Shawls of the East – From Kerman to Kashmir

Autor/en: Parviz Nemati
Verlag: PDN Publishing
Erschienen: New York 2003
Seiten: 336
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: US-$ 125.–,
ISBN: 0-937266-03-5
Kommentar: Michael Buddeberg, März 2004

Besprechung:
Es ist ein Phänomen in der Geschichte europäischer Trachten, wie aus einem höfischen Textil der Moghulzeit, aus einem Prestigeobjekt persischer Prinzen am Hofe der Safawiden, schließlich im 19 Jahrhundert ein wesentlicher Bestandteil der bäuerlichen Kultur in Österreich, Polen, Rußland und in vielen anderen europäischen Ländern werden konnte. Und nicht nur in der Tracht, auch im gehobenen Bürgertum, vor allem etwa in England und in Frankreich, hatte der „Kaschmirschal“ im Europa des 19. Jahrhunderts als exotisches Accessoire einen beispiellosen Erfolg. Die Erklärung, daß die Erfindung mechanischer Webtechniken, vor allem des Jacquard-Webstuhles, die technische Reproduktion und die industrielle Herstellung der komplizierten Muster ermöglichte, reicht hier gewiß nicht aus. Es waren vor allem die ungewohnten, dekorativen orientalischen Muster und es war der Zeitgeist des 19. Jahrhunderts, der sich dem immer leichter zugänglichen Orient geöffnet hatte. Ohne den Orientalismus im Europa des 19. Jahrhunderts ist der Siegeszug des Kaschmirschals in der europäischen Mode kaum zu erklären. Das wirkt nach bis heute. Kaschmirschals und die durch ihn populär gewordenen Paisley-Muster sind Evergreens der Mode. Kein Wunder also, daß die klassischen Beispiele aus dem 19. Jahrhundert oder davor in den vergangenen zwanzig Jahren begehrte Sammelobjekte geworden sind, vor allem dann natürlich, wenn sie nicht aus europäischen Manufakturen, sondern aus den originalen Herkunftsländern, aus Indien, Persien oder natürlich aus Kaschmir stammen. Publikationen über den Kaschmirschal sind aber eher rar. Gewiß, es gibt den nun schon in der dritten Auflage vorliegenden Klassiker von Frank Ames („The Kashmir Shawl“, Antique Collectors Club, 1997), im übrigen aber nur eine Handvoll schwer zugänglicher Museumspublikationen und Zeitschriftenaufsätze. So ist der von dem New Yorker Teppichhändler Parviz Nemati zur ICOC in Washington im Frühjahr 2003 vorgestellte Prachtband eine echte und wichtige Bereicherung der Literatur, und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Zunächst wird hier in vorzüglichen Wiedergaben, teils in seitengroßen Ausschnittvergrößerungen eine private Sammlung vorgestellt, wie sie in dieser Qualität und Umfang weltweit wohl einzigartig ist. Vier Generationen der aus Kirman in Persien stammenden Familie Nemati haben einen wahren Schatz von ca. 120 Schals verschiedenster Machart und Stile zusammengetragen, deren früheste Exemplare bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen. Es sind ausschließlich Schals aus den Ursprungsländern, aus Kaschmir, aus Indien und aus Persien, darunter eine Anzahl der gesuchten „moonshawls“ und seltene Exemplare mit Gebetsnischen oder im Streifendesign. Von herausragender Bedeutung ist die Darstellung der Geschichte der dem klassischen Kaschmirschal verwandten und wenig bekannten aus Kirman, von denen nicht weniger als 15 Exemplare abgebildet und beschrieben werdenStickereien . Diese Kirman-Stickereien verwenden denselben Musterkanon wie die Stücke aus Kaschmir, häufig bereichert durch die Darstellung bunter Vögel und Pfauen, jedoch in einem ganz anderen, für diese Art Textilien ungewohnten Design. Die Stücke aus Kirman, meist Wandbehänge oder Decken, besitzen, vergleichbar dem Aufbau von Teppichen, einen Rahmen aus Haupt- und Nebenbordüren, während der Fond mit Madaillons oder Lebensbaummotiven dekoriert ist. Der einleitende Text zeigt vor allem die Entwicklung der Muster des Kaschmirschals aus den naturalistischen Blumendarstellungen der Moghulzeit im 16. und 17. Jahrhundert, wie sie aus Teppichen, Wandbehängen, Stickereien oder auch aus der Architektur bekannt sind. Gewebte Schals aus jener Zeit, in der Regel wohl dezent, sparsam und elegant, meist nur an den Enden und Rändern gemustert, haben sich nur in Fragmenten erhalten. Sie machen gleichwohl die Entwicklung von einzelstehenden Blütenstauden zum Boteh deutlich, aus dem sich dann unter der europäischen Nachfrage des 19. Jahrhunderts und dem Einfluß europäischer Musterentwicklung das sogenannte Paisley-Muster entwickelt, genannt nach dem schottischen Textilzentrum Paisley. Große rechteckige und quadratische Schals, meist aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dekorativen Paisley-Design bilden den Schwerpunkt der Sammlung, ergänzt durch Schärpen, Halstücher und eine Anzahl interessanter Fragmente. Die von Parviz Nemati an den Anfang seines Textes gestellten Fragen, wo die Schalweberei entstand, wie die frühestens Schals wohl ausgesehen haben und wie sich das Boteh- oder Paisley-Muster entwickelt hat, werden in Wort und Bild gründlich und überzeugend beantwortet. Ein aufwendig gemachtes, wichtiges und vor allem schönes Buch.

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