Persien – Auf den Spuren eines vergangenen Reiches

Autor/en: Henri Stierlin
Verlag: White Star Verlag
Erschienen: Wiesbaden 2006
Seiten: 280
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag in Schmuckschuber
Preis: € 48.–
ISBN: 3-939128-38-4
Kommentar: Michael Buddeberg, Februar 2007

Besprechung:
Der Palast von Persepolis steht in seiner historischen Bedeutung wohl gleichrangig neben dem Forum Romanum oder der Agora von Athen. Persepolis war das Machtzentrum der Achämeniden, deren Weltreich unter den machvollen Königen Kyros (557-530) und Dareios (522-486) sich vom Indus bis an den Nil und im Norden bis weit hinein nach Zentralasien erstreckte. Die berühmte Prozession tributpflichtiger Völker, jene in Stein geschnittenen Flachreliefs höchster künstlerischer Qualität an der monumentalen Freitreppe zur kühnen Säulenhalle des Dareios, der Apadana in Persepolis, legen davon Zeugnis ab. Gesandte aus allen Ecken des riesigen achämenidischen Reiches, erkennbar an ihren Trachten, Frisuren und exotischen Kopfbedeckungen überbringen Geschenke. Offeriert werden Waffen aller Art, Schmuck, Armreifen mit Greifenköpfen und kostbares silbernes, mit Henkeln in Form von Steinböcken verziertes Gerät. Andere bringen lebende Zicklein und wieder andere treiben Buckelrinder aus Gandhara oder Kamele aus Baktrien herbei. Elfenbein, feine Stoffe, ganze Gewänder, Pferd und Wagen und vieles andere mehr vervollständigen den Reigen der Tributleistungen. Das ist einzigartiges Weltkulturerbe, gewiss, aber man hat es schon oft gesehen ebenso wie die großartigen mit Stier- und Greifenköpfen geschmückten Säulenkapitelle der Apadana oder die in Stein gehauenen Szenen aus der persischen Mythologie auf den Türleibungen der Paläste von Dareios und Xerxes. Nur selten jedoch wurden dieses Weltkulturerbe in solch eindrucksvollen Fotografien, detailgenau und fast schon im Posterformat (Buchgröße ca. 37 x 27cm) dargestellt. Das ersetzt zwar nicht den Besuch an Ort und Stelle, ist aber eine verlegerische Glanzleistung die zu diesem Preis und in dieser Ausstattung nur durch internationale Kooperation möglich ist. Die eigentliche Bedeutung und der Wert dieses großformatigen Bandes liegt aber nicht so sehr in der Darstellung des schon Bekannten, sondern in der sorgfältigen Aufarbeitung eines bisher fast unbekannten Bereichs aus der Frühgeschichte der Menschheit, der erst in den vergangenen Dekaden ausgegraben wurde. Funde und Forschungsarbeit der letzten vier Jahrzehnte haben gezeigt, dass Persien einen ungemein wichtigen Anteil am Ursprung unserer Kultur und an den bedeutenden Errungenschaften der Zivilisation hat. Durch seine geopolitische Lage zwischen Indien und China im Osten und dem östlichen Mittelmeerraum im Westen war Persien ein Brennpunkt, der bei der Entwicklung der Hochkulturen einen wichtigen Platz einnahm. Ausgrabungen im Tal von Hamil Rud, südlich der heutigen Stadt Kirman im Südosten des Iran offenbaren schon um das Jahr 3000 v.Chr eine städtische Kultur, deren Gefäße und Skulpturen aus dem Material Chlorit eine erstaunlich ausgereifte, plastische Sprache sprechen. Sie zeigen eine kraftvolle Ornamentik und realistische Anspielungen auf das Leben und Denken jener Zeit, mit wilden Tieren und Haustieren, mit Menschen und Göttern, mit Bauwerken und mit Fabelwesen und Dämonen. Und mehr noch: Die Entdeckung von Schrifttafeln mit proto-elamischer Schrift lassen spekulieren, dass