispiele aus West-, Nord-, Ost-, Süd- und Zentralafrika zusammengetragen und gewährt damit einen einzigartigen Überblick über die reichen textilen Traditionen Afrikas. Nun kann man sich natürlich fragen, warum und woher ein Kontinent, in dem weitestgehend klimatische Bedingungen herrschen, die als Bekleidung einen Lendenschurz ausreichend erscheinen lassen und wo manche Stämme noch im vergangenen Jahrhundert ganz ohne Kleidung auskamen, eine textile Tradition entwickeln konnte? Die Antwort, die John Gillow hierauf gibt, ist in der Kolonisationsgeschichte Afrikas zu suchen. Vermutlich beschränkte sich die textile Kultur des vorkolonialen Afrika – vom Norden natürlich abgesehen – tatsächlich im Wesentlichen auf Textilien für Kult und Ritual aus Rinden- und Pflanzenfasern, sowie auf die Verwendung von Fellen und Leder. Mit den Kolonisten, mit Kaufleuten, Sklavenhändlern und Missionaren, die zunächst die Küsten, später auch das Innere Afrikas erreichten, kamen auch die großen Religionen, das Christentum und der Islam, die erheblichen Einfluss auf die Bekleidungsgewohnheiten nahmen. Der Weg vom Lendenschurz aus Rindenbast zur körperbedeckenden oder gar versteckenden Kleidung war vorwiegend religiös bedingt. Da das traditionelle Handwerk diesen Bedarf nicht decken konnte, taten die Händler das ihre hinzu. Der Warenkreislauf der frühen kolonialen Zeit ist hinreichend bekannt: Eine wichtige Handelsware der Sklavenhändler waren neben allen Arten von Konsumgütern europäische Stoffe. Die dafür an den afrikanischen Küsten eingekauften Sklaven brachten jenseits des Atlantik Rum und Zucker, die wiederum in Europa hochbegehrt waren. So wird verständlich, dass die textilen Traditionen und Gewohnheiten Afrikas sehr stark von europäischen und – im Osten des Kontinents – von asiatischen Vorbildern geprägt und beeinflusst wurden. Noch eine weitere Geschichte kann dies illustrieren: Im 18. Jahrhundert hoben Niederländer an der Goldküste Truppen aus, die sie dann in ihren Kolonialkriegen in Java einsetzten. Die Vorliebe ghanaischer Frauen für javanische Batikstoffe, die bis heute anhält, soll hier ihren Ursprung haben, ein Bedarf, der heute überwiegend von der holländischen Industrie befriedigt wird. Doch gibt es neben diesen eher fremdbestimmten auch ureigene afrikanische Traditionen, Techniken, Stoffe und Dekore, die sonst nirgendwo vorkommen. Zu erwähnen sind hier neben zahlreichen anderen die Raphia-Gewebe und Raphia-Plüsche, kunstvoll gehäkelte Hüte aus Kamerun, bemalte Rindenstoffe der Pygmäen und schließlich die faszinierenden Streifengewebe der Ashanti oder der Djerma. In komplizierter Schmalbandweberei werden schmale Streifen alternierend kett- und schußsichtiger Gewebe hergestellt und zu Streifenstoffen und Decken höchster ästhetischer Qualität verarbeitet. Die auf dem Pyramidenwebstuhl der Mande-Weber aus Sierra Leone gefertigten, auch aus schmalen Streifen zusammengenähten Stoffe stehen ihnen an Schönheit in nichts nach. Mit Hinweisen auf die moderne Bildwirkerei Ägyptens als ein wiederbelebtes Erbe koptischer Weber, auf Perlenstickereien aus Süd- und Zentralafrika, auf Lampas-Gewebe aus Fes und Tetouan, auf Baumwolltücher der Amharen in Äthiopien und schließlich auf die luxuriösen Seiden aus Madagaskar sei nochmals die nahezu unendliche Vielfalt afrikanischer Textilien bewundert. John Gillow gibt exakte Beschreibungen, erläutert die Herkunft der Muster, der Webtechnik und die Verwendung der Textilien und erklärt deren Herstellungtechniken und Strukturen. Hunderte von Abbildungen, ergänzt durch aktuelle und historische Foto runden diese Information ab. Das Buch schließt eine Lücke, von der nur Wenige wussten.

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