Textiles from Burma – Featuring the Henry Green Collection

Autor/en: Elizabeth Dell, Sandra Dudley (Hrsg)
Verlag: Philip Wilson Publishers
Erschienen: London 2003
Seiten: 192
Ausgabe: Leinen mit Schutzumschlag
Preis: 29.95 engl. Pfund
ISBN: 0-85667-569-5
Kommentar: Michael Buddeberg, April 2004

Besprechung:
Brighton an der Kanalküste ist vorwiegend als mondäner englischer Badeort bekannt. Wer schon dort war, wird sich sicher an den orientalisierenden königlichen Pavillon erinnern aber kaum an das in ihm untergebrachte Brighton Museum. Und wer weiß schon, daß dieses Museum einen einzigartigen textilen Schatz aus dem buddhistischen Burma beherbergt? Vor etwas mehr als einem Jahrzehnt war Ralph Isaacs als Forscher und Entdecker in Burma unterwegs. Unweit der berühmten Shwedagon Pagode in Rangoon fand er mehrere Taschen mit Kneueln verdreckter Baumwollbänder, vermischt mit Moder und Termitendreck. Offenbar hatten Insekten und Schimmel in einem entlegenen Kloster Dutzende burmesischer Palmblattmanuskripte, die sadaik, bis auf einige staubige Reste reduziert und lediglich die sazigyo, die Wickelbänder, die diese Manuskripte früher zusammenhielten, mehr oder weniger intakt übrig gelassen. Der Fund enthielt etwa 50 dieser brettchengewebten Bänder, dekoriert mit ornamentalen Motiven, Tieren und Ritualobjekten, vor allem aber mit geheimnisvollen Schriftzeichen. Man datiert die Bänder bis ins frühe 19. Jahrhundert, einige enthalten Datierungen von 1892 bis 1928. Am schönsten sind ohne Zweifel die mit der dekorativen Pali-Schrift verzierten Bänder, der Schrift buddhistischer Theravada Texte in Burma. Lange Gebete an Buddha und Widmungen der Stifter sind in kunstvoller und akribischer Technik unter Verwendung von bis zu 36 Brettchen in die ca. 5 Meter langen und wenige cm breiten Bänder gewebt. Doch wie gelangte dieser Schatz dann ausgerechnet nach Brighton? Auch das ist eine ungewöhnliche Geschichte. James Henry Green (1893-1975) kam als junger britscher Rekrutierungsoffizier in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts nach Burma. Seine Aufgabe führte ihn dort in die entlegenen nördlichen Regionen, wo er Kandidaten für den Militärdienst auszuheben hatte. Die Menschen, mit denen er zusammenkam, die Vielfalt der Stämme und unterschiedlichen Kulturen, faszinierten ihn und machten den Offizier zum Hobbyanthropologen. Diese Liebhaberei war immerhin so ernsthaft, daß er 1928 Mitglied der Royal Anthropological Society wurde und 1934 an der Universität Cambridge in diesem Fach promovierte. James Henry Green hatte rasch erkannt, daß Textilien der unmittelbarste und typische Ausdruck ethnischer Vielfalt und ethnischer Identität sind, hielt das in seinen Tagebüchern und Aufzeichnungen fest und sammelte zwischen 1918 und 1935 einige hundert Textilien und Kleidungsstücke. Diese Textilsammlung gelangte 1992 zusammen mit Accessoires, Waffen und 1600 historischen Fotografien in das Museum von Brighton und formte dort den nucleus einer Sammlung von heute etwa 550 burmesischen Textilien, die als die reichhaltigste der Welt bezeichnet werden kann. Das Buch über Textilien aus Burma, herausgegeben unter anderen von Elizabeth Dell, Chefkuratorin am „James Green Centre for World Art at The Royal Pavilion, Libraries and Museum, Brighton“, ist die erste umfassende Monographie zu einem Thema, das bisher lediglich vereinzelt und auszugsweise in kaum zugänglichen Museumsbeiträgen behandelt wurde. Kein Wunder, mit mehr als 240 verschiedenen Sprachen und Dialekten, etwa 120 verschiedenen ethnischen Gruppierungen besitzt Burma von allen Ländern Südostasiens die größte sprachliche und ethnische Vielfalt und ein entsprechend buntes Kaleidoskop textiler Traditionen. Das Buch ist ein gelungener Versuch, die wunderbaren Textilien burmesischer Weber und Weberinnen in einem historischen, sozialen, kulturellen und religiösen Zusammenhang darzustellen. Die Textilien der wichtigsten Stämme, der Akha, Chin, Kachin, Karenic, Naga und Shan werden beschrieben und in exemplarischen Stücken gezeigt, überwiegend aus der Sammlung von James Henry Green. Die silberverzierten Hauben der Akha-Frauen, Kachin-Tücher, die an die Webkunst Burmas erinnern oder die zurückhaltende Farbästhetik der Chin-Textilien mögen hier neben den großartigen sazigyos aus dem eingangs erwähnten Zufallsfund als Beispiele genannt werden. Die Variationsbreite dieser Textilien, die unterschiedlichen Techniken, der Reichtum an Mustern und Dekoren und die Vielfalt, sie zu tragen, formen ein buntes Bild der nur schwer zu entschlüsselnden multiethnischen Gesellschaft Burmas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wer hat diese Textilien wann und wo hergestellt und getragen? Das sind Fragen, die heute in den meisten Fällen kaum mehr zu beantworten sind. Auch James Henry Green hat – wie andere Sammler jener Zeit – die Textilien trotz ihrer Bedeutung für die Identität von Stämmen als Gegenstände minderen Wertes angesehen und daher die Fund- und Herstellungsorte nicht dokumentiert. Natürlich hat jeder Stamm, jede Gruppe eine eigene, lebendige Tradition, Mythologie, Sprache, Geschichte, soziale Struktur und eine eigene Art, Textilien zu weben und sie zu tragen. Doch wie weit kann man einer Aussage trauen, daß ein bestimmtes Textil, ein bestimmtes Muster oder eine bestimmte Webart auch zu einer bestimmten ethnischen Gruppe gehört? Bei der Zuordnung von Textilien zu ethnischen Gruppen wird oft nicht bedacht, welch dynamisches und oft schnell wechselndes, kulturell und politisch manipulierbares Instrument Textilien sein können. Tradition ist ein sehr relativer Begriff und bei Textilien gilt dies in besonderem Maße. So bleiben viele Fragen offen und es ist der besondere Wert dieser Dokumentation, in der namhafte Wissenschaftler und Forscher zu Wort kommen, diese Probleme offen anzusprechen. Knapp 200 farbige Abbildungen und Dutzende der historischen Fotos von Menschen und Landschaften aus dem Fundus von James Henry Green vermitteln eine lebendige Vorstellung vom Leben in Burma am Anfang des 20. Jahrhunderts.

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