die Wiege der Schrift in Halil Rud gestanden haben könnte. Nicht viel später entstanden im Norden von Persien in der fruchtbaren Region des Kaspischen Meeres die Kulturen von Amlasch, Marlik, Hasanlu und Ziwije. Auch hier beeindrucken Keramiken und Tonskulpturen in erster Linie aber prachtvolle Goldarbeiten, Becher vor allem, in höchster ästhetischer und künstlerischer Qualität. Es ist eine bemerkenswerte Vielfalt von Völkern, Kunstwerken und Stilen, die im zweiten und in der ersten Hälfte des ersten Jahrtausends v. Chr. auf iranischem Territorium neben- und nacheinander existierten. Und auch wenn es bis jetzt nur selten möglich ist, konkrete Beziehungen und exakte Chronologien festzustellen, so wird doch klar, dass sich eine Fülle neuer Ideen, Erkenntnisse und handwerklicher und künstlerischer Techniken durch die vielfältigen Strömungen und Einflüsse, die sich auf dem Schauplatz Persien kreuzten, gerade hier entwickelt haben und begünstigt wurden. Pracht und Einfallsreichtum dieser frühen Kunst spiegelt eine politische und kulturelle Aktivität, die ganz wesentlich zur Erneuerung von Techniken und ästhetischen Formen beigetragen hat. Es war der Boden, auf dem die spektakuläre Hochkultur der Achämeniden reifte. Dabei erweist sich die späte Entdeckung und Ausgrabung dieser persischen Frühzeit als ein wahrer Segen, denn frühe Grabungen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts galten mehr der Suche nach Schätzen und Kunstgegenständen als dem Bemühen um korrekte archäologische Daten. Die Ausgrabungen der letzten Jahrzehnte, deren Fundzusammenhang sorgfältig dokumentiert ist, liefern daher häufig sehr viel genauere Informationen über Alter, Zweck und Bedeutung der Funde und über die Menschen, die sie schufen und gebrauchten als so manches spektakuläre Objekt, das schon vor Jahrzehnten in das British Museum oder in den Louvre gelangte. So sind diejenigen Kapitel, die über die historische und künstlerische Entwicklung Persiens bis zum Zeitalter der Achämeniden berichten, mit ihrer Fülle an neuem Material und Informationen von ganz besonderem Interesse. Die weiteren Abschnitte, nach den zentralen Ausführungen über die Kunst und Architektur der Achämeniden sind dann der Hellenisierung Persiens unter Alexander dem Großen, dem anatolischen Heiligtum von Nimrud Dag, der Karawanenstadt Palmyra und schließlich der Dynastie der Sassaniden gewidmet. Mit deren Untergang und dem Einfall arabischer Reiterheere im 7. Jahrhundert endet der Gang durch die vorislamische Zeit Persiens. Das alles ist professionell, locker und spannend geschrieben von einem profunden Kenner der orientalischen Welt, dem Schweizer Kunst- und Architekturhistoriker Henri Stierlin, der sich auch als Fotograf einen Namen gemacht hat. Das vorzügliche Abbildungsmaterial beschränkt sich aber nicht auf die Aufnahmen, die der Autor an Ort und Stelle gemacht hat, sondern man sieht die bedeutendsten Kunstwerke aus den Nationalmuseen von Teheran, Bagdad und Damaskus, aus lokalen Museen wie Palmyra oder Mosul und aus den großen Museen dieser Welt, dem Louvre, dem British Museum, dem Metropolitan Museum of Art und der Eremitage. Sassanidische Seidenstoffe aus der Abegg Stiftung und Luristan-Bronzen aus dem Kunsthistorischen Museum in Genf runden die Schau zu einem vielfältigen Kaleidoskop früher persischer Kunst auf höchstem Niveau.

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